Voll stoned im FDGB-Ferienheim
LSD-Trips fehlten auch 1971 bei einem Ausflug in den Osten nicht! Als ich meine Freundin Molly im Erzgebirge besuchte, warfen wir am Wochenende abends einen Trip ein. Für sie war es das erste Mal im Leben, während ich regelmäßig auf die Reise ging. Wir beschlossen, zum Abendessen in ein FDGB-Ferienheim zu laufen, das mitten im tief verschneiten Wald lag. Dort sollte richtig was los sein – Musik und Tanz! Die Wanderung durch den Wald war phantastisch! Die vom Schnee überzuckerten Bäume erschienen uns wie Marmorbüsten: Da grüßte ja der alte Goethe! Und da stand Caesar! Und – Moment mal: War das nicht meine Hauswartsfrau aus dem Wedding? Was hatte die in dieser erlauchten Gesellschaft zu suchen? Na, ist ja auch egal, die wird schon ihre Gründe haben. Ich grüßte sie freundlich und wir gingen weiter.
Irgendwann erreichten wir total verfroren unser Ziel. Hast du schon mal ein FDGB-Ferienheim besucht? Ein Schützenfest in Ostfriesland ist dagegen ein Punkertreffen! Wie auch immer, wir setzten uns in die Wilhelm-Pieck-Stube und bestellten einen Teller Soljanka und eine Flasche Wein, um die Lebensgeister wieder zu wecken. Anschließend bezahlte ich die Dirndl tragende Kellnerin und wir gingen raus, ohne uns weiter zu kümmern. Inzwischen waren wir halbwegs wieder aufgetaut und folgten neugierig dem Klang der Musik, die aus dem Tanzsaal herüberschallte. Und dort schwoften verdiente Werktätige zum Sound einer Band, die Bata Illics Kopie des Johnny Tillotson Hits Judy, Judy, Judy in einer Art und Weise verhunzte, die echt hörenswert war. Als ich diese schrägen Typen mit ihren Schalkragenjacken und die Tanzenden
sah, kam mir die Erinnerung an den Polanski-Film Tanz der Vampire: Untote auf der Tanzfläche- und die amüsierten sich königlich. Zum Glück war kein Spiegel im Saal – sonst wären wir noch aufgeflogen! Die Untoten versuchten gar, uns in eine Polonaise reinzuziehen – too much!
Wir flüchteten zur Tür des Ballsaals und sahen dem irren Treiben aus sicherer Entfernung zu. Da kam die Kellnerin und fragte mich im breitesten erzgebirgisch, ob sie uns mal sprechen könnte. Mir fiel die Kinnlade runter: Die hatte was gemerkt! Die Gedanken schossen durch den wabernden Drogennebel in meinem Gehirn: Draußen stand wahrscheinlich schon mit laufendem Motor der Barkas von Mollys Arbeitgeber, um uns einzuliefern: Magen auspumpen, Zwangsjacke – die hatten ja hier keine Ahnung von solchen Sachen! Am nächsten Tag eine Meldung im Erzgebirgischen Boten: ‚Westdeutscher Drogensüchtiger verführt unschuldige Genossin!‘. Wahrscheinlich müsste ich den Rest des Lebens hier in der Klapse verbringen und enden wie Jack Nicholson im Kuckucksnest. Mit etwas Glück würden sie mich vielleicht an Bonnies Ranch in der ‚Selbstständigen Politischen Einheit Westberlin‘ ausliefern. Was denn los sei, fragte ich. „Haben Sie mir nichts zu sagen?“ – „Nicht, dass ich wüsste, was sollte das denn sein?“ fragte ich betont unschuldig„Na, vermissen Sie denn gar nichts?“. „Nein, was soll ich denn vermissen?“ „Na überlegen Sie doch mal: Sie haben mir einen Fünfzigmarkschein gegeben, aber Ihre Zeche war nur dreineunundachtzig! Hier ist Ihr Wechselgeld!“. Puhhhh! Mir fiel ein Stein vom Herzen. Sie gab mir die Kohle und lehnte die angebotenen fünf Ostmark Finderlohn ab – sozialistische Ääährlischkeit!