Die Zocker von Rangun

Die Zocker von Rangun

Ihre Geschäfte stagnieren, die westliche Welt boykottiert Birma, dazu die Tropenhitze – trotz allem harren dort noch 70 Deutsche aus. Drei von ihnen treffen sich regelmäßig zur Skatrunde. Von Marian BlasbergDIE ZEIT, 09.07.2009 Nr. 29

Achtzehn!“, sagt Axel Bruns an einem dieser stillen Tage nach dem großen Sturm. „Weg“, sagt Meikel Pfeiffer. „Auch weg“, sagt Bernd Bieger und schiebt den Skat zu Bruns hinüber. Im Aschenbecher verglimmt geräuschlos eine Zigarette. Eine Kellnerin, kaum zwanzig, birmanisch und bildhübsch, schlurft über die schweren Teppiche in das kleine Hinterzimmer im ersten Stock des Traders Hotel, Downtown Rangun. „Coffee, please“, murmelt Bruns. Er wirkt abwesend. Kaum vier Wochen ist es her, da hat ihm dieser gottverdammte Wirbelsturm die Satellitenschüssel vom Dach gerissen, in seinem Garten türmen sich umgeknickte Palmen, Wellbleche, Strommasten, und draußen in den Flussarmen des Irrawaddys treiben immer noch Zehntausende Körper. „Meine Leute bauen jetzt ein Dorf wieder auf“, sagt Bruns, ohne aufzusehen. „Alles platt da, 117 Tote.“ Bruns hat mal über birmanisches Marionettentheater promoviert. Wie Pfeiffer betreibt er eine Reiseagentur inBirma. 50.000 Dollar haben ihm seine deutschen Kunden überwiesen, davon hat er zwei Hilfskonvois in die verwüstete Region geschickt, Plastikplanen, Wasserflaschen, Fischernetze. Eigentlich hat Bruns anderes zu tun. Seine Agentur zieht gerade um, und nebenbei schreibt er an einer Chronik über seine Jugend in der deutschen Provinz.

„120 Hütten stellen wir hin“, sagt er. „Wird alles wie gehabt. Und völlig öko. 2500 Bambusstämme schaffen wir dafür ins Delta, das geht nicht ohne Schiff.“ – „’ne Menge Holz“, sagt Bieger, der seit 30 Jahren für die deutsche Firma Fritz Werner arbeitet. Bruns zieht ihn manchmal auf und nennt ihn „Waffenschieber“, weil die Firma Birma lange mit Gewehren und Munitionsfabriken ausgerüstet hat. Bieger, 150 Kilo schwer, ist Fritz Werners letzter Mann vor Ort. „Was spielste denn?“, fragt er ungeduldig. „Grand Hand“, sagt Bruns. „Kommst selbst“, sagt Pfeiffer. Bruns spielt seinen Grand mit vieren, er verliert das Spiel. Er verliert auch das nächste und das übernächste, aber was sind ein paar Hundert Miese in diesen Tagen, in denen es nur darum geht, hier am Tisch zu sitzen und die Nerven zu behalten. Es ist Regenzeit – der mörderische Tropensturm liegt Wochen zurück, der Proteststurm der Mönche etliche Monate.

Rangun ist abgeriegelt. Polizisten mit Gewehren, zum Teil aus Biegers Produktion, zwingen alle Fremden zur Umkehr. Die Telefonleitungen sind gekappt, das Internet ist nur selten zugänglich. Alles in Rangun steht still. Es bleibt nichts, als abzuwarten und Skat zu spielen, um die Leere zu vergessen und die Welt, die in diesem Hinterzimmer noch viel weiter weg ist als sonst. Es wirkt, als habe ein Taifun diese drei Männer an den Kartentisch gespült – wie Treibgut eines alten kolonialen Traums. Man fragt sich, was sie hier suchen, in einem Land, dessen Junta auf unbewaffnete Mönche schießen ließ und lieber das eigene Volk verrecken lässt, als ausländische Helfer hereinzulassen; einem Land, das der Westen mit einem Netz von Sanktionen überzogen hat, so dicht, dass man darin nur scheitern kann. Bieger, Bruns und Pfeiffer sind drei der letzten 70 Deutschen, die noch in Rangun leben. Was hält sie davon ab, zu gehen?

