Die Robert-Weide-Story
‚Money for nothing‚ ist ein Song von Dire Straits über das angeblich leichte Geldverdienen im Rock’n’Roll-Business. Ohne große Anstrengung zu Geld zu kommen – das lockt. Zumal, wenn man keines hat und ebenso jung wie risikobereit ist. Und so kam es, dass ich in halb-kriminelle Aktivitäten verwickelt wurde … Höret nun die Geschichte von Robert Weide.
Die erste Reise nach Südostasien im Jahre 1977 führte mich und meinen Freund Uwe in eine völlig fremde Welt. Alles war neu für uns. Wir bereisten (in dieser Reihenfolge) Indonesien, Singapore, Malaysia, Thailand, Burma, Nepal, Indien (wo wir ein paar Freunde trafen). Dann ging es zusammen weiter nach Ceylon: Badeurlaub zum Abschluss! So viel Fremde hatte mich nie zuvor umfangen. Um so größer die Überraschung, als ich beim Einchecken im Atlanta Hotel in Bangkok plötzlich vertraute Töne vernahm: Eindeutig der Tonfall meiner Heimatstadt! Bei genauerem Hinschauen traute ich meinen Augen nicht: Ein junger Mann aus derselben stand leibhaftig vor mir! Die Welt war wirklich ein Dorf! Vor lauter Staunen fiel mir der Name nicht gleich ein. Ich sprach ihn also an: „Hey, das ist eine Überraschung! Kennen wir uns nicht aus Wilhelmshaven?“ Er schaute mich überrascht an und sagte ziemlich unfreundlich: „Nein, das muss eine Verwechslung sein!“. Dann fiel bei mir endlich der Groschen: „Mensch, Robert!“ rief ich. „Kennst du keine alten Kumpels mehr? Du hast doch früher immer mein Tonbandgerät repariert! Du bist doch die Atze von Pico!“. Sein Gesicht hellte sich auf und er sagte: „Klar, jetzt erinnere ich mich! Wie war noch mal dein Name?“. Ich sagte es ihm. „Natürlich, da hätte ich auch gleich drauf kommen können! Klar, Mann! Wie geht’s Dir? Was machst du hier in Bangkok!“. „Och, wir reisen so’n bisschen durch Südostasien. Und du?“. „Ach, ich komme gerade von Ceylon rüber!“.
„Ist ja super, da woll’n wir auch noch hin, kannst du uns bestimmt ein paar Tipps geben!“. „Klar, mache ich gern, wir sehen uns heute Abend!“. Tja, so traf ich Robert Weide wieder. Robert war ein alter Bekannter aus Jugendtagen. Seine Bekanntschaft machte ich durch einen Klassenkameraden namens Pico Silbermann. Ich suchte jemanden, der günstig mein Tonbandgerät reparieren könnte. Er nannte mir seinen Freund Robert als die richtige Adresse. Der lerne in einer Firma Radio- und Fernsehmechaniker. Und sei nicht nur ein Spitzenkönner seines Faches, sondern auch unschlagbar preiswert. Es sei nur am Rande erwähnt, dass die Reparaturen außer Kosten nichts einbrachten. Die Eltern des etwas dicklichen, listigen, schweinsäugigen, blonden W. wohnten am Adalbertplatz in einer der alten Offiziersvillen. Robert verfügte über eine blühende Fantasie: Natürlich wohnte er genau in der Wohnung des berühmten Kaleun Prien, des ‚Stiers von Scapa Flow’. Nach meinem Umzug nach Berlin lief er mir einmal in Buckow über den Weg, wo er für Firma Clavis Fernseher reparierte. Wir wechselten ein paar Worte und keiner von uns verspürte das Bedürfnis, die alte Bekanntschaft wieder aufleben zu lassen … Und jetzt das! Robert lebte offenbar auf großem Fuße – irgendwie passte er gar nicht in die Hippie-Absteige Atlanta. Maßgeschneiderte Anzüge im weiß-blau gestreiften Fleischer-Look, Schuhe aus Schlangenleder und immer ein Thaimädel im Arm. Und wenn er zu Geschäftsterminen ging, hatte er ein – zugegebenermaßen etwas albernes – schwarzes Attaché-Case aus Krokodil-Leder dabei. Alle Achtung, der Junge hat’s schon zu was gebracht – vom kleinen Lehrling zum weltläufigen Geschäftsmann. Bewundernswert! Bei unserem abendlichen Treffen schlug er einen gemeinsamen Besuch im Coffeeshop des erwähnten Grace Hotels vor. Dort kamen wir uns menschlich näher. Er erzählte mir, dass er in Ceylon Segellehrer gewesen sei. Dort sei es ihm zu langweilig geworden – was jeder verstehen wird, der die Insel kennt. So kam er nach Bangkok.
