Birmanisches Marionettentheater
Erschienen 1990 im Selbstverlag, gedruckt bei Systemdruck, Berlin, 161 Seiten (schwarz-weiß), Vertrieb: Mandalay, Berlin
Mein erstes ‚richtiges‘ Buch erschien 1990. Bis dahin hatte mir nicht vorstellen können, dass ich jemals ein Buch zustande bringen würde. Es passte einfach nicht zu mir als Kind einer Arbeiterfamilie, so meine Meinung. Das Buch hat eine sehr interessante Vorgeschichte. Ende der 70er-Jahre begann ich in Berlin einen Handel mit ‚Asiatika‘, d. h. in Asien gekauften – nennen wir sie mal – kunstgewerblichen Artikeln. Zuerst verkaufte ich sie mit meinen Partnern auf dem Berliner Flohmarkt. 1993 eröffneten wir das Geschäft Mandalay am Kurfürstendamm. Burmesische Marionetten waren ein echter Verkaufsschlager, da sie in Deutschland bis dahin – wenn überhaupt – nur sehr schwer zu bekommen waren.
Irgendwann kam uns der Gedanke, es mal mit einer Anzeige im Cloumarkt der ZEIT zu versuchen. Das brachte uns sehr voran. Die Gewinnspanne bei Marionetten war gut, da wir keine Konkurrenz hatten. Nur eines trübte die Freude: Leute, die 300 DM für eine Marionette ausgeben, sind neugierig! Sie wollen mehr darüber wissen. Die Neugierigste unter allen war Frau Dr. Hentschel, die bald eine kleine Sammlung zusammenhatte. Sie löcherte mich mit Fragen zu den Marionetten. Die ich nur unzureichend beantworten konnte. Ich habe ihr übrigens ein kleines Denkmal in meinem Buch Ich hasse Uschi Obermaier gesetzt: Eggman – Sammler im Rausch!
Was tun? Ich fühlte mich in der Pflicht, meinen Kunden mehr über die Marionetten sagen zu können. Da ich zu der Zeit oft in Burma unterwegs war, versuchte ich, mir dort Informationen zu beschaffen. In dem Heftchen Burmese Culture wurde ich fündig. Leider war es eher oberflächlich, aber zusammen mit Informationen meiner Lieferanten reichte es aus, selbst eine kleine Broschüre zusammenzustellen, die ich an meine Kunden verteilte. Dafür wurde mir viel Lob zuteil. Mitte der 80er-Jahre lernte ich durch Vermittlung der deutschen Botschaft in Rangoon den burmesischen Schriftsteller Hla Htamein kennen. Ein sehr rühriger Mann, der m. W. mehr als hundert Bücher zu den unterschiedlichsten Themen in burmesischer Sprache geschrieben hat. Er sprach sehr gut Englisch, und das war wohl auch der Grund dafür, dass er 1965 zwei Puppenspielerinnen aus der als Hochburg der Kunst geltenden Tschechoslowakei als Übersetzer zur Seite gestellt wurde. Sie sollten im Auftrag der Regierung erforschen, wie das seinerzeit am Boden liegende traditionelle Marionettentheater des Landes wiederbelebt werden könnte. Leider kamen die Damen kurz danach bei einem Flugzeugabsturz in Algier (?) ums Leben, sodass ihre Aufzeichnungen verloren gingen. Glücklicherweise hatte der Übersetzer immer fleißig mitgeschrieben, sodass die Informationen nicht verloren gingen. 1968 veröffentlichte Hla Thamein in burmesischer Sprache das Buch Myanmar Yup-the Tha-bin, das als Standardwerk gelten kann. Ich unterhielt mich mit dem Mann und wir kamen überein, zusammen ein Buch über das Thema in deutscher Sprache zu schreiben. Sein Buch (das er glücklicherweise privat ins Englische übersetzt hatte), sollte als Grundlage dienen. Und so geschah es. Ich lernte sehr viel über ein Thema, das bisher außerhalb Myanmars kaum erforscht war. 1990 begann ich als Gasthörer an der Humboldt-Universität in Berlin Burmesisch zu studieren. Das half mir sehr weiter, besonders bei der Abfassung des Glossars. Ende 1990 war es dann so weit. Das Buch erschien in einer Auflage von 300 Exemplaren und ist schon lange nicht mehr lieferbar. Ich habe aber noch ein paar Kopien anfertigen lassen.