Nach dem Skat nimmt Bruns ein Taxi ins Savoy Hotel. Dann steht er an der Bar, ein groß gewachsener Ostfriese Ende fünfzig, mit kahlem Kopf und einer gewissen Ähnlichkeit mit Armin Mueller-Stahl. Bruns bestellt eine Seafood-Pizza und schaltet das Handy ab, weil ihn seine birmanische Freundin mit SMS terrorisiert. Sie glaubt, er liege irgendwo bei einer Nutte. Für die Deutschen in Rangun ist das Savoy eine Zuflucht. Wer reden will oder nicht schlafen kann, kommt abends an die Bar. In den Tagen nach dem Wirbelsturm 2008 traf man hier Leute, die einem den Tagespreis für Schwarzmarktdiesel sagen konnten, wer noch Trinkwasser verkaufte oder wo man eine Kettensäge kriegte. Spätnachmittags schaut Bruns im Beauty Salon von Aung Aung vorbei, um sich den Kopf scheren zu lassen, dann geht er zur Massage.

Um Punkt sieben sitzt er im Traders Hotel wieder am Kartentisch. „Wie läuft’s?“, fragt Pfeiffer, der mit seiner Frau im Trader wohnt, weil sie dort im Management arbeitet.

„Muss“, sagt Bruns. „Noch immer keine Buchungen, aber dafür hab ich jetzt das Schiff.“ Bieger steckt sich eine Zigarette an und schiebt Pfeiffer den Kartenstapel rüber. Der lässt sich Zeit. Die Botschaftsleute verlegten ihren Krisenstab an den Tresen, die Journalisten tauschten aus, welche Gerüchte sie am nächsten Morgen in die Heimat sendeten. Bruns kannte sie alle. Er beobachtet, wer an dem Ast sägt, auf dem er sitzt. „Das Bild, das sich die Welt von Birma macht“, sagt er, „hat mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun.“

Bruns fühlt sich angegriffen von Journalisten, wie die meisten Deutschen hier. Ihre Berichte lesen sich für ihn wie Spaghetti-Western. Birma, das Land, in dem er seit 13 Jahren lebe, werde reduziert auf ein Duell: brutale Cowboys gegen heilige Kuh. Junta gegen Aung San Suu Kyi.  Die Generäle gegen eine Friedensnobelpreisträgerin, die seit Jahren unter Hausarrest steht –  „als wenn das alles wäre“. Bruns sitzt in der Falle. Die Berichte, die die Journalisten nach Europa schicken, schrecken seine Reisekunden ab. Sie lassen die Sanktionen gegen Birma gerechtfertigt erscheinen; nur selten schreibt mal jemand, dass sie weniger die Generäle treffen als die Leute hier: die einfachen Birmaner ebenso wie Bruns und seine Skatbrüder. Seitdem die USA Dollartransaktionen untersagen, müssen sie nach Bangkok fliegen, um an Cash zu kommen. Bruns nimmt es hin. Ihn stört nur, dass er in diesem Western den kleinen Schurken geben muss: Weil er Birma nicht boykottiert, gilt Bruns als Unterstützer des Regimes. „Aber so ist das nicht.“

An einem Nachmittag läuft er im Zentrum von Rangun eine stillstehende Rolltreppe hoch in den ersten Stock eines Bürohauses, in dem er neue Räume angemietet hat. Er stellt seinen Schirm hin und tupft sich die Glatze ab. Die Klimaanlage läuft noch nicht, und alles, was bislang auf seinem Schreibtisch liegt, ist der Reiseführer, den er vor Jahren geschrieben hat. Sein Partner, ein Birmaner, hat ihn sitzen lassen, jetzt fängt Bruns wieder mal von vorn an. Weil aber jeder, der in Birma ein Gewerbe betreiben will, einen hiesigen Partner braucht, hat Bruns seine Sekretärin eingetragen. „Andere Länder, andere Titten“, sagt er. Ein Dutzend junger Leute, die als Reiseleiter für ihn arbeiten, wuseln durch die Räume. Sie zeigen Bruns die Liste mit den Dingen, die sie für den Dorfaufbau benötigen. Bruns nickt sie ab und fischt jedes Mal ein Bündel Geldscheine aus einem Koffer. Nun betritt eine ältere Dame das Büro, die sich als „Dietlinde von Apotheker ohne Grenzen“ vorstellt. Sie hat gehört, Bruns plane einen Trip ins Delta, sie sucht jemanden, der ein paar Kisten Medizin mitnimmt. „Von was für einer Organisation bist du?“, fragt Bruns. „Apotheker ohne Grenzen“, wiederholt sie. „Was es nicht alles gibt.“

