Markstraße in den 60ern (Teil 3: Grenzstraße bis Gökerstraße)

Meine erste Chuck-Berry-LP
So sah es damals in Plattenläden aus
... und die Zweite!
Ich (Mitte) auf dem Berliner Flohmarkt mit der 'guten' Wildlederjacke von M&H

Ich überquere die Grenzstraße, ehemals die Grenze zwischen dem preußischen Wilhelmshaven und dem oldenburgischen Rüstringen. An der Ecke die Nr 69. Früher war dort mal das Kaufhaus von KEPA, (Karstadt Einheitlicher Preis AG = Karstadt für Arme) später Café Holzapfel und die Berlitz-School (heute: Tredy-Fashion und Mobilcom-Shop).   Gegenüber in der Nr. 70 (Südseite) Friseur Kolberg, Miederwaren Hummels und Textilien Langkals (heute: Nunu‘s Barber Shop und Juwelier Tönjes). In der Nr. 67 Wimber Damenwäsche und Zahnarzt Bienert. Wenn ich mich recht entsinne, war auch Briefmarken Kleuker (s. Marktstr. Nr. 76!) mal da drin. Auf der anderen Seite (Nr. 68) Radio Freese! Da habe ich Tage verbracht! Man konnte dort an einem Tresen auf einem Hocker sitzend mit einer Art Telefonhörer ohne Sprechmuschel Platten anhören. In dem Laden habe ich meine erste Chuck-Berry-LP gekauft: ‚Chuck Berry on Stage!‘ – Wahnsinn! Kann mich noch entsinnen, dass die Scheibe extra bestellt werden musste. Angeblich kam sie mit der Güterbahn. Ich glaube, ich bin dreimal hingelaufen, bevor ich sie endlich in meinen Händen halten konnte. Ich lernte die LP komplett auswendig und erfreute meine Kameraden im Zeltlager damit. Ich war so begeistert, dass ich mir gleich die nächste LP von Chuck bestellte. In dem Haus waren auch mal Bürobedarf Schumacher, die Auskunftei

Schimmelpfeng und Bohlen (Albingia Versicherung) ansässig. Da hat mein Bruder seinen Triumph TR 3 versichert. Bis sie ihn rausgeschmissen haben (heute Highendsmoke und Santander Bank). Daneben M&H, das Bekleidungsgeschäft von Michael & Hannelore Herbst (Nr. 66, heute Drogerie Rossmann und Downtown Disco). Echt trendiger Laden in der Marktstraße. Das Geschäft des ‚verdächtig‘ gut aussehenden Michael und seiner Schwester Hannelore war Anlaufstation für all jene, die bereit waren, für Kleidung etwas mehr auf den Tisch zu legen. Sie hatten die Räumlichkeiten von Högemann übernommen, der dann in die Nr. 74 zog. Damals kannte kein Schwein bei uns H&M, aber jeder M&H! Meine Mutter kaufte mir dort Ende der 60er für 200 DM (!) eine richtig gute warme Wildlederjacke mit Teddykragen. Sie leistete mir noch in Berlin jahrelang wertvolle Dienste, vor allem auf dem winterlichen Flohmarkt. Das edle Kleidungsstück kehrte später sogar an seinen Ursprungsort zurück: Großzügig, wie ich nun mal bin, schenkte ich sie Schorsch Riedel, als der uns in Berlin besuchte und mit ihr sein Russen-Outfit (Russenhemd, Hose in die Stiefel gestopft) vervollständigte. Wenig später konnte man ihn in seinem BMW mit Überrollbügel und Sturzhelm, getoppt durch meine Wildlederjacke, durch die Jadestadt brausen sehen.

