Ball der Jugend in den 60ern

Die ersten Bälle der Jugend, an die ich mich erinnere, fanden in der Elisenlust (Eli) statt, nach kurzer Zeit jedoch zogen die Veranstalter in den Schützenhof um. Es gab in W’haven noch andere Veranstaltungen unter diesem Namen (so z. B. in der Nordseestation und im Berolina), aber der wahre B. d. J. war der am Sonntagnachmittag im Schützenhof; Beginn war um 4 Uhr, Ende um 8 Uhr. Die ersten Ankömmlinge fanden im hellerleuchteten Saal des Schützenhofs jede Menge weiß eingedeckter Tische aufgestellt, so daß das ganze eher den Modeschauen ähnelte, die unsere Mütter so gern besuchten, als einem Tanzvergnügen für Jugendliche. Nur die große freie Fläche vor der Bühne ließ erahnen, was sich hier in Kürze abspielen würde. Der B. d. J. war für viele Jugendliche die erste Möglichkeit, den bleiernen Sonntagnachmittag auf eine sinnvollere Art als mit dem Verspeisen von Kaffee und Kuchen im elterlichen Heim zu verbringen. (siehe: Sonntag an der Nordseeküste)

Die Ruhe vor dem Sturm in der Elisenlust
Feller singt Balla-Balla
German Spotnicks im Regen. V. l.n.r.: Detlef Horn, Peter. Rebmann, L. Scheuß, A. Meier-Seipel, M. Folkers

Die Musik beim B. d. J. war im besten Falle mittelmäßig. Die Hausband des B. waren die German Spotnicks unter der Führung von Loddar Scheuß. Zu deren großem Ärger riefen die als Pausenfüller von Feller vorgetragene Coverversion des Rainbow-Hits ‚Balla Balla‘ und Jockels ‚Zip-a-dee-do-dah‘ mehr Begeisterung hervor als die Bemühungen der Band …
Ab und an traten auch sog. Starbands wie die Liverbirds, Lee Curtis & The All Stars, ja sogar Johnny Kidd and The Pirates auf. Während diese Bands einen Grundwortschatz in Englisch besaßen, hörten es sich oft ziemlich grausam an, wenn die einheimischen Bands sie sagen . Das hielt jedoch die W’havener Jugendlichen (unter ihnen – wie peinlich! – der Chronist) nicht davon ab, beim Auftritt der Lords aus Berlin die Bühne zu stürmen.

Die Band flüchtete überstürzt und in dem Getümmel fiel mir Lord Ullis Spickzettel in die Hand. Darauf stand folgendes: Wenn Ei woss jang, Juno, Ei kuddn’t spiek end go! Mei massa wörkt ietsch deh and schi lörnt mi to sseh: Massa end Fassa end Sann, Sistan end Ankeln ahr wann usw. (»Poor Boy«). Aber mal ehrlich: Unser eigenes Englisch war ja auch nicht besser! Zwar hatte man sich einiges von den Platten abgehört, aber für einen Muttersprachler muss es ziemlich grausam geklungen haben. Die Rivets – die ja immerhin noch die Gabe der Selbstironie besaßen – und die Phantom Brothers standen ihnen nicht viel nach, lediglich die Rattles (‚Deutschlands Antwort auf die Beatles“) vermochten es halbwegs, die Sprachbarriere zu überwinden; dafür waren sie angeblich auch die einzige deutsche Band, die einen Fanclub in England hatte.

Für diese Stars wurde sogar noch ein Starzuschlag (das hieß wirklich so!) fällig. Zu allem Überfluß kamen die Bands meist viel zu spät in WHV an, so daß deren Konzerte immer etwas kurz ausfielen, dafür aber die German Spotnicks immer länger spielen durften. Die Festspielleitung gab in solchen Fällen in regelmäßigen Abständen Verkehrslageberichte (»Die Rattles stehen derzeit auf der Oldenburger Umgehungsstraße«), bis es dann letztlich hieß, daß die Stars gleich da seien. Bei einer solchen Gelegenheit entpuppte sich der Bandleader der German Spotnicks als Philosoph: Als ich ihn fragte: »Hey, Loddar, was heißt denn jetzt eigentlich gleich?«, sagte dieser: »Du, gleich ist ein dehnbarer Begriff!« und so war es dann auch …

Live im Schützenhof!
Sse Dickschädelblues iss always ssehr ...
Gisela please introduce myself!
... und aus den Wiesen steiget der weiße Neger Wumbaba

Die wahren Höhepunkte der Sonntagnachmittage waren jedoch die Auftritte der Protagonisten des Wilhelmshavener Ausdruckstanzes (Isolde, Joschi, Helmut Brusing und meine Wenigkeit), die dem Beat-Eintopf der German Spotnicks und der Stargäste die allseits vermißte Würze verliehen. Der absolute Downer der Veranstaltung dagegen war der Auftritt des Drogisten Lück aus F’groden (?), eines opahaften Typen, der seine spärlichen Haare quer über den Kopf gekämmt hatte. Anscheinend war er im Auftrag der Stadt tätig, denn er begrüßte uns mit warmen Worten. Weiß der Himmel, wie der Kerl ins Beatgeschäft kam, aber er holte eine Menge Bands nach W’haven. Der Auftritt von Sam The Sham brach ihm schliesslich das Genick: Etwas mehr als 200 Zuschauer verloren sich im Schützenhof und Lück mußte jede Menge zusetzen. Danach verlegte er sich auf Ausflüge nach Berlin mit Mondscheinfahrt auf dem Wannsee, wobei er stets auf engen Kontakt, vor allem mit den weiblichen Jugendlichen, Wert legte – einer von uns halt …

Ich entsinne mich daran, dass auch ein gewisser Loddar Behnke sich als Manager versuchte, der Gruppen nach W’haven holte.   Die Schwierigkeiten im Umgang mit der englischen Sprache waren wie gesagt durchaus nicht auf die Lords beschränkt. Wer entsänne sich nicht daran, wie er cool einen Text mitsingen wollte und dann immer wieder an derselben Hürde scheiterte? Eine der höchsten unter ihnen errichteten die Walker Brothers mit dem »Dickschädelblues« (?): »Loneliness is the cloth you wear, the Dickschädelblues is always there« (»The sun ain’t gonna shine anymore«, 1965). Aber auch die Stones verwirrten den Beatfreund in »Sympathy for the Devil«: »Gisela, please introduce myself …« Manche machten aus der Not eine Tugend: So entsinne ich mich des Auftritts einer Oldenburger Band im Farmer Bill, die den Beatles-Song »Do you want to know a secret?« wie folgt verfremdete: »Lissen – hast du heute schon geschissen?« – cool, oder? In dem Büchlein „Der weiße Neger Wumbaba“ wird dieses Thema verarbeitet.  Mehr zur Musik der 60er findest du unter: Meine kleine Konzerthistorie