Lal Babbu - der Pusher von Benares
Der Film Easy Rider, in dem neben Peter Fonda, Dennis Hopper und Jack Nicholson auch Phil Spector (siehe Foto), Erfinder des ‚Wall of Sound’ eine Cameo-Rolle (als Pusher!) spielte, war wirklich ein Kultfilm. Wenn es denn je einen gab. Er beginnt mit einem Rauschgiftdeal an einem obskuren Airport. Und führt dann die Protagonisten auf ihren Motorrädern auf eine Reise durch den Süden der USA. Von Kalifornien bis nach New Orleans. Nicht weit von dort fallen sie durchgeknallten Rednecks zum Opfer. Die Fransenjacke von Dennis Hopper, die Chopper, der Jargon – vieles in dem Film war trendbildend. Irgendwie zeigte er jedoch auch die Ausweglosigkeit von Flower Power. Die Leute in der Landkommune, die Nutten im Big Easy, die zusammen mit den Helden auf dem Friedhof einen Trip einwarfen – allesamt verlorene Seelen. Fand ich jedenfalls. Man kannte ja daheim den einen oder anderen Dealer, auch Leute, die Trips kochten. Doch um einen richtigen Pusher persönlich kennenzulernen, musste ich erst nach Indien fahren …
Nach und nach begann unser Flohmarktbusiness zu florieren. Und so schauten wir uns nach günstigen Angeboten für gehäkelte Lampen um. Daneben suchten wir das Angebot zu erweitern. In Benares fanden wir schließlich einen zuverlässigen Lieferanten: Lal Babbu! Ein Schlepper hatte uns zu seinem unscheinbaren Laden irgendwo in der Downtown gebracht. Nicht weit vom Ganges entfernt. Ein netter Kerl, der uns Kardamomtee und Plätzchen anbot, die wir uns dankbar zu Gemüte führten. Außerdem sprach er gut – indisches – Englisch und bot konkurrenzlos günstige Preise. Bald entwickelte sich ein schwunghafter Handel zwischen Benares und Berlin. Beschränkte er sich zuerst auf Lampen, so nahmen wir ihm später auch andere Waren ab. Bunt bemaltes Holzspielzeug, Ledergürtel, die stanken, wenn sie nass wurden, Purpfeifen, Kawumms und was der indische Souvenirmarkt noch hergab. Heute muss ich mich selbst darüber wundern, wie wir es geschafft haben, diesen Schrott an den Mann bzw. die Frau zu bringen.
Aber unser Enthusiasmus war wohl ansteckend. Lal Babbu verstand sich auf das Verfassen ganz bezaubernder Geschäftsbriefe. Die habe ich lange aufgehoben und dann irgendwann bei einem Umzug vergessen: „You are a good chain to us and we believe that surely we can do a lot in business if we run shoulder to shoulder with a too clear heart and keen desire for a bright future!”. Lal Babbu wusste, was Europäer wollen: Das echte, unverfälschte Indien! Und so lud er uns gelegentlich zum Dinner auf die Dachterrasse seines Hauses ein. Die Frau (oder das Hausmädchen?) kochte und das Kind saß auf meinem Schoß. Sehr gemütlich und es vermittelte einem das Gefühl, dass man dazu gehörte. Endlich mal mitten drin im indischen Leben und nicht nur Zuschauer! So verbrachten wir viele schöne Stunden im Laden und bei ihm daheim. Den unvermeidlich darauf folgenden Dünnschiss nahmen wir mit einem Schulterzucken hin. Was mich an ihm etwas befremdete, war die Betelkauerei; irgendwie sah es abartig aus, wenn ihm beim Sprechen fast der Betelpriem aus dem Mund fiel.
Dass er neben dem Betelkauen noch ganz andere Laster haben könnte, kam mir zum ersten Mal in den Sinn, als sein Begleiter mir Morphium anbot (siehe Nepal-Abenteuer). Eines Tages war ich wieder in Benares und wollte bei unserem Lieferanten einkaufen. Befremdlicherweise war der Laden geschlossen. Ich fragte in der Gegend herum, aber keiner wollte mit der Sprache heraus. Schließlich gelang es mir, ihn telefonisch zu erreichen. Er lud mich wie gewohnt zu sich ein. Ich sollte bitte abends kommen, wenn es dunkel war und ganz leise am Tor klopfen. Und absolut pünktlich, er würde mich dort erwarten. Na, meinetwegen, weiß der Himmel, was das wieder für indische Geschichten aus Tausendundeiner Nacht waren. Tatsächlich öffnete sich die Tür um sieben Uhr wie von Geisterhand und er zog mich eilig hinein. Im Hof stand eine altmodische Maschine, mit der braune und grüne Plastikflaschen hergestellt wurden. Ebenso haltbar wie hässlich. Er erklärte mir, dass er jetzt ins Plastikflaschengeschäft eingestiegen sei, da läge das Geld auf der Straße. Mir blieb die Spucke weg! Beim Abendessen kam die Wahrheit heraus. Er druckste ziemlich herum, doch schließlich wurde klar – mein Lieferant Lal Babbu war hauptberuflich kein Souvenirhändler, sondern ein Pusher!
