Das Atlanta und Dr. Henn
Mein Stammhotel in Bangkok war jahrzehntelang das Atlanta in der Sukhumvit Soi 2. … Dort machte ich eine Bekanntschaft, die mein Leben nicht wenig beeinflussen sollte: Dr. Max Henn! Der Mann war eine echte Marke! Hilflos musste er mit ansehen, wie sein geliebtes Atlanta Hotel (einst die Nummer Zwei in Bangkok, gleich nach dem Oriental, so behauptete er jedenfalls) zur Hippie-Absteige herunterkam. Der etwas undurchsichtige ältere Herr war damals bereits über siebzig und stand den Hippies mit tiefem Misstrauen gegenüber. Seine überteuerten Reisen (s. u.) wollten die nämlich auch nicht kaufen. Mich aber hatte er ins Herz geschlossen, der alte Henn. Er stammte aus meiner Wahlheimat Berlin und erzählte davon, wie es in der Kindheit im Kaiserreich so toll war, als er mit den Eltern und dem kaiserlichen Reisepass nach Spanien fuhr – also noch vor dem Ersten Weltkrieg! Und wir füllten unzählige Sprechblasen mit Gequatsche über Berlin und das interessante Leben in der Reichshauptstadt. … Und als ich ihm noch so einen Panoramastadtplan der Stadt in den 30er-Jahren mitbrachte, waren wir fast Buddies. Morgens traf ich ihn oft im Büro unten in der Lobby, wo die Lebensgefährtin Lek das Reisebüro namens Western Union schmiss. Dort las er die Bangkok Post, streichelte die Katze und telefonierte ein bisschen. Dann ging es wieder zurück in die berühmte Suite A 10, wo er mit Lek in Saus und Braus lebte. …
Nachmittags kam er noch mal runter und fuhr (bzw. ließ sich fahren) zusammen mit der Lebensgefährtin in einem schwarzen Plymouth zum Central Department Store Chidlom zum Einkaufen. Und erzählen konnte der alte Henn; wenn der mal loslegte, blieb kein Auge trocken: Bis heute gibt es im Internet eine Website über ihn – mit sehr widersprüchlichen Angaben. Seine deutsche Staatsbürgerschaft hatten ihm die Nazis aberkannt. Was ihn wenig störte. Obwohl: Wie mein Freund Diethard Ande zu berichten wusste, hing dort früher ein Schild: Für Hunde und Deutsche verboten! Ob das stimmt? Weiß ich doch nicht … Auf jeden Fall sind Hunde heute mehr als willkommen (siehe Hausordnung) und auch
Deutsche dürfen seit Langem rein. Ich bin der lebendige Beweis! Der ‚Doktor von Bangkok’ starb am 13. Mai 2002 im Alter von 96 Jahren. Henns Sohn Charles machte aus der Not eine Tugend und vermarktet den runtergekommenen Fiftieskasten als Kulthotel à la Chelsea in New York oder was auch immer… ‚Das einzige Hotel Bangkoks im unverfälschten Stil der 50er-Jahre’ – so wird es stolz beworben. Manchmal verirrt sich sogar das Fernsehen oder ein Filmteam dorthin, wenn eine Kulisse aus den Fifties gesucht wird. Im Gegensatz zu früher herrschen dort jetzt strenge Sitten (siehe Anhang!). So ändern sich die Zeiten: Früher nahmen sie fast nur ‚borderline-cases’ auf. Ich galt dort als einer der seriösen Gäste!