Von Lagerbutschern und Beatlesstiefeln

Lager Rosenhügel 1959

Rosenhügel war der Name eines Flüchtlingslagers nahe der Funkstation, dem man besser fernblieb, wenn man nicht aus den deutschen Ostgebieten kam … Die Namen der Lagerbewohner endeten fast alle auf ski, -ky oder -ki, manchmal auch -ko oder -ic. In manchen Gegenden der Jadestadt fanden sich mehr Schimanskis als Frerichs in den Klassenbüchern. Wer aber denkt, dass später Flüchtlinge aus dem arabischen Raum und Afrika dort untergebracht wurden, liegt falsch! Das würde als menschenunwürdig betrachtet und das hätten die sich auch nicht bieten lassen. Die Zeiten ändern sich! Und auch die Ansprüche!

Die Funkstation heute

Auch aus der nahe gelegenen früheren Funkstation der Kriegsmarine am Stadtpark wurde nach dem Krieg ein Flüchtlingslager. Dort und am benachbarten Rosenhügel wohnte ein Volk, von dem man sich als anständiger Banter Brite am besten fernhielt – den Lagerbutschern saßen die Fäuste locker …

Noch gefährlicher wurde es jedoch, wenn der Vater dortselbst mit einem Schuhe einkaufen wollte. Der Inhaber der Schuhfabrik Meyer war Kunde an unserer Tankstelle und was lag da näher, als die Benzinrechnung damit zu bezahlen … Aber die hatten vielleicht Treter im Angebot – also dann lieber eins auf die Schnauze!

Bleiben wir bei den Schuhen! Wenn sie auch nicht den Aufstieg der Menschheit erst möglich machten, wie es uns das P. M.-Magazin, die ‚BILD-Zeitung der Wissenschaft‘, mal weismachen wollte (‚… weil die Menschen endlich nicht mehr immer auf den Boden zu achten brauchten, ihren Blick frei schweifen lassen konnten …‘)*, so waren sie doch von erheblicher Bedeutung. *Hängt womöglich der Abstieg unseres Vaterlandes damit zusammen, dass man aufgrund der überall herumliegenden Hundescheiße seinen Blick nicht mehr frei schweifen lassen kann, sondern wie damals immer nach unten schauen muss, damit man da nicht reinpettet? Doch zurück zu den S.: Da gab es erst einmal das sowohl von Eltern als auch von Turnlehrer Fetting hoch geschätzte ‚solide Schuhwerk‘: Derbe, harte S., die noch Monate nach dem Kauf drückten, ja nicht selten einen Zehennagel kosteten! 

Das Grauen hat einen Namen: HAFERLSCHUHE!

Der absolute Tiefpunkt meiner schuhmäßigen Erniedrigung waren Haferlschuhe: Wie um mich absichtlich dem Spott der Schulkameraden auszusetzen, kaufte mein Alter mir einmal ein Paar dieser braunen, klumpigen Ungetüme, sodass ich wie ein Bazi aussah. Sie hatten einen grünen Rand und wurden an der Seite geschnürt – mit grün-schwarz gewirkten Schnürsenkeln, an deren Ende ein winziges Ledertütchen baumelte – grauenhaft! Fehlte nur noch der Trachtenjanker. Glücklicherweise kamen mir die Botten im Jadebad abhanden – die Banter Briten waren halt nie für ihren guten Geschmack bekannt!

Jadepissbad, 60er-Jahre
Geflochtene Schuhe!
Beatlesstiefel - der HIT

Am Sonntag mussten wir Brüder die S. im Wintergarten putzten, und der Vater prüfte das Ergebnis genauestens. Wenn oberflächlich alles in Ordnung schien, drehte er den S. um und sagte empört: „Der Steg ist ja gar nicht geputzt!“ (so nannte er den Hohlraum zwischen dem Absatz und der Sohle). “Wenn ich so ’ne Schuhe beim Stubenappell bei der Wehrmacht abgegeben hätte, wäre ich vor dem Kriegsgericht gelandet …“. Da der Krieg schon vorbei war, kamen wir meist mit Stubenarrest davon.

Irgendwann aber war dann einmal Zeit gekommen, in der man selbst bestimmen konnte, welche S. man trug. Auch wenn die bei den Eltern stets ein Stirnrunzeln hervorriefen und sie dem ‚soliden Schuhwerk‘ nachtrauerten. Die S. konnten gar nicht spitz genug sein (‚Arschpieker‘) und drückten ebenfalls nicht schlecht – aber das nahm man dann doch gern in Kauf. Selbst wenn der Vater höhnte: „Dafür brauchsse ja ’n Waffenschein!“. Genau dasselbe sagten wir Jungs von den Stilettos der jungen Damen – aber natürlich mit anerkennendem Ton. Manche S. sahen dermaßen toll aus, dass man sie gar nicht richtig benutzen mochte. So kaufte ich mir eines Tages geflochtene braune Halbschuhe, deren Sohle wie hochpoliertes Holz aussah – die trug ich zuerst nur daheim, damit sie nicht abgewetzt wurde! Und zwar den ganzen lieben Tag – bis Mutter einschritt und mich so vor lebenslangen ‚Käsemauken‘ bewahrte. Der Vater teilte meine Bewunderung für die braunen S. nicht: Als ich die Füße beim Zeitungslesen auf einen der guten Cocktailsessel legte, raunzte er mich an: „Nimm sofort die Flunken da runner, sonst krisse was an dein Schandassel!“ – Kulturbanause!

