Unser Jadepissbad

Blick auf die Umkleide für Kinder, im Hintergrund die Häuse an der Werftstraße
Blick auf das Vereinshaus

Begründet als Werftbadeanstalt im Jahre 1885 für die Angehörigen der Kaiserlichen Werft. Im Zweiten Weltkrieg zu 75% zerstört und doch wiederaufgebaut. 1980 wegen Besuchermangels und Fusion des Schwimmvereins ‚Jade‘ mit den ‚Wasserfreunden‘ geschlossen‘. So weiß es das Wilhelmshavener Heimatlexikon. Für uns hingegen war die im Stadtteil Bant gelegene Badeanstalt nur als Jadepissbad bekannt: Am Ende der Werftstraße (vor der Kneipe Blühende Schiffahrt links abbiegen). Hier erlernten zahllose W’havener das Schwimmen. 

Der Zufluss des etwas bräunlichen Wassers erfolgte aus dem Ems-Jade-Kanal, ein Filter diente (leider nicht immer erfolgreich) dem Zurückhalten der Kanalratten. Schon vor Betreten des J. es konnte man ehrfürchtig die schönen Relief-Fische aus Klinker an den Außenwänden der Umkleideräume betrachten – schwimmen wie ein Fisch, das konnte man im J.! Über dem Portal hieß den Gast ein Turmspringer-Relief (ebenfalls aus Klinker) willkommen. Der kühne Schwimmer trug eine Badekappe und setzte gerade zu einem Köpper an: Er blieb das unerreichte Vorbild!

Nachdem der Gast eine Eintrittskarte gelöst hatte, durfte er sich endlich den Umkleidekabinen nähern. Im J. hieß es sich hocharbeiten: Als Knirps musste man sich in dem nach vorne offenen Umkleideraum für Kinder umzuziehen: Holzbänke, simple Kleiderhaken, den Blicken aller Badegäste preisgegeben! Diebstahl war ein weiteres Problem. Nicht selten kam es vor, dass der von der sorgenden Mutter mitgegebene Groschen für die heiße Milch Beine bekommen hatte und ein Banterbritenkind erfreute. Wie schön war es dann, wenn man nach zahlreichen vergeblichen Versuchen („Hau ab, du Grünschnabel!“ – „Komm wieder, wenn du’n paar Haare am Sack hast!“) schließlich Zutritt zum Umkleideraum der ‚männlichen Jugend‘ bzw. der ‚weiblichen Jugend‘ erlangt hatte. Dort konnte man endlich die beginnende Schambehaarung vor neugierigen Blicken schützen … Des J.es Himmelreich schließlich waren die Umkleidekabinen für Erwachsene auf der Kanalseite – eigene Kabinen aus Holz mit abschließbaren Türen (Schlüssel beim Bademeister), weit entfernt von den Abteilungen für die männlichen bzw. weibliche Jugend oder gar der Kinder. Durch die zahlreichen Löcher in den Wänden konnte man sich interessante Einblicke in die Anatomie des anderen Geschlechtes verschaffen, falls nicht gerade wieder ein Spielverderber sie mit Zeitungspapier oder Kaugummi verstopft hatte.

 

Das J. besaß zwei Becken, die von Betonstufen gesäumt waren (für die Zuschauer der Heimspiele der WSV-Jade-Wasserballer). Deren Boden war mit Kies bedeckt. Es gab ein Becken für Schwimmer (das Große) und eines für Nichtschwimmer (das Kleine), mit einer großen schönen Treppe, die ins Wasser führte). Die beiden waren durch eine hölzerne Spundwand (der Balken) getrennt, dessen Überschreiten eine Mutprobe darstellte – wie leicht konnte man auf dem glitschigen Ding ausrutschen und ins Große fallen … Die ganz Mutigen wagten sich auch die gemauerte Treppe hinab in das schmutzige Wasser des Kanals. Was gab es Schöneres, als vergnügt in den schillernden Öllachen zu planschen, die Beladung der Schrottdampfer auf der anderen Kanalseite zu beobachten und stundenlang toten Mann zu spielen! Von dem mit einem Kokosläufer belegten Sprungbrett (Einer) sowie dem Sprungturm (mit Dreier und Fünfer), auf dem die Fahne des WSV Jade lustig im Wind flatterte, hechteten sich die Mutigen in die trübe Brühe. Wenn besonders Ungeschickte nach dem Sprung von der luftigen Höhe des Fünfers mit einem Bauchklatscher aufs Wasser schlugen, passierte es nicht selten, dass der ganze Bauch aufgerissen wurde, die Gedärme hervorquollen, ein grauenhafter Anblick, dessen jeder Badegast mindestens einmal gewärtig geworden war – wenn man den Berichten Glauben schenken durfte.