Auf der Nordseite die Nr. 65. So lange ich mich erinnern kann – und das ist eine verdammt lange Zeit – war dort immer Johde (heute Targobank). Die betrieben ein Lederwarengeschäft und ein Glas- und Porzellanwarengeschäft. Dort habe ich für Petra Sahnezwerg, meine erste nicht dem Arbeitermilieu entstammende Freundin, mal ‘ne weiße Blumenvase als Geburtstagsgeschenk gekauft. Hält sie heute noch in Ehren! An der Ecke Kieler Straße jetzt ein echt cooler Glaspavillon, früher reichten die anschließenden Glasarkaden bis zum Börsenplatz. Heute verschwunden. An der NO-Ecke (Nr. 63) war seit ewigen Zeiten 

Ladewigs Buchhandlung. Dort haben meine Eltern meine Schulbücher gekauft. Daneben Bergmann Teppiche (heute Mister Minit und DHL-Paketshop). Gegenüber die Nr. 62, dort war in den frühen 60er-Jahren Blumen Matthai. In den 90ern waren es Kalun China Restaurant, Roberto Eiscafé und Drogerie Rossmann ansässig (heute Jeans-Fritz, holl. Käsespezialist und ‘ne Shishabar). Daneben die Nr. 60, für die mir in den 50ern und 60ern keine Geschäfte vorliegen. In den 90ern war dort damals schon die Telekom, daneben Ihr Platz Seifen, Benedict School und Bagage Lederwaren (bis auf den Seifenladen alle noch da).

In der Nr. 59/61: Thoben & Wessels Moden und Zinck-Teppiche (heute: Engbers Moden, Bonita Moden und Apollo-Optik), daneben in der Nr. 57 Schreibwaren Fangmann (jetzt  Krauss-Eis, Stöver Süßwaren  und Sparda-Bank). Mit Eckhard Stöver habe ich mal ein Jahr bei Göpffarth absolviert. Gegenüber in der Nr. 58 damals die Fahrrad-Zentrale, seinerzeit Wilhelmshavens Top-Adresse für Fahrräder (heute Müller & Egerer Backwaren,  Nanu-Nana und Runtime). Wenn ich mich recht entsinne, war das Hauptgeschäft links in einen erhalten gebliebenen Gebäude, wo auch die Hamburg-Münchner Ersatzkasse ansässig war. Das Haus rechts daneben war wohl den Bomben zum Opfer gefallen, dort stand nur ein Behelfsbau, der von der Fahrrad-Zentrale als Ausstellungsraum genutzt wurde. Auf dem Hof war die Werkstatt. Anscheinend wurde das Gebäude komplett abgerissen und durch einen Neubau ersetzt, in dem zeitweise auch mal Bürobedarf Schumacher residierte.

Eckhard Stöver in seinem Laden

In der Fahrrad-Zentrale endete die kriminelle Laufbahn meines Freundes Ali, der dort bei einem Einbruch gestellt wurde. Sein Komplize konnte entkommen. Alle haben es ihm hoch angerechnet, dass er ihn nicht verpfiffen hat. Der Elektriker Ali starb nicht viel später bei einem Motorradunfall. Daneben in der Nr. 56 ganz früher Seifen-Meyer und die chem. Reinigung Mäkler, dsgl. Gothaer Versicherung (heute Vodafone Shop (?) und Beans Parc Café). Auf der Nordseite in der Nr. 55 Tapeten Nottelmann (jetzt Thalia Buchhdlg. und Gina Laura Moden). Daneben im Eckhaus Nr. 53 Cziborskis Milchgeschäft und die Kneipe Mittelpunkt (heute Bier-Akademie). Dazu kann ich leider nichts beitragen, weil ich kein Bier trinke! Gegenüber in der Nr. 54 Willms Obst und Gemüse, Lüttgens Spirituosen und Poppe Pelzwaren. An der Ecke in der Nr. 52 Radio Tiemann, neben Radio Freese und Karstadt die Anlaufstelle für Musikfreunde. Heute Blume 2000 und Vodafone-Shop). Mein durchgeknallter Göpffahrt-Klassenkamerad Helmut B. hatte bei Tiemann mal ‘ne Lehrstelle als Radio- und Fernsehmechaniker, die er nach kurzer Zeit schmiss. Von da an ging’s bergab mit meinem alten Freund (siehe: Lukullus, Marktstraße 90). 

