LSD-Trip 1969

Das Wunder von Kreuzberg



LSD-Trip 1969

Lysergsäurediäthylamid - LSD

Irgendwann brachte einer LSD-Trips mit zu uns in die Chaos-WG und die Neugier bewog mich, mit auf die Reise zu gehen: Es war das beeindruckendste Erlebnis meines bisherigen Lebens! Auf einer Wolke von Lysergsäurediäthylamid schwebten wir durch die Wohnung und lauschten unserer Musik: Pink Floyd, Deep Purple, Can, die Stones und was sonst so bei uns herumschwirrte. Und dabei fiel mir auf, dass auf diesen Scheiben viel mehr drauf war, als ich bis dahin gehört hatte: Bless its pointed little head von Jefferson Airplane z. B. war für mich ein wenig anziehender, völlig undifferenzierter Klangbrei – bis zum ersten Trip! Wow! Ich merkte endlich, dass diese Musik von Drogenkonsumenten für ihresgleichen gemacht war. Ein echtes Aha-Erlebnis! Und dann liefen wir hinaus in die Kreuzberger Nacht: Unvergesslich! 

Vor einem Trödlerladen in der Oranienstraße standen wir stundenlang (zumindest kam es mir so vor) und schauten den faszinierenden Vulkanlampen zu. Der reine Kitsch, aber für uns war es wie ein Wunder! Oder diese Lampen, aus denen Hunderte von dünnen Plastikstäbchen herauskommen, durch die verschiedene Farben nach oben wandern – nicht zu toppen! Irgendwann rissen wir uns wieder los von diesen Wunderwerken und liefen weiter. Die Häuser schwankten um uns herum, Autos, die nur aus Licht bestanden, rasten auf uns zu und die Leute, denen wir begegneten, schienen uns sehr feindselig, ja bedrohlich. Die Haut ihrer Gesichter hatte die Konsistenz von Koteletts und ihre Züge erschienen mir völlig entstellt – Monster, Zombies, lebende Leichname waren es, keine Menschen!

Ganz besonders schlimm war es, wenn man Bekannten begegnete – z. B. der Hauswartsfrau, die unten vor der Türe stand, als wir rausgingen. Warum hatte ich nur das Gefühl, dass die merkte, was los war! Sie sagte irgendetwas zu uns. Es klang, als wenn man eine Platte mit unendlich langsamer Geschwindigkeit abspielte. Unser einziger Gedanke: Nichts wie weg hier, sonst schöpft die Verdacht und holt die Polizei. Das hieße Krankenhaus, Magen auspumpen – das wäre nun wirklich ein Horrortrip! Kinder hingegen schienen mir die einzig menschlichen Wesen – und natürlich jene Brüder im Geiste, die selbst stoned waren und die man sofort erkannte: An diesem wissenden (von Normalos wie Degenhardt als ‚blödes Haschischlächeln’ bezeichnete) Lächeln, das mir in Zukunft so oft begegnen würde. Selbst Hunde waren mir sympathischer als sonst: Sie hatten dieses Zynische, wie es ihr Name im 

Griechischen ja auch ausdrückt – scheiß’ auf die Welt! Und man bekam den totalen Durchblick auf LSD! An einem lauen, sonnigen Samstagnachmittag saß ich völlig stoned auf der Fensterbank von Ewalds Trödelladen und bemerkte, dass das Kapital vor keiner Schweinerei zurückschreckte, um die Massen abhängig zu machen von der Glitzerwelt der Waren. Aus dem Kaugummiautomat fielen neben den übelschmeckenden Kaugummibällen auch Plastikfiguren und Kinderringe heraus! Diese Schweine: Die fixten die Dreijährigen an! Die Teufelei ging so weit, dass sie die Kaugummiautomaten so niedrig hängten, dass auch die Kleinsten dran kamen. Verdammter Kapitalismus! Und dann kam ein Hund, blieb vor mir stehen und legte genau vor dem Automaten einen gepflegten Haufen hin. Ich lächelte ihn an und sagte: „Right on, brother – zeig’s den Schweinen!“

Meine ‚Reisegefährten’, die mich auf dem Trip begleiteten, waren die einzigen vertrauenswürdigen Personen in dieser Welt. Eltern und Freundin in der Heimat waren weit, weit weg. Wir liefen mit unseren Stiefeln wie in der Kindheit durch die Pfützen, dass es spritzte, und lachten uns ’nen Ast – wir waren unsterblich! Wir schauten im Café Neutral (keine Ahnung, warum das so hieß … ) in der Oranienstraße vorbei, wo ein Liliputaner (‚tschulligung: vertikal herausgeforderter Mensch!) bediente, der sich einen Laufsteg hinter dem Ausschank gebaut hatte, damit er über den Tresen gucken konnte. Ähnliches begegnete mir erst wieder in Manila im Hobbit House, wo nur Abgebrochene (s. o.) beschäftigt waren. Obwohl wir sonst dort viel Spaß hatten, war’s diesmal nicht das Richtige und wir machten uns schnell davon. Irgendwann kehrten wir zurück in die vertraute Umgebung der Dresdener Wohnung, schwebten die Treppen hinauf und drehten die Musik auf. Nach acht Stunden klang der Trip langsam ab: Das Kribbeln im Bauch wurde weniger, die Sensibilität nahm ab. Es kam auch auf die passende Musik an: Pinks Floyds marschmusikähnliches Corporal O’Clegg oder The Grand Vizier’s

Garden party konnte einen leicht runterbringen. Dann war es höchste Zeit, mit Speed King oder Child in Time von Deep Purple gegenzusteuern. Oder, noch besser: Waiting for the Wind von Spooky Tooth! Wenn man dagegen ganz schnell von dem Trip runterkommen wollte (oder musste) half garantiert Co Co von Sweet: Wer bei ‚Ho Tschi Kacka-hoo’, dem bescheuertsten Refrain aller Zeiten (oder war das ein politisches Statement gegen die ‚Ho-Ho-Ho-Tschi-Min’-Chaoten?), nicht runterkam, konnte getrost gleich zu Bonnies Ranch fahren. Rolf hatte sich gleich nach unserer Rückkehr unter den Küchentisch verkrochen, und da saß er nun den Rest des Trips mit einer Shampooflasche in der Hand und schaute fasziniert zu, wie das Ei-Shampoo immer wieder von oben nach unten lief. Mein sonst so ernster Kumpel hockte da wie ein sehr verletzliches Kind und ich machte mir schon Sorgen um ihn. Doch dann rief mich Pink Floyds Astronomy Domine wieder zurück in die gute Stube. Irgendwann pennten wir schließlich ein. Es war ein wunderschönes Erlebnis und es sollte nicht das Letzte dieser Art für mich gewesen sein.

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