Ostfriesland - die ganze Wahrheit

Ostfriesland: Bertelsmanns Volkslexikon weiß Folgendes zu berichten: ‚Küstenlandschaft im nördl. Niedersachsen, zw. Ems- und Wesermündung, mit  den Ostfries. Inseln Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangeroog; Hauptst.: Emden.‘ Etwas ausführlicher wird Meyers Taschenlexikon: ‚Das zentrale O. wird aus einer waldarmen Geestplatte aufgebaut, deren Höhe unter 20 m ü. d. M. bleibt. Im S. schließt sich das Hunte-Leda-Urstromtal an mit Niederungsmooren, die erst in der Neuzeit kultiviert wurden (Fehnkolonien, Moor- und Marschhufendörfer). Im N. legt sich um die Geest ein bis über 10 km breiter Marschengürtel (eingedeicht, Neulandgewinnung in Poldern). Milchviehhaltung, Anbau von Weizen und Hülsenfrüchten, an der Küste Fischerei: Erdgasvorkommen‘. Außerdem wird noch aus der Geschichte O.s berichtet, das schon in der Steinzeit besiedelt war, von Bauernrepubliken und Häuptlingen wie Ukena und Cirksena, dem Upstalsboom und letztlich vom Königreich Hannover, zu dem es auch mal gehörte. Als Kind besaß ich ein klar ostfrieslandzentrisches Weltbild. Es gab Westfriesland, O. und Nordfriesland, alles südlich davon bis zum Alpenrand war einfach Südfriesland! Es ist leider bis heute in der Welt nur wenig bekannt, dass O. die Wiege der menschlichen Kultur ist – typisch ostfriesische Bescheidenheit, das nicht an die große Glocke zu hängen.

Ostfriesen - damals und heute: Graf Edzard
Die Quaede Folke
Deicharbeiter

Jedoch hat der Pfarrer und Hobbyarchäologe Jürgen Spanuth schon vor langer Zeit nachgewiesen, dass Atlantis bei Helgoland lag. Wer kann diesen ganzen Quatsch denn glauben, dass es beim heutigen Santorini oder sonst wo im Mittelmeer gelegen habe? (http://www.karmantan.de/atlantis_helgoland.html)  Herodot ist da sehr deutlich: Atlantis liegt jenseits der Säulen des Herkules – sprich Gibraltar! Noch heute kann man auf dem Meeresboden vor der Roten Insel die Ruinen sehen, wenn man dem Pfarrer Glauben schenken darf – und wer täte das nicht? Der Ethnologe Prof. Hans Peter Dürr aus Bremen hat hier dankenswerterweise eine weitere Lücke – zumindest teilweise – geschlossen. Im FOCUS Nr. 12/2008* wurde unter dem Titel ‚Kretas Hochkultur im Watt‘ von hochinteressanten Funden ‚kretischer‘ Keramik sowie  Lanzenspitzen aus Bronze und ‚minoischen‘ Siegeln berichtet. Auch sein Kollege Prof. Matthäus aus Erlangen bestätigt, * https://www.focus.de/wissen/natur/kretas-hochkultur-im-watt-bronzezeit_id_2525354.html

 ‚… dass es Beziehungen zwischen der Ägäis und dem hohen Norden gegeben hat‘. Leider ziehen die beiden den falschen Schluss: Nicht die Kreter brachten den Friesen die Kultur, sondern umgekehrt – von ihrer Hauptstadt Atlantis aus! Wir müssen daher von friesischer Keramik in den Palästen der Minoer ausgehen – so wird ein Schuh daraus! Aber es wird hoffentlich nicht mehr lange dauern, bis die Wahrheit ans Licht kommt! Die aus dem untergehenden Atlantis flüchtenden Ur-Ostfriesen sind dann offenbar mit seetüchtigen Torfbooten in die ganze Welt hinausgefahren, um auch andere Völker an ihrer Hochkultur teilhaben zu lassen. Aber wie haben sie das geschafft? Torf schwimmt ja nun wirklich nicht so gut! Der Fund eines Torfbootes im Berumfehner Moor brachte Licht ins Dunkel: Die Torfsoden waren in Bienenwachs getränkt und wurden somit praktisch unsinkbar! Das wäre doch mal ein Fall für Herrn Däniken – Thor Heyerdahl ist ja leider schon tot!

Eigennamen sind der Friedhof einer Sprache – so heißt es nicht selten. Der weit gereiste Chronist stieß in den von ihm bereisten Weltgegenden auf unzählige Wörter, deren ostfriesischen Ursprung nur ein Ignorant abstreiten würde: Da haben wir z. B. den Begriff ‚Watt‘ oder ‚Wat‘? – im Thailändischen gibt es den ebenfalls und er bedeutet Tempelanlage bzw. Kloster. Und warum heißt Auspuff im Indonesischen ‚Knalpot‘? Erstaunlicherweise gibt es dort das Wort ‚Knallkopp‘ nicht, obwohl das ja nahe läge angesichts der vielen Knallköppe da unten. Oder war es ihnen einfach peinlich, und sie strichen es nach dem Abzug der Ostfriesen aus ihrem Vokabular? In meiner Wahlheimat Burma ist alles anders.

