On the Road
Bis Mitte der 70er-Jahre war ich ein Reisemuffel. Als ich es mal nach England und Schottland schaffte, war ich schon echt stolz. Während meine Kumpel nach Indien und Amerika fuhren, vertrat ich die Ansicht ‚Bleibe im Lande und nähre dich redlich‘! Das änderte sich 1975, als mein Kommilitone Ebbi mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, mit nach Thasos (Griechenland) zu kommen. Er und seine Freundin Uschi wollten mit seinem Auto runterfahren und sie suchten wohl noch jemanden, der sich an den Fahrtkosten beteiligte. Und ich sagte JA. Das war der Beginn einer Reisekarriere, die mich durch die halbe Welt führte. Am Ende dieser Karriere landete ich in Myanmar, wo ich seit 25 Jahren lebe. Aber reisen tue ich immer noch gern. Für die meisten meiner Kumpels war die Herumreiserei nur eine (meist kurze) Phase ihres Lebens. Von der sie heute noch schwärmen. Ich aber, der Reisemuffel von damals, gehöre seit langer Zeit zum ‚harten Kern‘. Wie meine Kumpels Schorri und der leider verstorbene Heini Afghan. 1975 begann ich meine ‚Reisekarriere‘, zuerst mit Rucksack.
Ich schaukelte in schrottreifen Bussen und Eisenbahnwaggons durch die Gegend. Die ich später durch ‚seriösere‘ Transportmittel ersetzte. Ich wohnte in typischen Traveller-Hotels, die alle schon bessere Tage gesehen hatten. Manche wurden mir gar zur zweiten Heimat. An andere, die z. T. nur 50 Pfennig kosteten, entsinne ich mich weniger gern. Sehr bald kam mir die Idee, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Das war der Beginn meiner Tätigkeit als Geschäftsmann (Flohmarkt, Mandalay). Meine (vorläufige) Erfüllung fand ich als Reiseleiter.
Hatte ich als Hippie Pauschalreisende mitleidig belächelt, so änderte sich das schlagartig, als ich meine Reiseleiterkarriere begann. Ich fuhr mit der Touri-Truppe durch Rajasthan. Und muss gestehen, nie zuvor innerhalb so kurzer Zeit so viel gesehen zu haben. Überall stand der Bus bereit, ich wohnte in Top-Hotels und alles war super organisiert, sodass man sich dem eigentlichen Zweck einer Reise widmen konnte: Dem Schauen und Reisen! Und statt Dauerdünnschiss litt ich an Verstopfung! Die lokalen Partner, die Busfahrer und Hotelangestellten, waren sehr nette Leute – ganz anders als jene Schlepper und Gauner, mit denen man als Traveller zu tun hatte: Die für mich so wichtigen vermeintlichen ‚Kontakte’ zu Einheimischen! Und sie konnten passabel Englisch, wussten über ihr Land Bescheid. Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren: Ich war fast zwanzig Jahre lang einer Fata Morgana nachgerannt!
‚Ankommen‘ in der Fremde
Ich war selten damit zufrieden, einfach nur irgendwo hinzufahren. Ich wollte mehr! Wollte in die Kultur der Länder eintauchen, sie verstehen! Einer der Wege dorthin war das Erlernen von Sprachen. Englisch ist natürlich Voraussetzung, um sich überhaupt
unterwegs verständigen zu können. Daneben versuchte ich mich an drei exotischen Sprachen: Tamilisch, Indonesisch und Burmesisch. Mehr oder weniger erfolgreich. Neben der Sprache gibt es natürlich auch andere Wege zum Verständnis fremder Kulturen (wobei Sprachkenntnisse auch in dieser Hinsicht von großem Nutzen sind). Da wären z. B. die Religion und die schönen Künste zu nennen. Ich benutze immer gern das Bild einer Arena mit mehreren Eingängen: Einer heißt z. B. Religion, ein anderer Sprache, wieder ein anderer Musik. Egal, welchen Eingang man benutzt, am Ende kommt man ins Zentrum. Und das bedeutet in Asien in den meisten Fällen – Religion! Mein Eingang hieß – Theater! Genauer gesagt: Figurentheater! Dabei spielte der Zufall eine wichtige Rolle. Ich begann in Berlin einen Handel mit Theaterfiguren aus Asien. Am Ende stand eine Dissertation über das burmesische Marionettentheater. Viele Theaterwissenschaftler vertreten die Ansicht, dass sich das Theater aus dem Totenkult entwickelt hat. Dieser Zusammenhang ist im modernen westlichen Theater weitgehend verloren gegangen. Abgesehen davon vielleicht, dass viele Vorstellungen zum Sterben langweilig sind. Zumindest für mich! Neben meiner Spezialdisziplin, dem burmesischen Marionettentheater, habe ich mich intensiv mit dem Figurentheater Indonesiens beschäftigt, das einen großen Reichtum an Formen aufweist. Allein in Java gibt es neben dem berühmten Schattentheater (wayang kulit) noch etliche weitere Formen: Das Stabpuppentheater (wayang golek), das wayang klitik (gespielt mit flachen Holzfiguren) oder das wayang beber in denen Geschichten auf Rollbildern dargestellt werden. Auf anderen Inseln (wie z. B. Bali oder Lombok) gibt es regionale Sonderformen, die sich von den javanischen Vorbildern deutlich unterscheiden. Bei den indonesischen Theaterformen mit menschlichen Darstellern (wayang orang, wayang wong) lässt sich – nach meiner Ansicht – eine Entwicklungskette verfolgen, die von den tau taus der Torajas in Sulawesi über die si gale gale der Batak und das Maskentheater wayang topeng bis hin zu den genannten klassischen Tanztheaterformen führt.