Marktstraße in den 60ern (Teil 1: Lindenstraße bis Bordumplatz)

Blick von d. Lindenstr. zur Marktstr.
Das Geschäft von Fahrrad-Janßen. Ganz rechts war früher das Tabakgeschäft von Swysen
Reklame aus Branchenbuch
Die berühmte Oldenkott-Reklame
Die frühere Königs-Apotheke

Es ist nur ein kurzer Weg vom Haus meiner Eltern zur Marktstraße. Aber dann ein umso längerer Marsch bis Karstadt. Also erst mal Wegzehrung besorgen: Bei Schlachter Dams (Nr. 186) ein Wiener Würstchen und bei Böhner nebenan Vivil-Pfefferminz. Vielleicht treffe ich ja unterwegs die Frau meines Lebens und da möchte man sich schließlich nicht die Chancen durch Mundgeruch kaputtmachen… In Swysens Tabakladen (Nr. 184) mit der Oldenkott-Tabak-Reklame draußen dran kaufe ich für meinen Opa Schnupftabak. Vorbei an Fahrrad Janssen (heute Jähde, Nr. 182-184) stoppe ich am Verbindungsweg zum Kindergang kurz bei Winters Friseursalon (Nr. 182) und kaufe Nivea-Klettenwurzel-Haaröl für Opa. Dann die Treppen hoch zur König’s Apotheke von Herrn Krahn (Nr. 180), dem freundlichen Mann mit dem sächsischen Akzent, der immer einen weißen Kittel trägt. Nur in Apotheken gab’s damals die guten, rautenförmigen Salmiak-Pastillen von Rheila. Die werde ich mir dann unterwegs dann auf den Handrücken kleben: Einmal kurz angelutscht, dann halten die wie der Teufel. Aus den Rauten kann man wunderbare Sterne formen. Mein Opa wohnt hinten auf dem Hof bei Meidlein (Nr. 178). Er freut sich über den Schnupftabak und möchte ein bisschen mit mir schnacken. Würde ich ja gern machen, aber der hustet andauernd und qualstert dann in seine kleine Pappdose – ich kann nicht hinschauen. 

Tuberkulose, Familienkrankheit bei uns. Also weiter. Tschüss, Opa! Da ruft mich jemand von der anderen Straßenseite: Ködel Appelmus! Eines jener pfiffigen Kerlchen meiner Kindheit! Will mich anpumpen, wie immer. Ich lasse ihn stehen. Oh, oh, an der Ecke Pappelstraße stehen Lilli und Elke! Und machen mir schöne Augen. Oder was sie dafür halten! Bloß weg! Kurzer Stop bei Bude Wenke (heute verschwunden), wo ich den Lottoschein für meinen Vater abgebe. Zwischen Pappel- und Werftstraße zwei Werfthäuser, deren Bewohner mich immer beschäftigt haben: Auf der Südseite (Nr. 172) wohnte die Familie Kocur. Dort faszinierte mich immer das Türschild, auf dem ‚St. Kocur‘ stand. Als Kind bildete ich mir ein, dass dort ein Heiliger wohnte (wegen des St.), waren aber ganz normale Leute. Der Sohn Seppi hat bei Schwarz-Gelb gespielt und die hübsche blonde Tochter hieß Hedwig. An der Ecke Werftstraße auf der Nordseite die Fam. Long, Banter Briten vom alten Schlag. Der Vater hat einmal den Arzt Dr. Gerhards fürchterlich zugerichtet, weil er glaubte, ihn in flagranti mit seiner Frau erwischt zu haben. War aber nur ‘ne Untersuchung. Er wurde zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt. Dr. Gerhards verunglückte später auf der Paffrathstraße. Er raste mit seinem Wagen direkt in den kleinen Bunker an der Straße. Der Abdruck soll noch Jahre später zu sehen gewesen sein. Manche sprachen von Selbstmord.

Das Geschäft von Erdmann, daneben der Schnapsladen
Mann, bin ich gewachsen!
Warteschlange vor der Schauburg (1954), dahinter der Milchladen und das Hamburger Eck
Die Puddingschule

Ich überquere die Werftstraße und erreiche Erdmanns Schreibwarengeschäft (Nr. 165, heute Black Lounge), das auch Spielwaren führt. Dort gibt es geile Kugelschreiber: Im oberen Teil des Gerätes das Bild einer hübschen Frau im einteiligen schwarzen Badeanzug. Der Clou: Wenn man das Ding auf den Kopf stellt, lässt sie die Hüllen fallen. Auf der Südseite (Ecke Werftstraße) die Kneipe Hamburger Eck, Vereinslokal des ESV (Nr. 164). Dann vorbei an dem Schnapsladen, wo sich mein Onkel Willi mal fünf Flaschen Hullmann Weizenkorn ergaunert hat. Daneben ein schmales Haus (Nr. 163), an das ich mich noch gut erinnere: In dem Kellerfenster habe ich mal stundenlang gesessen und auf meine Eltern gewartet, die in der Stadt einkaufen waren. Es war schon dunkel, als sie kamen und meine Mutter war mehr als verwundert, mich dort zu sehen. Heute passe ich da nicht mehr rein (FOTO). Gegenüber der Milchladen von Schröder (früher Molkerei Neuende). Links daneben die Schauburg (Nr. 162, heute Adler Wohnungsbau etc.), da habe ich als Kind am Sonntag immer Kalle-Blomquist-Filme angeschaut.