Alte Werbung für Willms
Elsässer Hof
Ein ARKO-Kaffegeschäft
Flotte Teenies vor Italia in der Parkstraße (1953)

Jetzt überquere ich die Mozartstraße, auf der gegenüberliegenden Seite (NO) in der Nr. 51 das Hansa-Hotel (heute O2-Shop). Dort wohnte seinerzeit u. a. die Soubrette Pia Reimer-Kaden. Daneben (Nr. 49) das kleine Haus, in dem der Elsässer Hof war, eine alteingesessene Gaststätte, die damals von Hergenröther betrieben wurde. Das Gebäude wurde 1979 abgerissen, ein echter Verlust: Es handelte sich um das angeblich älteste Haus in der Marktstraße! An der Stelle wurde ein Neubau hingeklotzt, in dem auch mal Mc Donald’s war. Heute ist dort die Firma Esprit ansässig. Obwohl der Elsässer Hof voll altmodisch war, sind wir ‚Progressiven‘ ab und zu mal dorthin gegangen, um etwas zu trinken. Man fühlte sich dort in eine andere Zeit versetzt, es herrschte eine anheimelnde Atmosphäre. Auch ein Lebensmittelhändler namens Holzapfel soll da mal gewesen sein. An der SO-Ecke (Nr. 50) gegenüber war Café Heise, ein echter Oldtimer an dem Platz (heute Nordsee-Café, früher mal Café Dobben, jetzt in der Parkstraße 1 ansässig).

Daneben in der Nr. 48 war nach meiner Erinnerung ARKO drin, später Hussel, daneben noch Blumen Matthai und – das Allerwichtigste! – Eiscafé Italia! Wie oft haben wir dort gesessen! Ich habe immer Zitroneneis (meine Lieblingssorte) bestellt, kostete damals 55 Pfg. incl. Bedienung. Dafür gab es drei kleine Kugeln. Mit Sahne 75 Pfennig, wenn ich mich nicht irre. Italia war einer der ersten Läden in W’haven, in denen man einen Espresso oder Cappuccino trinken konnte. Eine Besonderheit war, dass der Laden sowohl von der Marktstraße als auch von der Bahnhofsstraße zugänglich war. Italia hatte noch zwei Filialen, eine in der Parkstraße, die andere in der Marktstraße 90 (später Lukullus). Gaaanz früher auch mal in der Nummer 122. Im Winter brachen die Inhaber ihre Zelte ab und zogen sich in ihre Heimat zurück. Wie die Zugvögel! Die Eisdiele in der Nr. 48 diente dann als Ausstellungsraum für ein Textilgeschäft. Heute befindet sich dort ein Geschäft von Tom Tailor und eine Filiale von McPaper).

Auf der anderen Seite in der Nr. 47 Lederwaren Oldewurtel, ganz früher war da mal Bozek Glas und Porzellan (Christ Schmuck und Thomas Sabo Moden). Daneben in der Nr. 45 Sanitätshaus Frei, ein Flachbau (heute Tchibo). Entsinne mich schwach darin, dass damals dort noch ‚Leibwärmer‘ aus Katzenfell verkauft wurden. Half angeblich gegen Rheuma. Mir taten die Katzen immer leid. Nicht weit davon verkaufte die Mudder meines Kumpels Bernd Vogler Blumen auf der Straße. Jeden Tag, an dem ich vorbeikam,  hat sie mir eine weiße Nelke geschenkt, die ich mir ins Knopfloch steckte. Gegenüber in der Nr. 46 Damenmoden Meiners (heute MobilCom und Fielmann). Daneben in der Nr. 44 Hettlage & Lampe Bekleidung (jetzt New Yorker). Ganz früher war mal Obsthandel Zaage darin. Gegenüber in der Nr. 43 damals die Deutsche Bank und Drogerie Meyer (heute Deichmann Schuhe). Die Bank zog später auf die andere Straßenseite (Nr. 42), früher waren dort Löbert Küchengeräte und Spirituosen August Stümpel. Bei dem gab es damals noch ‚Seehundschnaps‘: Die Flasche hatte die Form eines Seehunds, an dessen Schwanzende ein Schraubverschluss saß. Abschrauben und sich die Kante geben. Ein sehr beliebtes Mitbringsel aus W’haven. Falls ich mich nicht irre, hatte das Vieh ein Papierhalsband; auf dem stand ‚Grüße aus Wilhelmshaven!‘. Gibt es anscheinend immer noch, aber nicht mehr so schön wie damals – als alles besser war … In Wilhelmshaven ist es mir nicht gelungen, einen zu finden! 

