Als Wilhelmshaven die Literaturmetropole Deutschlands war

BASTEI Verlag: (vollständiger Name: BASTEI Verlag Gustav Lübbe GmbH., Bergisch Gladbach). In dieser Bastei des schlechten Geschmacks erschienen die wichtigsten Schundromane der 50er und 60er-Jahre, vermutlich auch noch späterer Jahrzehnte. Allein von den Jerry-Cotton-Heften wurden mehr als 700 Millionen Exemplare gedruckt. Da konnte nur noch die Bibel mithalten.

Der B. V. war für W’haven von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Hefte wurden bei Paul Hug & Co. (Rundschau) gedruckt und bei Enno Cramer gebunden. Die Arbeit am Band bei Cramer galt zwar nicht als besonders begehrenswert, jedoch konnte man jede Menge Hefte mehr oder weniger geduldet mit nach Hause nehmen. Leider war die Beute in Schlicktau schlecht abzusetzen, da fast jeder jemanden kannte, der einen kannte, der bei C. arbeitete. Insofern nutzte dieses Privileg Cramers Mitarbeitern recht wenig.

Der Betrieb wurde fast täglich von Akquisiteuren der einheimischen Speditionsunternehmen heimgesucht, denn jeden Tag gingen etliche Lkw-Ladungen mit Schmutz-und-Schundliteratur ins ganze Land hinaus. Da mir bei Fritzen Kraftverkehr die Verwaltung des Salzlagers oblag und ich mit dem Schreiben von Frachtbriefen mehr als ausgelastet war, blieb mir glücklicherweise erspart, mich dort in die Warteschlange einzureihen …

In großer Schrift!
Im Kampf gegen die Gelbe Gefahr
Die nackte Wahrheit über Krankenschwestern
Ein packender Western über einen einsamen Kämpfer
Ein erschütternder Schicksalsroman

Obwohl B.-Romane (bekanntestes Produkt war Jerry Cotton, daneben gab es Abenteuer-Romane, Berg-Romane, Liebes-Romane, Arzt-Romane, Wildwest-Romane, Rätselhefte u. v. a. m.) in unserer Stadt weit verbreitet waren, dürften sich ihre Verkäufe in Grenzen gehalten haben, da man sie überall gratis bekam. Aufgrund der geschilderten Umstände dürfte sie ohne Übertreibung den Titel ‚Führende Literaturstadt Deutschlands’ verdient haben. Denn die Verkaufszahlen der Druckerzeugnisse aus den wohlbekannten

Buchdruckzentren (Gütersloh!) unseres Vaterlandes dürften mit denen des B. V.s kaum Schritt gehalten haben. Da Herr Lübbe vermutlich ein schlechtes Gewissen wegen der in seinem Verlag verbrochenen Machwerke hatte, brachte er in späteren Jahren eine Reihe von Sachbüchern (z. B. Die Seidenstraßen, Geheimnisvolle Südsee des Berliner Autors Helmut Uhlig) heraus, deren Auflagen jedoch nicht entfernt mit denen der Schundromane mithalten konnten …

Jerry Cotton - unerreicht
Bildungsroman
Werden Moni und der Fremde noch ein Paar?
Eines der verwirrendsten Bücher, die ich je las
Die Wahrheit über Mao!

Immerhin: Als der B. V. 1994 die Memoiren von Li Zuishi herausbrachte (Ich war Mao Tse Tungs Leibarzt) hatte er den lang ersehnten seriösen Kassenknüller. Jeder wollte alles über den chinesischen Diktator wissen! Und der hatte es faustdick hinter den Ohren: Hat sich nie die Zähne geputzt (‚Ein Tiger putzt sich auch nicht die Zähne!’ war seine Ausrede) und hat die Bauernmädchen im Sixpack vernascht – beneidenswert! Der B. V. war auch die erste Anlaufstelle für junge Talente aus der Jadestadt. Jeder, der im Schreiben von Aufsätzen fit war, dachte bei sich, dass hier ungeahnte Reichtümer warteten. Was konnte schon dabei sein, einen Wildwestroman oder einen Krimi (wenn auch nicht gleich den legendären Jerry Cotton) zu schreiben …?

Doch wie groß war die Enttäuschung bei von Hin und Zurück, Rolli Reiners und anderen Talenten als statt der erwarteten 1.200 DM auf dem Postscheckkonto das unter Mühen verfasste Werk mit bedauernden Worten vom B. V. zurückkam! Jedoch blieb stets ein Funken Hoffnung, da dem verhinderten Schriftsteller nahegelegt wurde, in seinen Bemühungen nicht nachzulassen: Schließlich sei auch die K.-W.-Brücke nicht an einem Tag gebaut worden. Letztendlich sind mir keine W’havener bekannt, die den Durchbruch zum Schundroman-Autor geschafft haben – vielleicht aber unter einem Pseudonym?