Oder Fuzzy. Im Vorprogramm immer Kurzauftritt von Walter Gross in ‚Clever und Schussel‘. Neben der Schauburg Tabakwaren Schulz. Ich bleibe auf der ‚ungeraden‘ Straßenseite (= Nordseite), zur Linken die Puddingschule (Nr. 161). Mit etlichen Schülerinnen dieser Lehranstalt hatte ich später Techtelmechtel. Auf der Südseite das schöne KONSUM-Gebäude (Nr. 158/160). Meine Eltern waren nicht Mitglied im KONSUM, obwohl es bei uns in der Nähe zwei Filialen gab (Genossenschaftsstraße und Lindenstraße). Einmal hat mich ein Freund mitgenommen, als dort ein Kinderparty stattfand. Wir durften so viel Negerküsse essen, wie wir wollten. Unvergesslich! Und da ist schon Café Klatte (Nr. 159/157, heute Beans Parc Hotel), wo ich sonntags immer Kuchen kaufen musste. Die hatten gute Florentiner, die meine Freundin Isolde gern mochte. Haben wir dann bei Kaffee Brand zum Kaffee gegessen. Gleich neben Klatte Drostes Vulkanisieranstalt (Nr. 155, heute City Cafe West). War mir immer schleierhaft, was die da gemacht haben.

Das Konsumhaus, Marktstr. 158-160
Detail Front
Hochrelief an der Frontseite

Dann kommt das Textilkaufhaus Thesing (Nr. 155, heute Immobilien Benger), die Familie wohnte bei uns um die Ecke in der Straße Am Schützenhof. Die hatten an der Fassade zwei große Männchen, die abends beleuchtet wurden, das Größere war rot, das Kleinere grün. Oder umgekehrt. Später war dort mal ein China-Restaurant drin. Bis das Gesundheitsamt in deren Mülltonne Schappi und Kitekat entdeckte. Just kidding! Direkt gegenüber Schuhhaus Jansen/Tönjes und Ahrens Leichtbauplatten (Nr. 156, heute Haven-Taxi) und Zoo Schmidt (heute Beirut), ein winziger Anbau, rechts neben der Einfahrt von Fisser & van Dornum (Kohlenhandel). Dort kauften meine Eltern ihre  Zierfische und -vögel. Links neben der Einfahrt Mützen Schlöffel (sicher ein gutes Geschäft in der Marinestadt W’haven) und Dekena Lebensmittel (Nr. 154). Doch ich bleibe auf der Nordseite. Vorbei am Friseur Borowczek (Nr. 153), Elektrobedarf Schriever (Nr. 151, heute Sarah Pizza und Bosporus Grill) und der Kneipe von Franz. Auf der Südseite der Konsum (Nr. 152) und Bakleczek Hörgeräte (Nr. 150).

In der Nr. 149 Nordhoff Seifen, Spielwaren Frerichs (mglw. genannt ‚Der billige Jakob‘) und Leihbücherei Panzer (heute Tootaak Restaurant), in der Nr. 147 Leihbücherei Hedenkamp. Da habe ich mir manchmal Pornoromane ausgeliehen, mit denen ich meine Freundin angetörnt habe. Ich glaube, einen davon habe ich nie zurückgegeben. Sorry! Auf der Südseite die Läden von PEKOL und Sanitätsartikel Zimmermann. (Nr. 148, heute Änderungsschneiderei Rodopi Tsakalidau). In der Nr. 146 Eilers Chemische Reinigung (heute Stadthaus Ecosleep). Daneben die Nr. 144, die Weinhandlung Kessler und das Büro von Fisser & von Dornum (heute Kauer, Glashandlung). In der Nr. 142, ggü. der Einmündung der Bordumstraße die Brotfabrik Harms (heute Al Hudda-Fleischerei). Doch zurück auf die Nordseite. An der Ecke Bordumstraße (Adresse Bordumstraße 2 A) stand vor dem Krieg das Rüstringer Rathaus, später Haus der Deutschen Arbeitsfront (Nazi-‚Gewerkschaftsbund‘). Im Krieg zerstört! Es wurde in den 50er Jahren wieder aufgebaut und beherbergte eine Filiale der Volksbank, in der mein Vater ein Konto hatte. (heute Minimarkt+Reisevermitttlung)  

Früher Vulkanisieranstalt, heute Stadtcafé
Der ehemalige Laden von Thesing (lks)
Marktstr. Ecke Bordumstraße
Das alte Banter Rathaus, ebendort.
Marktstr. West (Südseite) von der Bordumstr. aus gesehen

Die Fortsetzung des Marktstraßenbummels findest du unter: 

Markstraße in den 60ern (Teil 2: Bordumplatz bis Grenzstraße)

UND

Markstraße in den 60ern (Teil 3: Grenzstraße bis Gökerstraße)

Viel Spaß beim Lesen!