Die Mutter riet mir im Winter stets: „Junge, halte die Füße warm und den Kopf kühl!“ Guter Tipp! Und was machen die Burmesen? Wickeln sich bei null Grad (kommt im Shanstaat schon mal vor) ein Handtuch um den Kopf und laufen barfuß. Aber selbst in dieser abgelegenen Weltgegend finden sich friesische Sprachrelikte: Warum ist dort ‚Jade‘ (dürfen, bekommen usw.) das mit Abstand am meisten gebrauchte Wort? Die Burmesen haben sogar – kreativ wie sie sind – eine nicht einmal in O. bekannte Verneinungsform gebildet: Majabu! Die Beispiele ließen sich endlos fortsetzen, aber wer jetzt noch nicht überzeugt ist, dem ist eh nicht zu helfen.

Das Wilhelmshavener Heimatlexikon hat natürlich (auf zig Seiten!) viel mehr darüber zu berichten, so z. B. vom gleichnamigen Linienschiff der Kaiserlichen Marine. Es erwarb sich unsterblichen Ruhm als das – angeblich – erste ‚Schlachtschiff‘ der Welt, das im Rahmen von Erprobungen der US Navy von Bombern versenkt wurde, die von einem Flugzeugträger gestartet waren: So weiß es zumindest Clark G. Reynolds, dessen Buch ‚Flugzeugträger‘ ich in der Bahnhofsbuchhandlung in – natürlich – Wilhelmshaven kaufte!

SMS Ostfriesland

Wiewohl dies alles sicherlich gut und richtig ist, vermag es aber wie schon gehabt nur einen sehr beschränkten Eindruck dessen zu vermitteln, wie die ostfriesische Realität von W’havener Jugendlichen eingeschätzt wurde. Für uns war es die Heimat der ‚Ossis‘, kulturell rückständiger Bauern, die alle Pladdütsch sprachen und in der Weltstadt an der Jade durch ihr linkisches Wesen und ihre Kleidung ins Auge stachen. O. begann für mich hinter Cafe Hillmers, wenn auch viele behaupteten, dass der Landkreis Friesland gar nicht zu O. gehörte. Wie auch immer, die Bewohner des Landkreises unterschieden sich in keiner Weise von denen Wittmunds oder Auerks. Ich entsinne mich, mit meinem Vater als kleiner Junge über Land gefahren zu sein, um den Bauern dort Gebrauchtwagen zu verkaufen. Da er gut Pladdütsch konnte, hatte er bei den Ossis einen Stein im Brett – üblicherweise standen sie Städtern skeptisch gegenüber! Wenn der Besucher dann auch noch berichtete, dass sein Opa aus Sandbauernschaft kam, wurden wir ins Haus gebeten. Nun, die Zeiten, da es den Bauern so gut ging wie in der Hamsterzeit, als sie die Schweineställe mit Perserteppichen auslegten, die sie gegen einen Schinken eingetauscht hatten, waren längst vorbei.

Die Ossis lebten in großen Bauernhäusern, die von außen besser aussahen als von innen: Es war ziemlich düster, was nicht zuletzt an den winzigen Fenstern lag. In der dunklen Wohnstube wurde erst einmal Tee getrunken. Dazu servierte eine ganz in Schwarz gekleidete Greisin mit Schürze über dem Kleid trockene Kekse,

 die vermutlich noch aus ihrer Kindheit stammten. Wie überrascht war der Knabe, als er hörte, dass diese alte verhutzelte Frau erst 50 war! Während die Männer draußen das Geschäftliche regelte, saß ich verschüchtert auf einem Ungetüm von Sofa mit Spitzendeckchen und beantwortete einsilbig neugierige Fragen der Alten („Na, mien Lütten, wo heet du dann?“). Wozu sie einem noch mit ihrer schwieligen Hand die Wange tätschelte. Dann nahm sie wieder in ihrem Schaukelstuhl Platz, legte mitten im Sommer eine karierte Decke auf ihre Beine, setzte eine Nickelbrille auf und begann zu stricken. Es roch nach faulen Äpfeln und Rauch, Fliegen summten durch die Luft (um letztlich am Fliegenfänger kleben zu bleiben), eine alte Standuhr tickte, der Schaukelstuhl quietschte leicht, die Stricknadeln klapperten und draußen muhte eine Kuh: Man fühlte sich in die Gute Saat versetzt! Es war wie eine Erlösung, wenn der Vater zurückkam, mit dem Bauern noch einen Doornkaat trank und man den Heimweg antreten konnte. Meine Wortkargheit war nicht zuletzt der Tatsache zuzuschreiben, dass meine Kenntnisse des Pladdütschen fast ausschließlich auf die Wörter beschränkt waren, die in den Liedern Lütt Matten de Haas, Nordseewellen und In Ostfreesland is’t am besten! sowie Fassnacht Fassnacht angefang‘ vorkamen. Hinzu kamen noch Moin!, Snött, slickern und Unnerbüx. Sogar komplette Sätze beherrschte ich: „Haugeihtdidat?“ oder „Wat mutt dat mutt“. Besonders stolz war ich auf das schwierige Wort ‚Mötköttnött‘ – hatte mir Tante Engeline (von meiner Berliner Freundin spöttisch zu ‚Engerling‘ verfremdet) beigebracht!

Du willst wissen, wie es weiter geht? Mit einer kleinen Auswahl friesischer Namen und ihrer Deutung, mit einer Würdigung des Films ‚Schnaps im Wasserkessel‘ und einer Analyse einer Flens-Pils-Werbung! Demnächst in diesem Theater, äähh – auf dieser Website! 

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