Als der Beat nach Wilhelmshaven kam
Es sei hier vorausgeschickt, dass ich von Musik nichts verstehe! Was mich natürlich nicht daran hindert, eine Meinung zu haben. Wer jedoch wissen will, was Kenner zu sagen haben, schaut sich Detlef Horns Website an: http://www.detlef-horn.de/ – sehr aufschlussreich. Beatmusik war die in Deutschland übliche Bezeichnung für die populäre Musik der frühen 60er-Jahre, meist vorgetragen von Bands in der Besetzung Schlagzeug, Rhythmusgitarre, Leadgitarre und Bass. Sie wurde wie alle anderen Musikrichtungen jenseits der Polka von den Eltern als Negermusik bezeichnet. Erschwerend kam noch hinzu, dass sie meist von ‚langhaarigen Affen’ vorgetragen wurde. Wenn man heute Fotos der Bands von damals sieht, fällt es schwer, die Aufregung zu verstehen … Die austauschbaren Formationen jener Zeit spielten meist Standardmaterial wie Skinny Minnie, My Soul, Shout, Zip-a-dee-do-dah, Tutti Frutti, Long Tall Sally, Good Golly Miss Molly, New Orleans (‚Ei ssedde: Hee hee hee jää!’) usw. Mangelnde Kreativität versuchte man durch ausgefallene Bühnenshows oder Kleidung (z. B. Monks, Johnny Kidd & The Pirates) wettzumachen. Meine eigenen Bemühungen in dieser Hinsicht waren nicht von Erfolg gekrönt, aber aus dem Bekanntenkreis brachten es einige zu lokalem Ruhm.
Bei den W’havener Bands ging es kreuz und quer, das Buch Otto und die Beatle Jungs von H. J. Klitsch vermittelt einen guten Einblick! Vor allem die Einberufung zum Bund lichtete immer wieder deren Reihen. Die Besetzungen wechselten im Dreivierteltakt und regelmäßig wurden neue Bands gegründet, deren Mitglieder, wenn man genau hinschaute, einem merkwürdig bekannt vorkamen. Wolfgang Roth, Detlef Horn, Rolf Eden und zahlreiche andere tauchen immer wieder auf. Zeitweise kehrten sie der Mucke den Rücken zu, arbeiteten bei VW in Emden oder als Dachdecker, aber wenn die Musik rief, legten sie den Hammer aus der Hand und griffen zur Gitarre. Wie mir Detlef berichtete, spielen die Outsiders auch im dritten Jahrtausend munter weiter: Etwas gealtert und mehr der Tanzmusik verpflichtet, aber der Elan blieb. Bravo, Jungs – aber so wie damals in der Nordsee wird’s nie wieder!
Exemplarisch sei hier der Werdegang meines Kumpels Wolfgang Roth dargestellt: Unmittelbar nach seiner Lehre sagte er der Firma Leffers und dem Dekorateurberuf Lebewohl (trotzdem er als Einziger übernommen werden sollte) und wandte sich der Musik zu. Seinen ersten (sogar von der WZ ‚gewürdigten’) öffentlichen Auftritt hatte er – noch als Lehrling – in der Agnes-Miegel-Schule. Dann dauerte es nicht mehr lange, bis die Phantoms auf der Bühne standen. Nachdem deren Leadgitarrist Detlef Horn sich den Ramblers angeschlossen hatte, erblickten die Sorrows das Licht der Welt. Deren Sänger war Heiko Nickel, ein anderer Freund. Später schloss sich Wolfgang den Pairs an und tourte mit ihnen bis in den Süden der Republik. Kurz: Es ging ziemlich durcheinander, ich blickte da jedenfalls nicht mehr durch. Sie verdienten gutes Geld, aber dann kamen harte Zeiten für alle Beat-Bands. Diskotheken verdrängten mehr und mehr die Klubs, in denen gebeatet wurde, und es wurde zunehmend schwieriger, mit dieser Musikrichtung die Kosten zu decken. Schließlich landete Wolfgang bei Kim & The Comets und machte Tanzmusik: Auf Schützenfesten und Hochzeiten ließ sich noch lange gutes Geld verdienen, und manchmal konnte man sogar Zip-a-dee-doo-dah reinschummeln … Später hielt, wie er mir im Sommer 2008 in der Eisdiele Venezia in der Gökerstraße erzählte, mehr und mehr Technik Einzug auf die Bühne, und welcher Drummer spielt schon so exakt wie ein Drumcomputer? Die Bands wurden immer kleiner und schließlich konnte ein Alleinunterhalter das komplette Instrumentenspektrum abdecken – oft nicht einmal schlechter, aber der Spaß ist nicht mehr derselbe … So hieß es eines Tages Abschied nehmen von der Musik, und heute ist Wolfgang wieder in seinem Zweitberuf als Dachdecker tätig.