Ja, wie von Steppenwolf (The pusher) besungen: ‚You know, the dealer is a man with the love grass in his pockets but the pusher is a monster!’. Ich war schockiert: Sicherlich war das alles nur ein Missverständnis! Doch dann packte er aus: Er habe ‚rein zufällig, um einem Geschäftsfreund behilflich zu sein, mal ein Kilo Morphium für den besorgt’. Danach ab und an wieder – wirklich keine großen Mengen! Eines Tages habe der ihn mit einem Deutschen bekannt gemacht, dem er zwei Kilo geliefert habe. Er habe dabei keinen Gewinn erzielt, ein reiner Freundschaftsdienst! Da kommt doch dieser Kerl einige Zeit später wieder, lobt die Qualität des Stoffes über den grünen Klee – und bestellt siebenundzwanzig Kilo (27 kg!) bei ihm. Das war ihm nun echt zu heiß und er lehnte ab. Der andere ließ jedoch nicht locker. Und so willigte er schließlich ein. Kam immerhin eine ganz schöne Summe für ihn dabei heraus … Der Deutsche war schuld, eindeutig! Bei der Übergabe dann die Überraschung: Plötzlich war alles voller Bullen und er wurde festgenommen. Er war einem Lockvogel des BKA auf den Leim gegangen! Sie steckten ihn einen Tag ins Gefängnis. Dort wurde er, ein eher schmächtiges Kerlchen, brutal zusammen geschlagen und misshandelt. Sein reicher Vater holte ihn mit einer hohen Bestechungssumme am nächsten Tag wieder aus dem Knast. Von da an war alles nicht mehr so wie früher. Er erzählte mir, dass er hier oben auf der Dachterrasse, wo wir saßen, eine Morphiumküche betrieben hatte. Der Mann tat mir fast leid. Er meinte, dass sich die Sache bald erledigt hätte. Dieses Mal müsste ich meinen Lampenbedarf einmal anderweitig decken. Kein Problem! Doch die Polizei ließ nicht locker. Sie schlossen den Laden, nahmen ihm alles Geld und das Haus weg. Damals durfte er noch zur Miete da wohnen und begann mit der Produktion von Plastikflaschen im Hof.
Auch der Vater verlor das gesamte Vermögen bei dem Bemühen, seinem Sohn das Gefängnis zu ersparen. Erst später wurde mir bewusst, wie viel Schwein wir gehabt hatten, nicht in diese Sache hineinzugeraten. Die Sendungen aus Benares erfreuten sich bestimmt großen Interesses beim Zoll und der Kripo. Da wir sauber waren und von den Machenschaften nichts ahnten, blieben wir unbehelligt. Vermutlich diente der ganze Souvenirhandel nur als Tarnung für das Morphiumbusiness. Das Lampengeschäft lief jedoch nicht mehr so gut wie früher. Daher tendierte mein Bedarf gegen null und Benares stand kaum noch auf dem Reiseplan.
Als ich Jahre später eher zufällig wieder nach Benares kam, fiel mir Lal Babbu ein. Und da ich neugierig war, besuchte ich ihn. Er lag völlig stoned unter dem Verkaufsstand seiner Frau, die Öl in Flaschen und Erbsen verkaufte. Direkt vor dem Haus, das ihm gehörte, bis die Welt für ihn zusammenbrach. Inzwischen lebte die Familie auf der Straße. Der Vater hatte sich wegen der Schande das Leben genommen. Oder war aus Gram gestorben, ist ja auch egal. Diese Strafe kam mir sehr indisch und effektiv vor. Keiner hätte etwas davon gehabt, wenn er wie in Westeuropa üblich ein paar Jahre ins Gefängnis gekommen und danach wieder zu ‚business as usual’ übergegangen wäre. Stattdessen zerstörten sie seine ganze Existenz und die der Familie dazu. Sie bereicherten sich schamlos und als alles weg war, ließen sie ihn in Ruhe. Keine Ahnung, ob er noch lebt und was die Familie macht. Da er offenbar selbst abhängig war, dürfte er schon lange den Löffel abgegeben und sich als Straßenköter reinkarniert haben.