Das Nargis-Märchen
Nargis war der Name eines Zyklons, der das Ayeyarwady-Delta am 3. Mai 2008 heimsuchte. Eine furchtbare Katastrophe, die vermutlich mehr als 100.000 Menschenleben kostete. In den Wasserwegen des Deltas stauten sich die Leichen. Daneben ungezählte Tierkadaver. Auch mein Haus in Yangon wurde von dem Sturm getroffen und ich zog mich nach Mandalay zurück. Dort erreichten mich zahllose Telefonate, E-Mails usw. von Freunden und Geschäftspartnern, die helfen wollten. Insgesamt spendeten sie über hunderttausend Dollar. Ich flog zurück nach Yangon und als ich dort ankam, sah ich am Flughafen stapelweise Hilfsgüter. Der größte Teil davon Trinkwasser in Plastikflaschen. Wir begannen mit den Einkäufen für unsere Hilfsaktionen und hatten zu keiner Zeit Probleme, in der Millionenstadt Yangon Hilfsgüter zu besorgen. Die Märkte waren voller Waren und konnten jeden Bedarf befriedigen.
Übrigens war das auch in anderen Städten (z. B. Pyapon, das unsere Basis für Hilfsaktionen wurde) der Fall, sodass wir später dazu übergingen, einen Teil der Hilfsgüter dort zu kaufen, und damit erhebliche Transportkosten einsparten. Man fragt sich natürlich, warum für teures Geld Trinkwasser in Plastikflaschen und Reis mit dem Flugzeug von Thailand oder sonst wo nach Yangon gebracht werden, wenn man diese Dinge problemlos im Lande selbst auf dem Markt kaufen kann. ‚Experten‘ aus Deutschland berichteten mir von einer Wasseraufbereitungsanlage im Wert von einer halben Million Euro, die man ins Land bringen wolle. Aber aufgrund der Sturheit der Regierung liege das Ding immer noch in Bangladesh auf dem Flughafen. Meine Freunde und ich hatten hingegen die Erfahrung gemacht, dass es völlig ausreichend war, ein paar Plastikplanen aufzuspannen und darin das Regenwasser (der Monsun hatte schon begonnen!) zu sammeln – Kostenpunkt 20 US Dollar! Erfüllt den selben Zweck, ist zudem noch unkompliziert. Und das ist nur ein Beispiel von vielen … Während unserer Fahrten im Delta trafen wir zahlreiche private unabhängige Helfer, die aus allen Teilen des Landes herbeigeeilt waren, um Hilfe vor Ort zu leisten.
Währenddessen tobte die westliche Presse: ‚Myanmars Regierung lässt das Volk verhungern, indem sie Hilfe von außerhalb der Region ablehnt!‘ und Ähnliches. Nun muss man dazu erst einmal Folgendes sagen:
Myanmar sieht sich keinesfalls in einer Liga mit den afrikanischen Staaten, die bei jeder der dort recht zahlreichen Katastrophen sofort die Hand ausstrecken, sondern – und das zu Recht – als eine alte Kulturnation, die durchaus in der Lage ist, ihre Probleme selbst in den Griff zu bekommen. Ich finde das eigentlich sehr sympathisch: Erst einmal auf die eigene Kraft zu vertrauen. Getreu dem amerikanischen Motto: If you are looking for a helping hand, start your search at the end of your own arm! Ich entsinne mich, dass die Volksrepublik China jahrzehntelang ausländische Hilfe kategorisch ablehnte: ‚Danke, aber man könne sich sehr gut selbst helfen!‘ – fanden wir damals in unserem revolutionären Eifer echt gut! Das hat aber nicht zu solchen Tiraden geführt wie im Falle Nargis. Wenig hilfreich war auch die Tatsache, dass der amerikanische Präsident Bush (und sogar seine Frau …) sofort damit begann, auf die burmesische Regierung einzudreschen. Schließlich hatten die Amerikaner ihre Kompetenz ja gerade bei dem Wirbelsturm Katrina in New Orleans unter Beweis gestellt … Und als dann auch noch die Rede davon war, das Delta nötigenfalls militärisch zu besetzen (die Kriegsschiffe lagen schon vor der Küste Myanmars), um effizient helfen zu können, läuteten bei den hiesigen Militärs alle Alarmglocken! Und gleichzeitig freuten sie sich: Da war er endlich, der Beweis für die neo-kolonialistische Bedrohung! Kurz gesagt, alles lief irgendwie in die falsche Richtung!