Zu meiner Überraschung pumpte er sich von mir armem Schwein 10 DM. Er versprach, sie mir am Morgen zurückzugeben – er habe sein Geld im Hotel vergessen. „Kann ja mal vorkommen!“ sagte ich verständnisvoll und lud ihn auf ein Bier ein. Als ich am nächsten Morgen diskret die Rückgabe ansprach, nahm er mich vertraulich zur Seite und sagte: „Hör mal, ich habe Dir ein gutes Geschäft vorzuschlagen!“. „Geschäft? Bin ganz Ohr!“ war meine Antwort. Und dann packte er aus: Robert war ein weltweit gesuchter Scheckbetrüger! Daher auch die Vorsicht, als ich ihn ansprach. Ihm war in Ceylon der Boden zu heiß geworden. Das war auch der Grund für sein Auftauchen in Thailand. „Wie machst du das denn?“ fragte ich neugierig. „Ach, ganz einfach: Ich habe ein altes Scheckheft von der OLB (Oldenburgische Landesbank), wo ich als Lehrling mal ein Konto hatte. Hier ist jeder deutsche Scheck so gut wie Bargeld. Ich gehe also in einen Juwelierladen und kaufe kräftig ein: Goldketten, Diamant-Ringe usw. Mein Pass ist leider gerade bei der indonesischen Botschaft. Bezahlen tu ich mit den Schecks. Anschließend zum nächsten Pfandleiher und das Zeug versetzt – kriegste 50 % für, kann man super von leben!“. „Is ja ’n Ding! Die nehmen Dir das wirklich ab?!“ – „Kein Problem, Alter!“. „Und was willst du mir jetzt für ein Geschäft vorschlagen?“ fragte ich gespannt.
„Na, weißt du, mir sind die OLB-Schecks ausgegangen, ich deale jetzt mit Travellerschecks … “. „Hey, das ist ’ne heiße Sache, oder? Kannste schnell mit auffliegen, oder?“. „Na, du darfst dich natürlich nicht so blöd anstellen wie die Touris hier! Ich mach das auf die clevere Tour!“. Und dann erzählte er mir von seinen ganzen Schandtaten. Schließlich schlug er mir vor, ihm meine Travellerschecks zu geben. Die würde er für mich einlösen und den Ertrag mit mir teilen. „Meinst du wirklich?“ fragte ich, „Was ist, falls du auffliegst? Dann hänge ich mit drin!“. „Mensch Alter, erzähl’ keinen Scheiß: Die cash ich dir doch easy!“ sagte er. Nach einigem Hin und Her stimmte ich zu. Ich würde ihm Travellerschecks im Werte von 700 Dollar geben. Die dann bei der Polizei als gestohlen melden. Die Bank würde mir das Geld auszahlen bzw. neue Schecks ausstellen. Den Anteil an der Beute (350 Dollar) würde er mir in bar geben. Kein schlechtes Geschäft, wenn man klamm ist. Wie es bei mir damals eher die Regel als die Ausnahme war. „Na, okay!“ sagte ich und gab ihm die Schecks. „Sachma: Ich bin ein bisschen knapp bei Kasse!“ sagte er, „Kannst du mir bis morgen mal siebzig Mark leihen? Ich gebe Dir die Kohle morgen wieder! Den Krokokoffer bekommst du als Pfand!“. „Na, meinetwegen, her mit dem Koffer!“ sagte ich, gab ihm das Moos und bekam den Koffer, den ich gleich aufs Zimmer brachte.
