Belletristik
Da hatte Paul Simon den Nagel auf den Kopf getroffen – Bücher konnten wie eine Festung sein, in die man sich zurückziehen konnte, wenn die Welt um einen herum einzustürzen drohte. Neben den politischen Büchern gab es noch die Belletristik. Unendlich viele Bücher und nur wenige davon waren ‚cool’. Die Kunst war es, herauszufinden, welche. In den 60ern wurde z. B. plötzlich Der Fänger im Roggen sehr populär. Der war bereits Anfang der 50er erschienen und erzeugte damals kaum Resonanz. Warum es ‚cool’ war, blieb mir bis heute verborgen. Möglicherweise, weil dessen Held genau so unsicher war, wie viele von uns in dem Alter. Ein anderes ‚Kultbuch’ war Unterwegs von Jack Kerouac, auch etwa zu jener Zeit erschienen. Damals reichte es offenbar schon aus, den Job zu schmeißen, Jazzfan zu sein, ab und zu mal eine Captagon einzuwerfen, und mit dem Auto quer durchs Land zu fahren, um als cool eingestuft zu werden. Wenn ich meine eigene Reisekarriere so betrachte, kommt mir das der Helden von Unterwegs doch eher bescheiden vor. Oder ist mir wieder etwas entgangen? Soll ja vorkommen …
Am besten gefielen mir einfachem Gemüt allerdings die Bücher des niederländischen Egomanen Jan Cremer: Ich Jan Cremer und Jan Cremer 2. Er schrieb davon, wie er im Erziehungsheim ‚ … die Kackekrümel vom Rand abpisste’ … – da konnte man sich doch wenigstens etwas drunter vorstellen und es ausprobieren! Cremer scheint ohnehin besessen von Fäkalthemen, denen er in seinen Schmökern etliche Kapitel widmete. Also muss er es wissen. Wolf Wondratschek fand das von ihm ‚Schelmenroman‘ genannte Werk wie zu erwarten scheiße: ‚Ich habe kaum je einen Autor gelesen, der so fröhlich und ausführlich sich weigert, nachzudenken über das, was er sieht und beschreibt’. Dabei schien doch das Buch dieses Kritikers ganz interessant zu sein: Früher begann der Tag mit einer Schusswunde – hätte mein Vater nicht besser sagen können! Allerdings hielt der Titel für mich nicht, was er versprach, und so legte ich es nach ein wenig Querleserei wieder zur Seite. Sehr schön auch die skurrilen Geschichten von Kusenberg!
Daneben lernte ich auch noch ganz andere Bücher aus dem Bereich Belletristik kennen. So z. B. bereits beim ersten Besuch in Berlin den bebilderten Roman: Ein Anpassungsmuster von Rambow und Peter O. Chotjewitz.
Worum es da ging, ist mir weitgehend entfallen – entsinne mich jedoch noch genau, dass zahlreiche Nacktfotos des Dichters enthalten waren – nur die Sandalen behielt er an. Der Genosse litt offenbar unter einem Schuhtick: Das Buch war voll mit Fotos alter Schuhe, die er mit den Worten ‚Der ist jetzt auch schon lange begraben’ betitelte. Auf einem dieser Fotos saß er auf dem Kopf einer Marmorstatue und sein Pimmel hing der armen Figur ins Gesicht. Auf einem anderen fuhr er nackt auf einem Kinderfahrrad! Zu meiner Verwunderung studierte er Jura! Und machte Gruppensex! Irgendwie machten hier in Westberlin alle Kunst …
Sogar Pornos lasen wir. Selbstverständlich nur, um uns darüber zu informieren, wie das Kapital die Arbeiter von ihrer Fron abzulenken versuchte: Einfach teuflisch! Die Helden des Pornos Barbara waren dagegen so coole Typen wie wir selbst. Das war doch etwas ganz anderes! Max zum Beispiel war ein Revolutionär der anderen, verklemmten jungen Leuten die Hemmungen sozusagen wegvögelte – unser Mann! Wir haben diese Bücher niemals als Wichsvorlage benutzt, sondern sie nach gründlicher Analyse an bedürftige Genossen weitergegeben. Revolutionäres Ehrenwort!