Bruns ist in etwas hineingeraten, das ihm eigentlich nicht behagt. Sonst lästert er über die Heuchler von den NGOs, die in schweren Pick-ups durchs Land kreuzen und die Preise versauen, weil sie überall mit Scheinen wedeln – nun ist er selber so ein Gutmensch. Dabei dachte er, diese Zeit sei vorbei. Bruns ist ein 68er. Als er damals in Berlin Geografie studierte, demonstrierte er gegen den Vietnamkrieg oder für einen Iraker, der nach 45 Semestern exmatrikuliert werden sollte. Es war die Zeit, als Bruns die Welt entdeckte. Er reiste auf den Spuren der Hippies nach Afghanistan und nahm den Bus von Bagdad nach Sri Lanka. 1977 flog er zum ersten Mal nach Birma. „Es war Liebe auf den ersten Blick.“ Immer wieder kam er her, erst allein, später als Reiseleiter. Für den Importladen, den er inzwischen führte, nahm er Schnitzereien, Tee, Marionetten mit. Weil sich die Figuren gut verkauften, verfasste er eine Broschüre, die er dann zur Promotion ausweitete. Bruns lernte Birmanisch. Er fand in Birma Freunde und fühlte sich bei ihnen willkommener als im Berliner Wedding, wo man ihm den Laden ausraubte und die türkischen Nachbarn ständig Hammel schächteten. Als Bruns vor 13 Jahren seine Krankenversicherung kündigte, kam er sich zu Hause wie ein Fremder vor.

Das Leben in Rangun war einfacher. Statt den Bus nahm Bruns jetzt ein Taxi. Er musste nicht mehr so viel reden, um Frauen ins Bett zu locken, und konnte sich ein schönes, großes Haus leisten. In seiner Nachbarschaft wohnt eine Tochter von Than Shwe, dem höchsten General. Bruns hat darum meistens Strom. Von den Tea Shops auf der Straße weht der süße Duft von Nelken ins Büro, am Eingang steht: Azure Sky Travel. Kein zweites Land in Asien, sagt Bruns, sei so ursprünglich wie Birma. Man kann abendelang mit ihm darüber diskutieren, ob es das trotz oder gerade wegen der Regierung ist. Natürlich wäre eine Öffnung Birmas gut für sein Geschäft, und natürlich wünschte er sich mehr Freiheit, mehr Wohlstand, aber was wäre der Preis? Birma, sagt er, würde verlieren, was es von einem Land wie Thailand unterscheidet. „In Bochum“, sagt Bruns, „hat sich schon mal einer totgemischt. Und weißt du was?“ – „Ich weiß“, sagt Pfeiffer, „und der war gar nicht dran.“ Dann lachen sie und denken an die alten Zeiten, an Gunnar „Slowhand“ vom Roten Kreuz, der früher mit am Tisch saß und 

so langsam spielte, dass er manchmal vergaß, was Trumpf war. Damals, Ende der neunziger Jahre, spielten sie noch an drei Tischen. Es waren Jahre des Aufbruchs, Birma versuchte, Anschluss an die Welt zu finden. In Rangun sah man erste Satellitenschüsseln, Internetcafés und sogar Generäle, die das Gespräch mit Suu Kyi suchten.

Vierzig Jahre lang hatten die Generäle den birmanischen Weg zum Sozialismus gepredigt, nun eröffnete die Deutsche Bank eine Filiale. Siemens kam, die Unterwäschefirma Triumph baute eine Fabrik, und die Kühnsten träumten abends im Savoy von einer Transrapidstrecke nach China, einem Highway nach Thailand, während Bruns am Plattenteller stand und Oldies auflegte. Bruns war auch dabei, als die Idee aufkam, ein Deutsches Haus zu gründen. Mit ein paar anderen mietete er ein Gebäude in der Dhammazedi Road. Es gab Deutschkurse für Birmaner und eine kleine Bibliothek, gestiftet von der Deutschen Bank. Drei Jahre lang, dann war der Boom vorbei.