Was sich daraus ergab, war ebenso erstaunlich wie wunderbar. In Windeseile hatte sich in interessierten Kreisen offenbar herumgesprochen, dass sich jemand in Berlin mit dem Thema beschäftigte. Der Erste, der mich ansprach, war Prof. Purschke, ein
bedeutender Forscher des Figurentheaters, Herausgeber der Zeitschrift Perlicko-Perlacko. Es folgten Museen, die mich baten, ihre Marionettensammlung zu bearbeiten. Dort traf ich viele interessante Menschen. Auf einmal war ich Teil einer Welt, von deren Existenz ich bis dahin kaum etwas geahnt hatte. Ich freundete mich mit Herrn Monti, dem Leiter der berühmten italienischen Marionettenbühne Carlo Colla (Milano) an. Er bat mich, ihm Ersatz-Glasaugen für seine Marionetten aus Burma zu besorgen, da diese in Murano nicht mehr gefertigt würden. Ein Wunsch, dem ich gern nachkam. Als wir noch indonesische Theaterfiguren in unser Angebot aufnahmen, knüpfte ich viele Kontakte zu Puppenspielern und Experten dort und lernte viel über das wayang Indonesiens allgemein und über die Stabfiguren des wayang golek speziell. Die Welt des Theaters hatte mich in ihren Bann gezogen. Und bis heute nicht losgelassen. Noch wichtiger für mich wurden später meine Kontakte zur Humboldt-Uni. Frau Annemarie Esche, ihr Mann Otto und Uta Gärtner, eine meiner Lehrerinnen dort, wurden später gute Freunde. Sie halfen mir sehr bei meiner Dissertation.
Doch kommen wir zum Buch. Es beginnt mit einem Überblick über die Geschichte des burmesischen Marionettentheaters, das seit dem 15. Jahrhundert A. D. dokumentiert ist. Während der Konbaung Dynastie (1752-1885) war es die führende darstellende Kunstform des Landes. Es folgt ein Kapitel über den Aufbau der Marionetten. Die Theaterfiguren sind in der Regel sehr aufwendig gearbeitet und lebensnah gestaltet. Heutzutage werde Marionetten fast ausschließlich für den Verkauf an Touristen hergestellt. Darunter hat die Qualität sehr gelitten. Im 3. Kapitel wird die Vorstellung detailliert beschrieben, desgleichen die verschiedenen Charaktere auf der Bühne. Im burmesischen Marionettentheater wurden lange Zeit ausschließlich religiöse Themen behandelt, z. B. Geschichten aus der Buddhavita, Jatakas, Pagodengeschichten. Es stand unter der Schirmherrschaft des Königs höchstpersönlich und genoss höchste Protektion. Nach der von den Briten erzwungenen Abdankung des Königs nahmen etliche Bühnen auch ‚leichtere Kost‘ in ihr Repertoire auf. Es folgen Kapitel über das Ensemble der Marionettenbühne und weitere über Innovationen, berühmte Puppenspieler usw. Ein Glossar (Burmesisch-Deutsch) rundet die Sache ab und am Ende gibt es noch Porträts berühmter Puppenspieler. Noch heute, 30 Jahre nachdem ich es geschrieben habe, nehme ich es gern zur Hand. Ich kann mich gut entsinnen, wie ich an den Formulierungen gefeilt habe, bis ich endlich zufrieden war. Ein großes Kompliment erhielt ich von Prof. S., den ich damals im Zusammenhang mit meiner geplanten Dissertation zu dem Thema ansprach. Er sagte mir: ‚Worüber wollen sie denn noch schreiben? In dem Buch ist doch alles gesagt!‘. Und das auf nur 161 maschinengetippten Seiten im DIN-A-5-Format! Ich tat es aber trotzdem und im Jahre 2000 erschien meine Dissertation zu dem Thema. Sieben Jahre später folgte Burmese Marionettes (in englischer Sprache), eine Zusammenfassung meines ersten Buches und meiner Dissertation. Standardwerk!