West-Berliner Flohmärkte

Der Besuch des Flohmarkts auf der Londoner Portobello Road Anfang der 70er-Jahre war für mich eine echte Offenbarung: So etwas gab es in Berlin gar nicht! Der erste Trödelmarkt wurde dort 1974 eröffnet!

‘…Cuckoo clocks, and plastic socks / Lampshades of old antique leather

Nothing looks weird, not even a beard / Or the boots made out of feathers…’

Portobello Road, Cat Stevens

Wie kommt man nun eigentlich auf den Flohmarkt, wie wird man Profi-Händler? Einen Stand zu mieten ist nicht schwierig. Aber wirklich dazu zu gehören – ich meine: wirklich! – das bedarf schon einiger Anstrengung! Doch wer es geschafft hat, sich dort zu etablieren, den wirft nichts mehr um! Vorausgesetzt, er besitzt den nötigen ‚Drive’. Der erste, sehr bescheidene Flohmarkt in West-Berlin war auf dem Mittelstreifen der Schlossstraße in Charlottenburg angesiedelt. Wie man hörte, hatten sich dort ein paar Leute zusammengeschlossen. Einer der Anführer war der Galerist Michael Wewerka, den man allerdings selten sah: Sein Bruder Thomas führte die Marktaufsicht, assistiert von einem gewissen Jinta – beide selbst für meine großzügigen Ansichten ziemliche Chaoten mit echter Berliner Schnauze. Einmal fragte ich Jinta: „Du, sachma, ick such Eenen, der imma so olle Klamotten vakooft. Steht meist inne erste Reihe. Iss der heut’ da?“. „Weeß nich, wen du meinst … Ach, iss det so eena mit ’ner fettjen Ente?“ „Ja, genau, det iss der!“ sagte ich und fand den Gesuchten tatsächlich. Wer damals schon dabei war (so wie mein Kumpel Knut alias Effi), der gehörte wirklich dazu!

Später zog der Flohmarkt um die Ecke auf den Klausener Platz und bei gelegentlichen Besuchen dort erschien mir das als eine bequeme Art des Geldverdienens. Umgeben von lauter duften, coolen Typen wie mir selbst. Der Schotter floss in Strömen und es machte sogar Spaß. Angesichts der Superpreise in Asien für die tollsten Sachen stand der Entschluss schnell fest: Mitnehmen, einen Tapetentisch kaufen, auf zum Klausener und im Nu knisterten die Scheine in der Tasche! Nicht ganz unmaßgeblich dafür war die Tatsache, dass mein Geografiestudium nicht so recht vorankam: Es war absehbar, dass ich nicht vor Ablauf des BAföGs damit fertig werden würde. Zumal man nie wissen konnte, ob die Revolution nicht doch kam und Akademiker gar nicht mehr gesucht wurden – oder vielleicht am nächsten Laternenpfahl aufgehängt, wie bei den Roten Khmer … Also wurde ich Flohmarkt-Unternehmer, zumal es mir eine gute Ausrede für meine Reisen zu sein schien: Als Geschäftsreisender war man kein Hippie mehr, sondern musste fahren – aus geschäftlichen Gründen.

Bereits seit langem bewunderte ich einen WG-Mitbewohner der Schönen Monika: Der hatte zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Riecher! Als ganz Berlin verrückt war nach diesen Kneipenspiegeln mit Coca-Cola-Reklame oder ähnlichem Quatsch, lieh der sich einen Haufen Geld zusammen. Dann mietete er einen LKW bei Robben & Wientjes und machte sich auf den Weg nach London. Dort kaufte er anscheinend die halbe Portobello Road leer. Er begann einen schwunghaften Handel mit den Dingern. Es dauerte nicht lange, bis alle verkauft waren und er sich wieder auf den Weg nach London begab. So wird’s gemacht! Der Plan war nun, dessen Barspiegel-Erfolg mit indischen Lampen zu wiederholen. Am Anfang, als die erste indische Lampenladung und allerlei mitgebrachter Krempel dort verkauft und aus 100 DM schnell über 1000 geworden waren, schien das alles cool zu sein.

Reklamespiegel - echt ANTIK!!
Der erste Tag auf dem Klausener: Umsatz 78 DM!

Als ich jedoch nach der Gründung unserer Firma Brufelwolf mit meinen Kompagnons von Hin und Zurück und Wolfgang Winter im Schneesturm auf dem Klausener stand, wurde mir klar, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Zumal manche Standkollegen gar keine coolen Typen wie wir waren, sondern echte Prolls und Spießer. Stellten sich an, wenn man mal an ihrem Stand eine Wäscheleine für die Lampen befestigen wollte! Und wenn uns das Wechselgeld ausgegangen war, halfen sie auch nicht aus! Das also war die Wahrheit über den Flohmarkt: Ein Sammelplatz von Dropouts und gescheiterten Existenzen, die sich aber allesamt sehr progressiv vorzukommen schienen.