Der absolute Knüller waren natürlich Beatlesstiefel: Etwa knöchelhohe, sehr enge Stiefeletten mit relativ hohen Absätzen, die selbst Typen wie Diedel noch zu ansehnlicher Größe zu verhelfen mochten. An der Innenseite befand sich in Knöchelhöhe ein breiter Gummizug, der dem stolzen Träger das Hineinschlüpfen erleichterte. Bei Salamander gab es so etwas erwartungsgemäß nicht, aber wie immer stand einem Jerry Cotton zur Seite.

Klapperlatschen
Clogs
Stoffturnschuhe
Die häßlichsten Schuhe meines Lebens

Immerhin, nicht alle Erwachsenen lehnten die schönen S. ab: So z. B. die Angestellten von ‚Schuh Hansa‘ in der westlichen Marktstraße – endlich gab’s mal was zu reparieren, denn die schicken S. waren doch recht anfällig. Erstaunlicherweise erklärte sich meine Mutter (!) stets bereit, sie zur Reparatur zu bringen. Ihr Lieblingsschuster dort stammte wie sie selbst aus Dresden und sächselte, was das Zeug hielt. Stundenlang konnten die beiden vom Zwinger, von Elbflorenz, vom Grünen Gewölbe, dem ‚Italienischen Dörfchen‘ und der Semperoper erzählen – leider alles kaputt! Und natürlich kannten beide sowohl Helmut Schön als auch Erich Kästner und seine Mutter persönlich! Als die ganz spitzen S. etwas aus der Mode kamen, waren die S.designer nie um eine Torheit verlegen: So z. B. Haifischsohlen von nicht unbeträchtlicher Stärke, die im Profil an Haifischzähne erinnerten. Sie waren Anfang der 60er-Jahre der Hit, wurden aber später von den Beatlesstiefeln in die Bedeutungslosigkeit zurückgestoßen. Nicht besser erging es der Kreppsohle, die den Nachteil hatte, sich bei längerer Verweildauer auf Stragula immer fester mit dem Fußbodenbelag zu verbinden und dann langsam aufzulösen. Wildlederschuhe – zeitweise die Abart Mokassins – waren auch mal sehr beliebt: Die brauchte man nicht zu putzen, Einsprühen genügte! Allerdings suchte ich die ganze Jugend lang vergeblich nach ‚Blue Suede Shoes‘!

Als dann die erste Gesundheitswelle rollte, kamen Klapperlatschen auf: Angeblich der Fußform angepasste, schmerzende Holzsohlen (mit Fußbett!), gehalten durch einen verstellbaren Lederriemen, dessen Innenseite mit Vliesstoff abgefüttert war. Die Riemen konnte man nachkaufen und durch den Schlitz in der Sohle ziehen. Vermutlich noch viel gesünder und ebenso beschissen aussehend waren später Clogs. Die hatten eine dicke Holzsohle und der Vorderfuß war von einer schmucklosen, stabilen Leder- oder Plastikhülle geschützt.

Die Leder-/Plastikhülle war mit einer Unzahl von winzigen Löchern versehen (atmungsaktiv?), hinten waren C.s offen. Sie erfreuten sich besonders bei Mädchen großer Beliebtheit, verschwanden aber allmählich von der Bildfläche, als zunehmend Zweifel an ihrer Gesundheitsförderlichkeit aufkamen. Ab und an jedoch schaffen sie ein – glücklicherweise kurzlebiges – Comeback. Einige Gammler entblödeten sich nicht einmal Sandalen zu tragen – das waren nun wirklich die absoluten Spießerschuhe – wenn sie auch auf Socken verzichteten. Da konnte man eigentlich gleich in den dunkel-/hellbraun gewürfelten Romika-Hausschuhen auf die Straße gehen, deren Bequemlichkeit Legende war. Der Werbespruch der Firma war in aller Munde, wurde aber von uns Knirpsen etwas abgewandelt: ‚Der hat ’n Gesicht wie ’n Romika-Schuh – reintreten und sich wohlfühlen!‘. Gegen Ende der 60er-Jahre hatten sich dann Turnschuhe weitgehend durchgesetzt, die noch im dritten Jahrtausend die Schuhmode bestimmten. Aber die sahen vielleicht aus: Richtige Hightechmonster, kein Vergleich mit unseren bewährten Stoffturnschuhen aus der Schulzeit … Beatlesstiefel hin, Turnschuhe her: Ich hatte stets Probleme, Schuhe nach meinem Gusto zu finden, denn schon im Alter von fünfzehn Jahren hatte ich Schuhgröße 46 und der eigene Vater verhöhnte seines Sohnes S. als ‚Elbkähne‘ oder ‚… nächste Größe Kindersarg!‘ – passend zu den ‚… Händen wie Klosettdeckel‘!! Es dauerte allerdings fast 70 Jahre, bis ich mir hässlichsten Schuhe meines Lebens (siehe Foto) zulegte. Allerdings in Notwehr und zwar in meiner Wahlheimat Burma. Es waren die einzigen in Größe 45 erhältlichen Schuhe hier in Maymyo. Für mich allerdings immer noch eine Nummer zu klein. Allerdings sind sie ‚dual use‘, man kann sie auch als Parmesanreibe benutzen! Merkwürdigerweise finden die meisten Burmesen meine neuen Schuhe schön und ich werde nicht selten für meinen guten Geschmack gelobt oder gar darum beneidet.