Schwimmunterricht bei Heinrich Fink (alte Schule)
Braungebrannter moderner Bademeister

Während diese Berichte wenig glaubhaft waren, so passierte doch ab und zu tatsächlich mal ein Unfall: Die Schwester meiner Klassenkameradin Gila Neumann – eine gute Schwimmerin – versuchte dort eine Mitschülerin zu retten, die zu unterzugehen drohte. Letztere überlebte. Und das auch noch beim Schul-Badetag, an dem unsere Turnlehrerin mitgekommen war. Die bekam danach ziemliche Probleme … Da waren Köpper, Oldenburger oder die berüchtigte Arschbombe schon sicherer. Fußsprung hingegen nur etwas für Mädchen. Absolute Mutprobe war der Seemanns- oder Soldatenköpper, der mit eng am Körper anliegenden Armen ausgeführt werden musste. Vor dem Baden hieß es erst einmal unter die – natürlich kalte – Dusche, deren hölzerne Bodenabdeckung ein Paradies für Fußpilzsporen war. Wer keine Lust zum Planschen hatte, konnte sich auch auf dem Spielplatz vergnügen und den Bikini-Mädchen bei ihren gekonnten Dehnungsübungen zusehen: Das Leben versprach ja ganz schön aufregend zu werden …

Auch das Schwimmen erlernte man im J. Nach einigen Trockenübungen an Land ging’s im ‚Großen‘ an die Angel. Fortgeschrittene durften dann sogar in den Kanal. Wer erinnert sich nicht mit leisem Schauder an den Moment, als das nasse Schwimmgeschirr über den fröstelnden Körper gelegt wurde? 

Wenn man sich halbwegs über Wasser halten konnte, musste man ohne Geschirr schwimmen. Der Schwimmlehrer hielt dem Eleven eine Bambusstange, an deren Ende ein Metallring befestigt war, immer kurz vor den gierig grapschenden Händen und rief: „Schwimm, schwimm!“. Aber der Lohn war großartig: Man wurde ‚Freischwimmer‘ (15 Minuten im tiefen Wasser, ohne an die Leiter zu gehen, danach Sprung vom Einmeterbrett)! Dafür bekam man nicht nur einen Freischwimmerpass, sondern durfte stolz ein Abzeichen mit einer Welle an der Badehose tragen. Wer es 30 Minuten lang im tiefen Wasser aushielt und vom Dreimeterbrett sprang, bekam zwei davon (‚Fahrtenschwimmer’)! Drei schließlich durfte man sich an die Badehose nähen, wenn man ‚Jugendschwimmer‘ war, wozu unter anderem ein Teller vom Grund des Schwimmbeckens heraufgeholt werden musste. Das war allerdings im J. kaum möglich, da man selbst an schönen Tagen nicht den Kiesbelag des zwei Meter tiefen Beckens sehen konnte. Ich legte meine Jugendschwimmerprüfung daher im Marinebad ab! Wer dann immer noch nicht genug hatte, konnte den ‚DLRG-Grundschein‘ erwerben (mit Adler). Nur die Allerhärtesten errangen das Abzeichen mit dem Totenkopf: Die ‚Totenkopfschwimmer‘, die sich zwei Stunden ununterbrochen im tiefen Wasser aufhalten konnten.

Das Ende der J.-Karriere war meist gekommen, wenn man eine mitleidige Seele bei der Marine kennenlernte, die dem J.-Gänger einen Ausweis für das Marinebad an der Freiligrathstraße besorgte. Die Zeiten des J.s sind für immer vorbei, lange residierte auf dem Gelände eine Taucherfirma. Wer das alte Jadepissbad-Feeling wieder spüren will, muss um die halbe Welt nach Wuzhou (China) reisen (Endstation der Perlfluss-Fähre von Hongkong, von da per Bus weiter zum Li-Fluss). Nur dort gibt es – noch – Vergleichbares.

Nachtrag: Zu Beginn des dritten Jahrtausends hatte ich mittlerweile Fünfzigjähriger Gelegenheit, an die Stätte des alten J.s zurückzukehren: Die Klinkerfische an der Wand waren verschwunden, ebenso der kühne Springer über dem Eingang. Großes und kleines Becken waren zugeschüttet, der Sprungturm abgerissen und der Spielplatz zum Parkplatz entweiht worden. 

Das Paradies der Kindheit war für immer verloren! Der dort ansässige Kleinunternehmer mit seiner Autowerkstatt konnte gar nicht verstehen, warum ich überhaupt hierher gekommen war. Immerhin: Die Umkleidekabinen für die männliche und weibliche Jugend waren noch da, wenn sie auch zu Abstellräumen zweckentfremdet worden waren. Als der erinnerungstrunkene Besucher ein original erhaltenes Brett mit Kleiderhaken entdeckte, an denen er vor mehr als 40 Jahren seine Feinripp-Unterhosen mit Eingriff aufgehängt hatte, ergriff Wehmut sein Herz, und er schämte sich seiner Tränen nicht! Doch wie es scheint, ist noch nicht alles verloren: Der Verein ‚Neue Botschaft Süd‘ hat sich die Belebung der Südstadt zum Ziel gesetzt. Und vor einiger Zeit die ‚Südbar‘ ins Leben gerufen, die u. a. Events im Jadebad veranstaltet hat: Musik, Kunst und Aktionen. Wäre schön, wenn das zu einer ständigen Einrichtung würde.  

 

Jadebad 1930
Freibad in Guilin, China
... und im Jahre 2000