Meine kleine Konzerthistorie

Ja, ja, weiß schon, was jetzt kommt: Erst motzt er gegen die APO-Opas und jetzt entpuppt er sich selbst als einer! Wenn auch auf einem anderen Feld: dem der populären Musik. Da ist sicherlich was dran. Was mich allerdings nicht davon abhält, meine ‚Konzertgeschichte’ zu erzählen, in der sich viele wiederfinden werden. Und die einiges aussagt über die Veränderungen in der Gesellschaft in den letzten fünfzig Jahren.

In meiner Heimatstadt war in der Beat-Ära Mitte der 60er richtig was los: In den Clubs spielten lokale Bands und gelegentlich waren dort sogar Bands aus dem Ausland längerfristig engagiert: The Creation z. B., damals unter dem Namen Kenny Lee & The Mark Four. Für mich war das Gastspiel von Herman Broods Band – The Moans – der Höhepunkt der Rockchronik der Jadestadt. Zwar kamen zum Ball der Jugend auch bekannte Bands wie die Rattles, die Lords, Casey Jones & the Governors, Lord Sutch oder gar Johnny Kidd & The Pirates (‚Shakin’ all over’). Verglichen mit Herman Brood waren sie für mich alle zweitklassig. The Moans spielten in einem Club namens Farmer Bill. Die Bühne war so klein, dass die Mikrofonständer an der Decke angeschraubt waren. Und auf dieser Mini-Bühne schafften sich fünf Mann und Herman

rockte wild hin und her. Direkt vor der Bühne war die Tanzfläche, die Musiker sozusagen in Griffweite. Und wir haben schon geschwitzt, da unten auf der Tanzfläche. Wie muss es erst Herman Brood und seinen Leuten ergangen sein. Eine der seltsamsten Band, die bei uns auftraten, waren die Monks. Die wurden von einigen Experten als Band betrachtet, die ihrer Zeit weit voraus war. Worüber sich trefflich streiten lässt.

Zu Beginn der Beat-Ära gab es keine Kluft zwischen dem Publikum und den Musikern – zumindest empfand ich das so. Wir alle waren Teil einer Aufbruchsbewegung, die später auch politisch spürbar wurde – Stichwort APO! Die Musiker standen halt auf der Bühne und wir tanzten unten – aber die Distanz, die im Laufe der Jahre immer mehr wuchs, gab es damals für mich noch nicht. Diese im besten Sinne des Wortes hautenge Verbindung hat meine Vorstellung von Wir-Gefühl geprägt: Dass es keinen Unterschied zwischen den Künstlern und dem Publikum gibt; außer, dass Erstere sich halt künstlerisch betätigen. Deswegen mochte ich auch Bands nicht, die in Einheitskleidung (womöglich noch mit Schalkragenjacke …) auf der Bühne standen – das schuf eine unerwünschte Distanz.

In Berlin war in Hinsicht auf Konzerte erheblich mehr los. Dort sah ich Anfang der 70er die Stones in der Deutschlandhalle, Pink Floyd im Sportpalast, John Mayall in der Kongresshallee. Das waren dann schon Konzerte mit Tausenden von Zuschauern, in denen man sich etwas verloren vorkommen konnte. In den 80ern sah ich die Einstürzenden Neubauten (mit Enzian-Einlage des ‚Wahren Heino’) und Mink de Ville im Metropol-Theater am Nollendorfplatz. Dort erlebte ich auch ein Konzert von Screaming Jay Hawkins. Der hatte durch den Film Stranger than Paradise, in dem sein Song I put a spell on you als Leitmotiv diente, einen späten Popularitätsschub erlebt.

Ein toller Song, der von vielen Großen (Nina Simone, Van Morrison, Eric Burdon u. a.) gecovert wurde. Keine Coverversion erreichte jedoch die Intensität des Originals. In den 80ern begann auch die bis heute anhaltende Revival-Ära, in der man die Größen der Sixties und Seventies (so z. B. die Troggs im Quartier Latin) hautnah erleben konnte. Was meist desillusionierend war: Wer will schon einen fetten, alten Reg Presley auf der Bühne sehen, der sich nach jedem dritten Song erst mal zum Verschnaufen hinsetzen muss? Und immer der bedrückende Gedanke: Sehe ich vielleicht schon genau so alt aus? 

DER Held meiner Jugend!

Der Höhepunkt dieser ‚Konzertkarriere’ fand in der unscheinbaren Diskothek Paresü in Berlin-Steglitz statt. Es muss in den frühen 80ern gewesen sein: Ich traute meinen Augen nicht, als in der ZITTY stand, dass Bo Diddley dort auftreten würde. Bo Diddley! Mein Held! Der Erfinder des besten Riffs des Rock ’n’ Roll: Dam da dam dam, dam dam!! Unglaublich! Und da stand er nun, drei Meter entfernt von mir! Mit der eckigen Gitarre, dem Cowboyhut und der Brille. Und sang – wie immer – über sich selbst: Hey Bo Diddley, Oh, Bo Diddley, Bo Diddley 1969 – und natürlich Road Runner! Unvergesslich! Ein Mann ohne Starallüren, der mit den Zuschauern (überwiegend schwarze US-Soldaten) plauderte!

Dann 2011 der absolute Downer, das teuerste Konzert meines Lebens: Bon Jovi im Olympiastadion München. Ticketpreis: 180 Euro! Für diesen nicht unerheblichen Betrag bekamen wir einen Sitzplatz etwa 150 m entfernt von der Bühne. Wie, um Himmels willen, kam ich da hin? Ganz einfach: Eine burmesische Freundin, die mich auf einer Deutschlandreise begleitete, war Fan der Gruppe und wollte unbedingt (!!) da hin. Womit ich 360 Euro los war! Vor dem Stadion unzählige Stände, in denen Fanartikel für Schweinepreise verkauft wurden. An die Vorgruppe erinnere ich mich nicht mehr. Nach einer gefühlten Ewigkeit fuhren drei schwarze Limousinen ins Stadion und hielten 

hinter der Bühne. Ihnen entstiegen unter allgemeinem Jubel ein paar winzige Männeken. Nach ein paar Minuten kamen sie raus und begannen ihre Show. Zum Glück waren riesige Leinwände aufgebaut, sodass man die Musiker wenigstens halbwegs erkennen konnte. Bon Jovi sprang auf dem Podium herum und lief den Laufsteg auf und ab. Um uns herum saßen mittelalte Frauen. Sie standen in regelmäßigen Abständen auf und schwenkten – offensichtlich völlig begeistert – Feuerzeuge und Handys. Und sangen mit. Deprimierend! War froh, als es vorbei war. So ändern sich die Zeiten!