Die Junta fürchtete sich plötzlich vor den vielen Ausländern – und vor den Progressiven in den eigenen Reihen. Um einem Putsch zuvorzukommen, stellte man sie kalt. Birma glitt zurück in seine Isolation. Die meisten Firmen zogen weiter. Nur ein paar sind hängen geblieben, Einzelkämpfer wie der Weinbauer Bert Morsbach, wie Axel Müller, dessen Fabrik Textilien bestickt. Es sind Leute, die mit den Jahren jede Illusion verloren haben. Manchmal beim Skat träumen Bruns, Pfeiffer und Bieger davon, eine Eisdiele in Rangun zu eröffnen – drei, die nicht viel verbindet außer Birma. Sie haben sich ihren Skatbund nicht ausgesucht, sie hatten keine Wahl. In Deutschland, glauben sie, schließt man solche Freundschaften wohl nur im Knast.

Birma, sagt Pfeiffer, sei wie eine Zwiebel aus lauter Gerüchten. Wenn man glaube, den Kern zu haben, komme eine neue Schicht. Begriffen habe er das bei diesem surrealen Lunch mit Aung San Suu Kyi. Als sie einmal auf freiem Fuß war, bat sie deutsche Geschäftsleute in deren Botschaft. Pfeiffer, neugierig auf diese gute Fee, ging hin. Man saß um einen langen Tisch, und Suu Kyi redete.

Sie drängte den Vertreter von Triumph, seine Fabrik zu schließen, weil die Klimaanlage in den Hallen für die Arbeiter gesundheitsschädlich sei. Sie forderte die Reiseagenturen auf, das Land zu verlassen, weil das Geld der Touristen in die Kanäle der Regierung fließe. Pfeiffer erinnert sich, dass er sie fragte, was dagegen einzuwenden sei, wenn Backpacker das Land bereisten, aber Suu Kyi war der Meinung, sie förderten die Prostitution. So ging es über Stunden. Suu Kyi schimpfte, ihre Parteigenossen nickten, und Pfeiffer fragte sich, warum man dieser Frau den Nobelpreis gegeben hatte.

Die Begegnung sprach sich herum, sie hat das Bild Aung San Suu Kyis geprägt. Fragt man die Deutschen nach ihr, reden sie von einer Zynikerin, die die Leute hungern lassen wolle, damit sie sich erheben. Von einer selbstherrlichen Frau, die Demokratie fordere, aber Widerspruch in der eigenen Partei nicht dulde. Seltsam, die Opposition drängt Pfeiffer, zu verschwinden, die Regierung hetzt ihm Spitzel auf den Hals. Niemand hier, scheint es, will ihn. Was hält ihn? „Wohin“, fragt Pfeiffer zurück, „soll ich denn gehen?“ In Deutschland, sagt er, säße er in einem Großraumbüro und müsste jedes Lineal beantragen. „Nee, nee, so was brauche ich schon lange nicht mehr.“

An einem Tag am Ende der Regenzeit lehnt er mit Bruns an einem Stehtisch im Garten der Residenz des deutschen Botschafters. Es ist der 6. Oktober, die Deutschen feiern, etwas spät, den Tag der Einheit. Im Foyer der Villa dampft ein gewaltiges Brandenburger Tor aus Eis. Botschaftsleute drängen zum Buffet, Engländer, Franzosen, Italiener. Auf dem Tennisplatz spielt eine Jazzkapelle, und Bruns, der sich den Teller mit Sauerkraut und Obatzta beladen hat, ist guter Dinge. „Hübsche Puppen hier“, sagt er. Pfeiffer blickt sich um. „Früher hätte man gesagt, die sehen aus wie Nutten. Jetzt sind’s wohl welche.“

Triumph schloss seine Fabrik 2002. In Europa kursierte damals ein Plakat: Ein Model mit einem BH aus Stacheldraht, auf seinem Bauch stand, man solle Brüste unterstützen, nicht Diktatoren. Tausende Birmaner wurden arbeitslos – und noch mehr, als die USA die Einfuhr birmanischer Textilien stoppten. Im Foyer steht Julius Georg Luy, der deutsche Botschafter, und begrüßt seine Gäste. Er wünscht anregende Gespräche, und schaut man sich um, könnte man meinen, er mache einen Witz. Der Vize-Außenminister fläzt sich auf einer Couch, während die Vertreter von Suu Kyis