Der berühmte Seehundschnaps
Härtester Konkurrent von ELRAS!

In der Nr. 41 damals Thalysia-Miederwaren und Schlachter Soltau (heute EWE , Inspirationen Home & Fashion und yourfone). Daneben in der Nr. 39 Bäcker Nienstedt und Dolke Lederwaren (jetzt Bijou Brigitte und Orsay). Gegenüber die Nr. 40, im Adressbuch von 1950 nicht verzeichnet, vermutlich Kriegsschaden. Dort ist schon seit langer Zeit die Parfümerie Douglas ansässig. Daneben in der Nr. 38 (dsgl. im Adressbuch von 1959 nicht verzeichnet) waren Anfang der 60er-Jahre die Firmen Feinkost Leopold (auch Betreiber des Club 69) und Stöver-Kaffee ansässig. Später waren dort Lohse-Eissing (früher in der Nr. 71), Büthe-Rasierer (heute noch?!) und Tchibo-Kaffee. Letzteres versuchte nach der Schließung von Kaffee-Brand (siehe Nr. 21) mehr schlecht als recht dessen Nachfolge anzutreten. Kaffee-Brand gab’s halt nur einmal! In den Räumen von Lohse-Eissing befinden sich heute das Schuhgeschäft Schuh-Mann und Caribou-Moden.

Zurück auf die Nordseite, wo in der Nr. 37 seit ewigen Zeiten Brillen-Babatz sein Geschäft hat. Da ich in jungen Jahren noch keine Brille brauchte, bin ich da auch nie reingegangen. Entsinne mich aber, dass in deren Schaufenster Anfang der 70er-Jahre mal ein Modell des sog. Prottengeier-Plans ausgestellt war. Der Mann war Baustadtrat der Jadestadt und seinem Plan zufolge sollte W’haven das Zentrum einer gigantischen Megalopolis an der Nordseeküste werden, die von Emden bis Cuxhaven reichte. Um diesen Menschenmassen eine angemessene Verkehrsanbindung zukommen zu lassen, war ein Jumbo-Flughafen im Meer vor Eckwarderhörn geplant. Goodbye Mariensiel, hello Eckwarderhörn! Wie bekannt, wurde aus dem Plan nix, Prottengeier erwies sich als Pleitegeier! Die Realität hieß und heißt: Bevölkerungsschwund statt Megalopolis. Immerhin hat W’haven inzwischen eine durchgehend zweigleisige Bahnverbindung nach Oldenburg und in nicht allzuferner Zukunft soll die Strecke sogar elektrifiziert werden. Na also, geht doch! Daneben in der Nr. 35 (Ecke Parkstraße) der Juwelier Ramien und die Versicherungsbetrüger von der Allianz. Heute befindet sich dort ein ‚Handyladen‘ und das Restaurant ‚Akdeniz‘.

