Hilflos unter pfiffigen Kerlchen

Banter Briten - Vorbilder meiner Jugend

Pfiffige oder gewitzte Kerlchen meiner Kindheit zeichneten sich dadurch aus, dass sie andere, weniger ‚begabte‘ Kinder permanent auf die Schippe nahmen und sich dabei köstlich amüsierten. In meinem Stadtteil Bant in Wilhelmshaven war ich ein Außenseiter unter den Banterbritenkindern. Wir wohnten zwar nicht in einem Werfthaus, aber irgendwie zählte ich auch dazu. Und so wurde ich zwar nie verprügelt, aber war permanent ihren Scherzen ausgesetzt. Ich kam aus einem halbwegs behüteten Elternhaus und war als Kind eher verträumt, ja in mancher Hinsicht scheinbar begriffsstutzig. Meinen pfiffigen Spielgefährten aus den Werfthäusern stand ich hilflos gegenüber. Diese Burschen kannten alle Tricks und Schliche. Sie hatten mit zwölf schon unzählige Mädchen flachgelegt und betranken sich regelmäßig. Zumindest behaupteten sie das. Echte Vorbilder also – meine Bewunderung war grenzenlos. Das billige Zeug, das sie aßen, schien mir wie Manna: Was war schon Mutters so hochgelobter teurer Kochschinken gegen Blutballen? Und wenn nicht daheim gravierende Probleme zu erwarten gewesen wären, hätte ich liebend gern die teure, eigene echte Lederjacke gegen die Haribojacken der so Bewunderten eingetauscht … Fast alles hätte ich gegeben, damit sie mich als ihren Freund akzeptierten.

Als Protobeispiel eines solchen Burschen diene hier Peter Schwarz, der jüngste Spross der berüchtigten Banter Familie aber dasselbe konnte einem mit Goldzahn, Hügel, Simmering oder dem MEM-Jungen Udo vom Schützenhof-Gelände und wie diese Typen auch immer hießen, passieren. Stets aufs neue gelang es ihnen, mich mit Sprüchen bloßzustellen, so dass ich wie ein begossener Pudel dastand, während alle anderen vor Lachen wieherten. Im folgenden einige typische Situationen: Da freute man sich, dass einem Peter auf dem Rummel mal die Hand gab, und dann sagte er: „Datt is datt easte Stück Scheiße, datt ich heude inne Hand halte!“und alles grölte, während das Opfer puterrot wurde. Oder er zog die ausgestreckte Hand im letzten Moment zurück, hob den Arm so, dass der Daumen nach hinten wies und sagte: „Dahint’n wird gebaut!“. Auch die Begrüßung: „Wie geht’s dir, altes Scheißhaus?“ gehörte zu seinem Standardrepertoire. Wenn es mir dann endlich einmal durch eine witzige Bemerkung gelungen zu sein schien, ein Lob von ihm einzuheimsen, sagte der zu den Kameraden mit anerkennender Miene: „Manchmal issern echta Fuchs – hat zwaa nich’ so’n buschigen Schwanz, stinkt aber so! Hahaha!“– Oder: „Er iss gaanich so blöd wieja aussieht – wär ja auch Scheiße!“ – oh diese Scham! Im folgenden ein paar typische Dialoge:

Auf dem Schulhof: Peter: „Sachma, warsse schon ohm?“ Ich: „Wo oben?“ Peter: „Mittem Aasch anne Decke!, hohoho!“. Dortselbst: Ich (aufgeregt): „Mensch, Peder, hast du schon gehört: TSR steigt auf!“ Peter: „Wer?“ Ich: „Mensch, unser TSR!“. Peter: „Ich mein, wer datt wissen will!“

Bei Bäcker Klose: Peter: „Kennze meine neue Freundin?“ Ich: „Wieso, bist du denn nicht mehr mit Piepmaus zusammen?“ Peter: „Nee, da iss doch jetz’ ’ne Neue bei uns inne Straße zugezog‘n: Inge Meinerstedt!“ Ich: „Wie heißt die?“ Peter: „Inge meiner steht!“

Vor dem Turnunterricht: Peter: „Sachma ganz schnell ’n paamal hinneranner: ›Hirsch heiß’ ich!“- Ich „Aber ich heiße doch ganz anders!“. Peter: „Sach datt jetz!“ Ich: „Hirsch heiß ich, Hirsch heiß ich, Hirsch heiß ich, Hirsch heiß ich …!“ Peter: „Wo scheißt du? Hähähä!“

Auf dem Spielplatz: Peter: „Du biss doch zu doof ’n Eima Wassa umzuschmeiß’n!“ Ich (etwas beleidigt): „Wieso?“. Peter: „Wett’n?! Ich: “Okeh!“. Tatsächlich kommt Peter ein paar Minuten später mit einem Eimer Wasser an: „Schmeiß um!“. Der Geplagte sieht endlich die Gelegenheit gekommen, zu beweisen, dass er nicht nur problemlos einen Eimer Wasser umschmeißen kann, sondern sogar verschiedene Varianten (mit den Händen, mit den Füßen usw.) beherrscht: „Wie hättest du es denn gern?“: Peter:“‚Sach ich doch imma, du biss zu blöd n’ Eima Wasser umzuschmeißn! Wieher, wieher!“ – Wieder reingefallen!

Soziologischer Exkurs: Erst spät durchschaute ich das System, nach dem diese Spaßvögel vorgingen: Du kannst so blöd sein wie du willst, du musst nur genug Geistesgefährten deines Schlages finden, die über jeden noch so dämlichen Witz lauthals grölen, und jeder Widersacher steht da wie ein Dödel. Daher konnte ich mich eines Anflugs klammheimlicher Freude nicht erwehren, als mir mein Kumpel Udo bei einem Besuch in W’haven berichtete, wie es diesen ausgeschlafenen Jungs im Leben ergangen war: Einer arbeitete noch im Alter von Mitte 50 als Helfer auf dem Bau, ein anderer war Zuhälter und Alkoholiker geworden und hatte bei einer Lebertransplantation das Zeitliche gesegnet, ein Weiterer hatte es immerhin zum Hausmeister gebracht! Ihre ganze Intelligenz hatte ihnen letztendlich nichts genützt! Hatte der Vater also doch recht gehabt: „Gottes Mühlen mahlen langsam, aber gründlich, Jungs!“.