The loos of Berlin - mein Kampf ums Innenklo

… the glory of the plumber’s art, triumph of sanitation – long live the loos of England!’

So sang Dave Dee (The Loos of England) 1967. Im wohlbehüteten Elternhaus wäre es mir nie in den Sinn gekommen, mal ein Problem damit zu haben. In der neuen Heimat musste ich jedoch zur Kenntnis nehmen, dass es beileibe nicht selbstverständlich war, ein sauberes Klo für sich selbst zu haben.

Was die Unterkünfte zu Beginn meiner Berliner Zeit anbetrifft, kann man heute kaum guten Gewissens vom Wohnen sprechen – ‚Hausen‘ wäre passender! Doch damals wohnten/hausten viele Einwohner der Stadt so; so fand man es ‚normal’, in einer Bruchbude zu leben. Natürlich hätte keiner Einwände gegen eine bessere Wohnung gehabt. Es fehlte nicht an Versuchen, etwas Besseres zu finden. Letztendlich scheiterten alle Bemühungen am Geld. Eine ‚menschenwürdige’ Wohnstätte war für mich in erster Linie eine mit Innentoilette oder gar Bad. So träumte ich wie alle Bruchbudenbewohnern den Traum vom Innenklo! Gemeinhin verlief die ‚Lokuskarriere’ armer Neuberliner in folgenden Abschnitten:

Stufe 1: Abtritt auf dem Hof – blieb mir zum Glück erspart.

Stufe 2: Klo im Haus – Bis zu zehn Mietparteien teilten sich vier Klos auf dem Dachboden/Keller

Stufe 3: Donnerbalken auf halber Treppe für die (in der Regel zwei) Mieter einer Etage. Meine Freunde Günner und Susanne hatten Glück, denn deren Mitbenutzer hatte seine Wohnung bereits renoviert. So benötigte er die Örtlichkeit ‚halbe Treppe’ nicht mehr. Damit war fast schon

Stufe 4 erreicht: das Außenklosett exklusiv für eine Mietpartei und nur einen Schritt entfernt von

Stufe 5: der Innentoilette, Traum aller Abortraumatisierten.

Das Außenklo auf dem Dachboden
Stoni - der ECHTE!!

Der Traum wurde wahr: Und zwar nach dem Umzug in eine Ladenwohnung im Wedding – wenn auch im Zeitlupentempo! Er begann auf Stufe 3: Donnerbalken, nur noch mit der anderen Hochparterre-Mietpartei zu teilen, statt mit neun anderen. Wenn es auch eine Verbesserung bedeutete, barg es doch gewisse Nachteile: Zum einen waren meine Nachbarn zwei Alkoholikerinnen. Und ich schwöre es: Wenn die abkofferten, roch der ‚Stonsdorfer’ deutlich durch – abartig! Die verpesteten mit ihrem Gestank den ganzen Hausflur, und zwar stundenlang! Daneben hatte das Außenklo den Nachteil, in kalten Wintern einzufrieren. Vor allem, wenn man vergaß, das Fenster zu schließen. Dann dauerte es immer ein paar Tage, bis die Hausverwaltung den Gaswasserscheiße-Installateur rief. Den Vorschlag, einen Heizlüfter ins Klo zu stellen, lehnten meine Nachbarinnen ab, da die Lichtleitung dafür aus ihrer Wohnung kam. Vermutlich befürchtete sie, dass die Heizkosten ihre beschränkten Finanzmittel übersteigen würden. Alle gut gemeinten Angebote (z. B. ihnen monatlich eine bestimmte Summe zu zahlen oder die Anschaffung des Heizlüfters zu übernehmen) schlugen sie aus!

Und es gab noch ein weiteres Problem: Die eine arbeitete in einer Gaststätte als ‚Kaltmamsell‘. Sie hatte einen schulpflichtigen Sohn aus einer gescheiterten Ehe, der ab und an ihr wohnte. Als sorgende Mutti gab sie ihm stets Schulbrote mit. Die der Junge offenbar nicht mochte und einfach im Lokus runterspülte. Irgendwann waren die hundert Jahre alten Leitungen verstopft und der Installateur musste kommen. Und was machte der? Entsorgte er die aus der Leitung gefischten Brotreste, wie es sich gehörte? Nein, er ließ sie frech neben dem Klobecken liegen, wohl um uns bzw. dem Sohn eine Lektion zu erteilen. Und da rotteten die Reste vor sich hin. Bis sich die Mutter endlich mal bequemte, die Sauerei zu beseitigen. Also, das war auch nicht die Lösung der Sanitärfrage, die mir vorschwebte.