Von den meisten leider längst vergessen ist der von Detlef Horn so genannte ‚Pate‘ der W’havener Beatszene: Peter Sprute, leider 2022 im Alter von vierundneunzig Jahren verstorben! Er beherrschte etliche Instrumente und war Lehrer und Vorbild für viele Nachwuchsmusiker, die von ihm gefördert wurden. So eine Art Alexis Korner von Wilhelmshaven, denn genau wie jener hatte er ein Auge (oder besser: ein Ohr) für junge Musiker, die er in seine Bands holte. Als ich ihn das erste Mal in der Nordseestation sah, dachte ich: ‚Was will denn der Opa da?‘. Genau so alt wie meine Mutter! Aber als er loslegte, staunte ich, was der ‚alte Mann‘ beatmäßig drauf hatte. Peter musste noch bei Hitlers Volkssturm aushelfen. Glücklicherweise blieb dieses Engagement ohne Folgen. Und er schaffte den Sprung von der Tanzmusik der 50er-Jahre zum Beat. Auch in fortgeschrittenen Alter legte er die Gitarre nicht aus der Hand! Weiter so, Peter!
Nachstehend eine Auswahl jener Bands, die unsere Jugend in großem Maße bereichert haben. Sie alle teilten das gleiche Problem: In der Jadestadt spielten regelmäßig gute Bands aus dem Ausland (so Kenny Lee & Mark IV im Big Ben Club oder die Moans im Farmer Bill). Da lagen vor allem in der Anfangszeit schon Welten zwischen ihnen und den Einheimischen, sodass deren Musik uns Zuhörer nicht so recht befriedigen konnte – aber Meckern ist leicht, erst mal besser machen. Auf geht’s: Die Beach Runners waren eine meiner (lokalen!) Lieblingsbands mit vollem Sound, ein gern gesehener ‚act’ im Schützenhof und Farmer Bill. Da der Name Beach Boys bereits vergeben war, nannten die Gebrüder Müller und Drummer Tasso Olbertz, (später in der Jugendarbeit der Stadt W’haven tätig) sich einfach Beach Runners. Die schon erwähnten Outsiders begannen (?) als Hausband der Nordseestation. Mein Lieblingsstück war She’s a woman von den Beatles, das sie ganz passabel spielten. Sie hatten einen guten Sound und gefielen mir besser als die konkurrierenden German Spotnicks, so eine Art Hausband beim Ball der Jugend im Schützenhof. Der Name deutete schon in etwa an, was die Zuhörer zu erwarten hatten: Einen Abklatsch des nichtssagenden Geschrammels der schwedischen Original Spotnicks! Sorry, Jungs! Sie schrubbten das übliche Repertoire herunter (Skinny Minnie, My Soul usw.) und hatten sogar eine Eigenkomposition auf Lager: My University. Habe nur noch verschwommene Erinnerungen daran. Aber eigentlich waren sie auch nicht schlechter als die Rivets oder Liverbirds. Ebenso wie fast alle Bands ihrer Zeit verzichteten sie nicht auf ein Schlagzeugsolo ihres eher mittelmäßigen Drummers. Zuerst ging der Bandleader von der Bühne, es folgte der Rhythmusmann und schließlich der Basser. Der Drummer traktierte dann etwa 10 Minuten lang seine Drums und anschließend trudelten seine Gefährten nach und nach wieder auf der Bühne ein, um ihr Geschrammel fortzusetzen … Nachdem Detlef Horn zu ihnen gestoßen war, machten sie einen großen Schritt nach vorn und durften sogar im Blue Note und in der Konzertmuschel im Kurpark (siehe dort) spielen. Sowohl Loddar und Albert als auch Micky und der spätere Überraschungseier-Sammler Peter haben inzwischen das Zeitliche gesegnet, aber Detlef, der letzte Mohikaner, greift noch immer in die Seiten (u. a. bei Rubber Soul, Berlin)!
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