Am nächsten Morgen frühstückten wir gemeinsam und dann trennten sich unsere Wege: Robert ging cashen, ich zur Polizei. Angesichts meiner bewegenden Story stellten mir die Beamten problemlos eine Verlustbescheinigung aus.In der Bank zahlten sie mir ohne mit der Wimper zu zucken die Kohle aus! 350 Dollar – easy verdient! Als ich im Hotel ankam, saß Robert schon da. „Na, was ist mit der Kohle?“ war die erste Frage. „Ach, Scheiße, hat nicht geklappt!“ – „Was heißt das, nicht geklappt?“ fragte ich ungläubig. „Du hast doch gesagt, die cashst du mir easy?“. „Ist normalerweise nie ein Problem, diesmal schon. Der Kassierer ging nach hinten und kam gar nicht wieder! Da bin ich abgehauen!“ „Wieso hast du es nicht woanders versucht?“ – „Hab ich ja, aber irgendwie ist heute nicht mein Tag … “. „Na du machst mir Spaß! Und was jetzt?“
– „Kein Problem, ich erledige das morgen!“ beruhigte er mich. „Morgen fliege ich nach Burma, vergiss es!“ sagte ich unwirsch. „Und was jetzt?“ fragte er ratlos. „Ganz einfach, du gibst mir die Schecks zurück und das war´s! Und vergiss nicht, dass du mir noch siebzig Mark schuldest!“. Er gab mir die Schecks wieder und sagte: „Klar, kein Problem, die Kohle kriegst du morgen früh wieder!“. Abends führte mich der Weg noch einmal zum Grace Hotel, um mir den letzten Abend in Bangkok zu verschönern. Wie zu erwarten, blieb ich dort nicht lange allein und schaute mir gemeinsam mit einer Maus den Film Horror Express mit Robert De Niro und Telly Savalas an. Der mir merkwürdigerweise Albträume bereitete. Ich wachte nachts mehrfach auf, und sah die glühenden roten Augen des Alien-Monsters. Die geklaut gemeldeten Schecks waren sicher unter der Matratze verstaut.
Am Morgen um sechs klopfte es heftig an der Tür: „Police! Open up!“. Hätte ich eine Hose angehabt, wäre mir sicher das Herz hineingerutscht! Ich warf mir eines der ausgelutschten Atlanta-Handtücher um die Hüften und öffnete die Tür. Vor mir standen zwei Bullen mit finsteren Gesichtern. Sie gingen zielstrebig zum Bett und ignorierten das Mädel, das ängstlich an die Rückwand des Bettes gelehnt saß, die Bettdecke bis zur Nase hochgezogen. Sie hoben die Matratze hoch, sahen die Schecks – und ließen das Teil wieder runter: Nur ‘ne Drogenrazzia – Schwein gehabt! Ich versteckte die Schecks an einem sicheren Ort und ging runter zum Frühstück. Robert hatte – wie zu erwarten – das Geld nicht besorgen können. So ging der Kroko-Diplomatenkoffer in mein Eigentum über! Er nannte mir die Nummer des Zahlenschlosses (Null-Null-Null) und ich nahm mir fest vor, den bei nächster Gelegenheit zu versilbern. Der war garantiert mehr als 70 DM wert! Außerdem: Wie sieht das aus? In der Hand einen Edelkoffer und auf dem Rücken einen Ami-Rucksack? Doch weder in Burma noch in Nepal fand sich ein Käufer. Weder für die Schecks, noch für den Koffer. Dafür hörte man zahlreiche Stories von Agents provocateurs, die vertrauensselige Hippies in die Falle lockten und von den Fangprämien gut lebten. In Delhi ging ich daher zum Büro von American Express und gab die geklaut gemeldeten Reiseschecks zurück. Die waren mir zu heiß! Ich erklärte, dass sie mir im Koffer zwischen die Unterhosen gerutscht seien. Die Inder staunten nicht schlecht! Der Chef persönlich bedankte sich bei mir und schaute mir tief in die Augen – so wie es nur die Inder können: „Wenn es doch nur mehr so ehrliche Menschen wie Sie gäbe. Dann wäre die Welt ein besserer Ort!“. „Sie schmeicheln mir!“ sagte ich, ließ mir eine Quittung geben und empfand zum ersten Mal seit Langem wieder ein Gefühl von Sicherheit – die Schecks hatten stets wie ein Damoklesschwert über mir geschwebt.