Wenn auch die Toilettensituation nach wie vor unbefriedigend blieb, war hinsichtlich der Waschbeckensituation eine grundlegende Verbesserung eingetreten. Diese Ladenwohnung war vorher ein Friseursalon gewesen: Es gab darin nicht weniger als sieben ausgesprochen luxuriöse und große Waschbecken. Statt eines ‚Augusts’ wie in meiner ersten Wohnung in der 

Dresdener Straße in SO 36! Der frühere Herrensalon war mit Marmorplatten getäfelt! Aus denen entstand nach der Renovierung das berühmte Marmor-Regal (Marmorplatten auf Kalksandsteinvotzen – den Ausdruck habe ich auf dem Bau gelernt!). Mein ganzer Stolz: So was hatte keiner! Sieben Waschbecken – was für ein Sprung nach vorn! Irgendwann zog mein  Schwippcousin Peter, seines Zeichens Heizungsinstallateur, bei mir ein. Der wollte – auch aus eigenem Interesse – die unbefriedigende Sanitärsituation verbessern. Er besorgte eine Badewanne und einen alten Kupferofen mit Heizspirale, der die veralteten, brüchigen Stromleitungen vor Probleme stellte. Aber wenn man die Sicherung mit Stanniolpapier umwickelte, klappte es: Wir konnten endlich daheim baden – Duschabteilung im Stadtbad ade! Allerdings erwies sich der Kupferbadeofen mit Heizspirale als echter Energiefresser. Es dauerte unheimlich lange, bis das Wasser heiß war. Jedoch allemal besser als die ‚praktische’ Dusche in der Küche, die in manchen Bruchbuden eingebaut war. Das Wasser musste in den Abfluss der Küchenspüle gepumpt werden. Leider war die Pumpe dauernd verstopft oder gab den Geist auf. Dann doch lieber ins Stadtbad …

Das Badeproblem war also – zumindest vorübergehend – gelöst. Aber der Traum vom Innenklo blieb: Konnte man da denn gar nichts machen? Es musste eine Lösung geben! Peter hatte inzwischen herausgefunden, dass der Querschnitt des Abflusses für eine Toilette nicht ausreichte: Nur ’ne ‚Fünfziger Leitung’, wie er fachmännisch feststellte! Zu wenig für ein Klo! Doch wir ließen nicht locker. Eine Lösung versprach der ‚Sanibroy’ – oder hieß der Saniboy in Anlehnung an den Sunnyboy? Wir machten uns schlau und fanden heraus, wie das Ding – ganz vornehm Fäkalienhabeanlage genannt – unktionierte: Im Abfluss saß offenbar ein Mixer, der die Scheiße pürierte und das Klopapier klein häckselte. Dieser Brei wurde von einer Pumpe durch die Leitung gedrückt. Irgendwie abartig, die Idee, dass die Kacke püriert wurde! Und falls das Ding kaputt ging – nicht auszudenken: Konnte man noch in seinen Ausscheidungen herumwühlen! Nein, das kam für mich nicht in Frage!

Der Sunnyboy - voll cool!

Ich hatte eine viel bessere Idee! Seit dem Umzug in die Frontstadt nervte mich die Hundescheiße, die überall rumlag. Du warst für eine Woche ihrer Tristesse entflohen, kommst mit dem Auto nach sechs Stunden Fahrt im Wedding an. Steigst aus – und pettest voll in die Scheiße: Willkommen in Berlin! Die Hundebesitzer waren angeblich verpflichtet, die Hinterlassenschaften ihrer vierbeinigen Lieblinge mit Schippe und Schaufel zu entsorgen, aber das lehnten sie mit dem Verweis auf die von ihnen gezahlte Hundesteuer („Wozu zahl’ ick’n Hundesteuer? Soll der Senat sich da drum kümman!“) ab. Wenn sie ganz rücksichtsvoll waren, ließen sie ihren Hund auf die Straße neben dem Bordstein scheißen. Da konnte man schon froh sein! Und hier setzte meine Überlegung an: Was einem Hund recht war, war mir doch nur billig! Ich plante, mit Peters Hilfe ein 100er PVC-Abflussrohr von unserer Hochparterre-Wohnung zum Bordstein zu legen. Durch dieses Rohr konnten die festen und flüssigen Hinterlassenschaften direkt in den Abfluss 

 

geleitet werden! Super Idee! Das Schreiben an das Bezirksamt, in dem ich diese Idee darlegte, wurde ignoriert. Eine Antwort blieb aus! Doch das entmutigte mich keinesfalls: Der Antrag wurde wiederholt. Diesmal lag ihm jedoch eine von einem mir bekannten Architekturstudenten gefertigte Zeichnung der geplanten Baumaßnahme bei. Mit dem ausdrücklichen Hinweis auf meine Bereitschaft, eine der Hundesteuer entsprechende Gebühr an das Entwässerungsamt zu zahlen. Betreffs der Höhe der Steuer würde sich bestimmt eine einvernehmliche Lösung finden lassen … Doch was passierte? Auch der formvollendete Bauantrag wurde ignoriert! Diese Scheißbürokraten! Irgendwann erledigte sich das Thema von selbst: Unser Haus wurde saniert. Und ich stolzer Besitzer eines Badezimmers mit Innentoilette, das man sogar heizen konnte! Es war geschafft. Nicht einmal fünfzehn Jahre nach Ankunft in Berlin. Doch es war ein langer, steiniger Weg: ‚Per aspera ad astra’, wie der Lateiner sagt.