Partei in einer Ecke außerhalb seines Blickfelds hocken. Die Botschaft hat sie so gesetzt. Drei Wochen ist Luy erst im Amt und weiß schon, es wird kein leichter Job hier. Bis in die achtziger Jahre war Deutschland Birmas engster europäischer Verbündeter. Deutsche Firmen exportierten Stahl, Maschinen oder Rüstungsgüter und bezogen Holz, Papier und Edelsteine aus diesem Land, das einmal das reichste Südostasiens war. 1988 putschten junge Generäle und ließen wählen, aber die Wahlsiegerin Aung San Suu Kyi sperrte man ein. Deutschland reagierte radikal. Stellte seine Entwicklungshilfe ein. Kappte diplomatische Drähte. Birma, dachte man, gehöre isoliert. Dabei wurde übersehen, dass das Land Europa gar nicht braucht. Es macht seine Geschäfte jetzt mit China oder Indien.

„Birma wird missbraucht“, sagt Bruns. Er glaubt, dass es nur darum gehe, sich vor der Welt als Hüter der Moral zu inszenieren, dafür eigne sich Birma so gut. „Auf die Chinesen ist man schließlich angewiesen.“ Dann endlich kommt auch Bieger. Er wirkt gereizt. Er hing den ganzen Tag am Telefon, weil die Lieferung einer Turbine klemmt. Statt per Schiff kommt sie nun über Land, durch gefährliches Gebiet. Bieger braucht eine Militäreskorte. „Der Bernd, der ist ein kleiner König in Rangun“, raunt Pfeiffer, während Bieger ans Buffet verschwindet. „Fritz Werner ist hier bekannter als Coca-Cola.“

Bieger kam Anfang der Achtziger, als die Junta Waffen brauchte, gegen Aufstände kleiner Völker. Seine Firma baute Fabriken, in denen das Sturmgewehr G3 hergestellt wurde, sowie Munitionsfabriken, Pulverfabriken, Messingwalzwerke. Plus zivile Fabriken für Reifen, Düngemittel, Fahrräder, Kugelschreiber. Biegers Kontakte waren exzellent. Staatspräsident Ne Win besuchte jedes Jahr den Firmensitz in Geisenheim; Fritz Werner bildete Lehrlinge aus, die in der Junta Karriere machten. Deutsche Botschafter fuhren vor dem Amtsantritt in Birma nach Geisenheim. Seit Europa militärische Geschäfte untersagt, kommen sie nicht mehr. Wenn er sich nun um ein Projekt bewirbt, sitzt Bieger stundenlang im Vorzimmer des Industrieministers, den er früher einfach angerufen hätte, und neben ihm sitzen Chinesen, Thais und Singapurer. Immerhin ist der Raum seit Kurzem überdacht.“Aber mal was anderes“, sagt Bieger: „Wann legen wir mal wieder einen an?“ – „Montag“, sagt Bruns, „wenn ich zurück bin aus dem Delta.“

Zwei Tage später schippert Bruns auf einem kleinen Holzboot über die Arme des Irrawaddys. Die Sonne steht tief, und Bruns, der quer im Rumpf des Bootes liegt, ist melancholisch. „Die Palme ist der schönste Baum der Welt“, sagt er. Bruns hat heute zum ersten Mal das Dorf besucht, das von den Spenden seiner deutschen Reisekunden aufgebaut wurde.

Es war ein guter Tag. 128 Hütten stehen wieder, so viele wie vor dem großen Sturm, und die Bewohner, die Bruns wie einen Außerirdischen ansahen, schienen glücklich. Als er sie fragte, ob sie je von Deutschland gehört hätten, von Olli Kahn, Franz Beckenbauer oder Adolf Hitler, da lachten sie verlegen. „Hitteler?“, fragte der Dorfvorsteher. Sie haben Bruns in ihre Schule geführt, die ein neues Dach braucht, junge Frauen wedeln ihm Luft mit Fächern zu. „Das gibt es nicht!“, ruft Bruns, als er eine alte Olympia-Schreibmaschine entdeckt. Im Wilhelmshaven seiner Jugend war Olympia der größte Arbeitgeber. 13.000 Leute haben da gearbeitet, bis der Computer kam.

Bruns streicht über die Tastatur, beinahe zärtlich. Als habe er gefunden, was er in Birma immer suchte: das Deutschland seiner Kindheit, die heile, unvernetzte Zeit. Die Stille einer Welt, in der ein Spiel wie Skat das Leben strukturiert.

Die Olympia-Schreibmaschine