Der am 14. Oktober 1940 im indischen Lucknow als Harry Webb geborene Schlagersänger Cliff Richard (nicht zu verwechseln mit Keith Richards von den Stones!) stellte für mich immer die Scheidelinie zwischen guter Musik und Klangmüll dar. Wer eine Schallplatte von R. in seiner Sammlung hatte, war mit Vorsicht zu betrachten! Ironischerweise war R.s Coverversion von ‚Ready Teddy‘ eine meiner ersten Singles, aber schon damals konnte ich mich eines leisen Mißtrauens nicht erwehren: Sein ständiges Auftauchen in der BRAVO, seine Beliebtheit bei Mädchen (die ihn nur ‚Cliff‘ oder gar ‚Cliffie‘ nannten) ebenso wie die deutschen Coverversionen seiner Hits weckten mein Mißtrauen, das ich mit vielen fortschrittlichen Klassenkameraden teilte. Wie oft dachten wir „Arme Sau!“, wenn wir jemanden besuchten, der Bilder von R. an der Wand hatte … Nein, da konnte es keine Kompromisse geben, R. war unakzeptabel!
So trennte sich mein Klassenkamerad Wolfgang Winkler einst von seiner hübschen Tanzstundenliebe Angela: Die hatte ihr ganzes Jungmädchenzimmer mit R.-Postern (‚Krönung‘ war ein Starschnitt!) aus der BRAVO geschmückt, worüber sich ihr Tanzstundenpartner mokiert und R. einen ‚Schlagerfuzzi‘ genannt hatte. Angela brach fast in Tränen aus und verlangte ultimativ eine Entschuldigung von ihm, ansonsten er sich für den Abtanzball eine andere Partnerin suchen könne. Doch der Beatfreund Winkler blieb standhaft und sang sogar noch spöttisch: „Wenn einer kommt und sagt zu dir: Gib mir ’ne Rolle Klopapier! Sag ‚No!‘ zu ihm.“ Er mußte konsequenterweise den Abtanzball mit einem Mauerblümchen bestreiten – wir haben ihn alle bedauert, aber er war sich selbst treu geblieben!
Später stellte sich heraus, daß unser Mißtrauen mehr als berechtigt war: Nicht nur sang R. ‚Congratulations‘, nein, wir erfuhren auch, daß er zumindest zeitweise ein Zeuge Jehovas war und sogar zusammen mit Billy Graham, dem ‚Maschinengewehr Gottes‘, aufgetreten war.
Ob er auch den ‚Wachturm‘ vor Kaufhäusern verteilte, entzieht sich meiner Kenntnis. Wie auch immer, der Erfolg blieb R. treu, auch wenn er gegen Ende des 20. Jahrhunderts mehr und mehr einem Zombie ähnelte, der aussah wie Cliff Richard. Noch schlimmer als seine religiösen Vorlieben waren allerdings seine sexuellen: Cliffie, der Mädchenschwarm, war in Wirklichkeit ein Homo! Dieses Schwein! Machte unsere Tanzstundendamen verrückt, sang von roten Lippen, die man küssen soll, von Tagen im Heu mit Marie und, und, und – alles erstunken und erlogen!
Beweise? Bitteschön: ein Mitglied einer Hamburger Band (bleibt hier aus Datenschutzgründen ungenannt, Quelle: ‚Shakin’ all over‘) berichtete, wie er und seine Kollegen nach einem Konzert, auf dem sie als Vorgruppe für R. spielten, zusammen mit ihm einen draufmachen wollten. Es dauerte ziemlich lange, bis bei ihnen der Groschen fiel, daß Cliff auf der Reeperbahn nicht das finden würde, was er suchte …