Wechseln wir die Straßenseite: In der Nr. 36 früher Schuh-Behrens, Strumpfhaus Elisabeth und die Versicherungsbetrüger von Nordstern. Bei Elisabeth gab’s die schärfsten Strapse. Leider ist es mir bis ins hohe Alter versagt geblieben, die Dinger erotisch zu finden. Muss wohl daran liegen, dass meine Mutter mich früher in ein Leibchen gezwängt hat, an dem mit Pfennigen braune Strümpfe befestigt wurden. Ein paar klobige Schuhe vervollkommneten die Erniedrigung. Heute Dessousgeschäft Hunkemöller. Daneben in der Nr. 34 das Capitol-Kino! Das Vornehmste unter den Wilhelmshavener Lichtspielhäusern. Fand ich jedenfalls immer. Kein Vergleich mit Apollo oder der Schauburg. Daneben waren dort noch das Schirmgeschäft von Stockhaus und Sporthaus Hesse, wo meine Eltern mir die erste Fußballkluft und Adidas-Fußballschuhe gekauft haben. Ich war Zwangsmitglied im RSV (später DES, heute ESV). Ich wollte gern in einem Verein spielen und für meinen Vater kam nur der RSV in Frage – weil ein Arbeitskollege dort Mitglied war. Auch meine roten Turnsachen für die Freiherr-vom-Stein kaufte ich da. Bei Hesse hing ein Foto, auf dem ‚Uns Uwe‘ Seeler zu sehen war. Der arme Kerl war Adidas-Vertreter für Norddeutschland und klapperte die Sportläden der Region mit seinem Daimler (immerhin!) ab. Wie sich das wohl heute anfühlt angesichts der Tatsache, dass selbst eher mittelmäßige Spieler mit 20 schon Millionäre sind? Sorry Uwe, das ist der Fluch der frühen Geburt … Später war dort Modehaus Unger und Sport-Cramer ansässig. Was heute da drin ist, entzieht sich leider meiner Kenntnis.  

Buchhandlung Bachmann
Sieckmanns Stammgeschäft in der Werftstraße

Ich überquere die Parkstraße auf der Nordseite, an der Ecke (Nr. 33) der Kochlöffel – auch schon ewig da. Meine mich zu erinnern, dass da auch mal Müller-Wipperfürth (Herrenmoden) drin war. Daneben in der Nr. 31 Strickwaren Thymm (heute Die Galerie, betrieben von Hendriekje Strömer, dem unbestrittenen Umzugschampion der Marktstraße). Gegenüber in der Nr. 32 (SO-Seite, Ecke Parkstraße) der Juwelier Friedo Frier (jetzt Juwelier Stuke), daneben in der Nr. 30 Dassbeck-Hüte, Pelze Matzen und im ersten Stock die Deutsche Buchgemeinschaft. Nach meiner Erinnerung ein ähnlicher Abzockerladen wie der Bertelsmann-Lesering. Für den, der da einmal eingetreten war, gab es kein Entrinnen mehr. Knebelverträge! Dafür bekam er/sie jeden Monat irgendwelche Meisterwerke der Weltliteratur wie ‚Angelique‘ zugeschickt (heute Cucina Laura, Küchenutensilien). Daneben in der Nr. 28 Fangmann Bürobedarf (schon seit längerer Zeit TEDi, der Laden, der nichts hat, was ich gebrauchen könnte. Deswegen wohl auch Werbepartner von Hertha BSC – die sind auch zu nix zu gebrauchen. Das sage ich als jemand, der 27 Jahre in Berlin gelebt hat!

Daneben Karstadt (siehe unten). Auf der Nordseite die Nr. 29 mit Dolke Lederwaren, Hotel garni Rudolph und Schlachter Müller, bekannt durch die Rügenwalder Teewurst. Mir war immer ein Rätsel, was die mit Tee zu tun hat (heute DéKoala Wohnideen und und KurvenHaven, Mode für Mollige bzw. horizontal herausgeforderte Frauen). Daneben in der Nr. 27 die Buchhandlung Bachmann und die Filiale von Schuh-Sieckmann in der Werftstraße, Alleinvertrieb für Salamander-Schuhe. Besonders beliebt bei Kindern der Schaukelelefant und die Lurchi-Hefte (jetzt Lederwaren Lingenberg und Epix-Bar). In der Nr. 25 Germania Fotobedarf (heutzutage Leonardo?). In der Nr. 23 das alteingesessene Hotel Keil sowie Reisebüro Jade und Friseur Teichmann (heute Speed & Cotton – auch schon ewig dort).  

Und dann habe ich endlich mein Ziel erreicht: Kaffee Brand! Treffpunkt aller Exis, Gammler und progressiven Schüler der gehobenen Lehranstalten unserer Stadt. Ganz früher war da mal die Kunsthandlung Dobberkau drin (heute Foto Meyer, davor auch mal die Rats-Apotheke). Mehr darüber HIER!