Hinzu kam, dass jeder von uns eine ‚Reisegewerbekarte für Inländer’ beantragen musste – wir kamen uns vor wie Bauchladenverkäufer! Weiß gar nicht mehr, was da alles drauf stand. Erinnere mich, dass unter anderem Geschenkartikel genannt waren, die ich ‚feilbieten’ durfte! Das war ja peinlicher als der ‚Raff- und Leseschein’, mit dem Bernd, der ostfriesische Lebenspartner von Herma, ermächtigt wurde, für den mit Holz zu beheizenden Kachelofen in der Neuköllner Tellstraßenwohnung abgebrochene Zweige im Wald zu sammeln – wobei er sich lieber an die am Weg gelagerten, bereits zugeschnittenen Holzscheite hielt …

Irgendwann gehörten wir zum Stamm. Als der unzuverlässige Wolfgang Winter gegen Yves ausgetauscht wurde, ging es voran! Wenn auch nach Startschwierigkeiten. Kurz nach dem Einstieg bei uns vergaß er eine knallorange indische Tasche mit Elefantenmotiven auf dem Markt. Die war gefüllt mit indischen Portemonnaies (auch mit Elefantenmotiven). Doch wir verziehen ihm. Schließlich war er derjenige, der mitten in der Nacht unsere Tapetentische auf dem Markt aufstellte. Und damit die Standplätze sicherte. Richtig gelesen: Standplätze! Wir hatten expandiert. Inzwischen war der Flohmarkt zur Straße des 17. Juni umgezogen. Die Probleme blieben die gleichen: Kälte, schlechte Umsätze und zu viel Glühwein. Der jedoch nicht vermochte, den Eisklumpen im Magen zum Schmelzen zu bringen.

Wir kauften uns Moonboots und sogar Heizsonnen. Dazu die dicksten Handschuhe, die es gab. Auf dem Kopf die aus Afghanistan mitgebrachte Fellmütze. Die von der Mutter geschenkte ‚gute, gefütterte Wildlederjacke’, drei Pullover und Thermo-Unterwäsche verliehen mir am Ende die Eleganz eines Teddybären. Doch das Frieren ging weiter. Drei Schritte nach links, drei nach rechts – das war’s dann mit der Bewegung. Mittags kam meine Freundin Erbse. Sie löste mich eine Stunde ab, damit ich mir die Füße vertreten konnte. Meine Pause verbrachte ich überwiegend auf dem gut geheizten Klo des nahe gelegenen Hauptgebäudes der TU. Ich hätte mir lieber in die Hose geschissen als auf die ekelhaften, kalten, stinkenden Dixi-Klos zu gehen, die die Marktleitung gratis zur Verfügung stellte.

Bevor es wieder in die Siele ging, füllte ich das kalte Loch im Magen mit Bratwurst und Glühwein. Eines Tages fiel mir auf, dass ich den Würstchenverkäufer in dem gut beheizten Wagen beneidete! Ich! Einen Würstchenverkäufer! Wie tief kann man sinken … Offenbar ging es nicht nur mir so. Ein Kollege betrieb zusammen mit seinem Thai-Transvestitenfreund (mit abrasierten Augenbrauen!) einen Stand mit Pröhl und Scheinantiquitäten der übelsten Sorte. Edeltrödel nannte er es. Tat aber verdammt vornehm, der Kerl! Und wer steht da eines Tages im Würstchenwagen und verkauft Bratwurst? Der Edeltrödler! Und die Transe zuckte mit keiner Augenbraue!! War das nun ein Abstieg oder ein Aufstieg? Hatte da so meine Zweifel … Allerdings war die Arbeit in der Würstchenbude nicht ganz ohne Gefahren. Ich erinnere mich an den Fall eines jungen Aushilfs-Würstchenverkäufers. Einmal beugte er sich zu weit vor, um einem Kunden die Bratwurst rüberzureichen. Da fiel sein BIC-Gasfeuerzeug in das siedende Frittenfett. Und ehe er überhaupt was schnallte, explodierte das Gas und er bekam die volle Ladung superheißen Fettes in die Fresse! Der Verkäufer sah aus wie Niki Lauda! Arme Sau! Und die Bratwurstbude sah aus wie nach einem Bombentreffer. Da fiel mir gleich ein Song von Bob Dylan ein. Wenn der sich auch auf eine Crêpe-Suzette-Bude bezog: I ordered some suzette, I said: / ‚Could you please make that crêpe?‘  / Just then the whole kitchen / exploded from boiling fat / Food was flying everywhere / and I left without my hat  (Bob Dylan’s 115th dream)