Daneben in der Nr. 19 Hotel Flacke, irgendwann war da auch mal ein Textilgeschäft Herzog und ein Tabakgeschäft drin. Das war die Zeit, in der fast jeder geraucht hat. Nur ich nicht. Progressive rauchten Roth-Händle, Gitanes oder Gauloises, das Fußvolk HB*, Eckstein, Ofenholz und was es sonst noch gab. Ganz progressive Typen rauchten Pfeife mit Stanwell-Tabak: Feuer-Pfeife- Stanwell! Oder so ähnlich. Besagte Hendriekje Strömer war auch schon dort (heute von Poll, Immobilien). Tja, und dann kommt schon die Virchowstraße und das Ende der Marktstraße ist erreicht. Für mich und die meisten jedenfalls. Höchstens bis zu dem legendären Wegweiser, dem ganzen Stolz unserer Stadt. Aber sie geht ja noch weiter bis zum Werfttor 1 an der Gökerstraße. Ganz am Ende der Marktstraße (Nr. 1) die Coca-Cola-Abfüllfabrik von Kessler (heute eine Praxisgemeinschaft). Mein Kumpel von Hin und Zurück hat da Großhandelskaufmann gelernt. Wenn auch nicht lange. Herr Kessler, sein Chef, hat sich immer tierisch aufgeregt, falls jemand das Licht nicht ausmachte, wenn er den Raum verließ. Als der Lehrling das mal vergaß, stellte ihn sein Boss zur Rede:

„Herr von Hin und Zurück! Wissen Sie, wie ich Millionär geworden bin?“. „Nee, keine Ahnung!“ „Ganz einfach: Jedes Mal, wenn ich einen Raum verließ, machte ich das Licht aus! Die so ersparten Beträge ermöglichten mir später, diese Fabrik aufzumachen!“ Tja, so einfach ist das. Degenhardt hat in  Wenn der Senator erzählt eine ähnliche Story erfunden. Gegenüber in der Nr. 2 Kiosk Wenke. Dort habe ich als Kind mal den Weihnachtsmann gesehen, der zu meiner großen Enttäuschung einen hellblauen Mantel trug. Oder sollte ich mich irren nach all den Jahren?          

Mit der Eröffnung der Nordsee-Passage war’s endgültig vorbei mit der alten Marktstraße. Ich habe mich immer gefragt: ,Wer ist bloß auf die glorreiche Idee gekommen, in einer Stadt mit schrumpfender Bevölkerung, in der das Geschäftszentrum schon zu kämpfen hat, ein zweites Zentrum zu eröffnen. Voll daneben! Resultat: Tote Hose an beiden Plätzen! Wenn ich heute durch meine Marktstraße gehe und an die alten Zeiten denke, kommen mir die Tränen. Und ich bin vermutlich nicht der Einzige, dem es so ergeht …  

*Mein Vater paffte 80 Stück am Tag! Wurde leider nur 54 Jahre alt.   

Degenhardt-LP: Wenn der Senator erzählt
Ja-ha-ha-ha-ha, wenn der Senator erzählt. Das ist der,
dem das ganze Wackelsteiner Ländchen gehört
Und alles, was darauf steht. Wie der angefangen hat:
Sohn eines Tischlers, der war mit 40 schon Invalide.
Alle Finger der rechten Hand unter der Kreissäge!
Schon mit fünf Jahren ist der Senator jeden Tag
von Wackelrode nach Hohentalholzheim gelaufen.
Zwölf Kilometer hin und zwölf Kilometer zurück.
Und warum? Weil in Wackelrode ein Liter Milch
Zweieinhalb Pfennig gekostet hat,
in Hohentalholzheim aber nur zwei Pfennig
Und diesen halben Pfennig durfte der Bub behalten.
… Und nach zehn Jahren da hat sich der Senator gesagt:
„So“, hat das ganz Geld genommen ist hergegangen
und hat das erste Hüttenwerk
Auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt.
Der berühmte Wegweiser!
Werttor 1 zur Kaiserzeit