Am 1. Februar 2021 putschte das Militär in Myanmar. Das Resultat war ein landesweiter Aufstand, der inzwischen viele Todesopfer gefordert hat, und immer noch weiter geht. Auf den Fotos und Filmen sah man manchmal quer über die Straßen gespannte Wäscheleinen mit Frauenkleidung, aufgehängt natürlich von Frauen. Dadurch wurden die ‚Sicherheitskräfte‘ daran gehindert, in die Straße einzudringen. Es war ein lustiger Anblick, einigen besonders ‚mutigen‘ Soldaten dabei zuzuschauen, wie sie auf Lkws stehend die Wäsche abhängten, bevor die Truppen weiter vorrückten. Alle machten sich über die ‚abergläubischen‘ Soldaten lustig, aber es war keine Rede davon, dass dieser Aberglaube von fast allen Burmesen (d. h. den Angehörigen der Bamar-Volksgruppe, die etwa zwei Drittel der Bevölkerung stellt) geteilt wird. Eine Freundin erzählte mir z. B., dass ihre Mutter zwei Waschmaschinen habe: Eine für die Männerkleidung und eine für die Frauenkleidung. Wer keine Waschmaschine hat, wäscht separat. Konsequenterweise verbot die Militärregierung das Aufhängen von Wäsche über der Straße
Was steckt dahinter? Es geht um das Verhältnis von Männern und Frauen! Eine zentrale Rolle spielt dabei das hpoun: (gesprochen etwa wie ‚Pohn‘), eine geheimnisvolle Kraft, die nur Männer besitzen. Frauen und interessanterweise auch homosexuelle Männer nicht, so sagte zumindest meine Gattin! Der Myanmar Dictionary übersetzt den Begriff wie folgt: ‚power, glory, influence sowie cumulative result of past meritorious deeds‘. Der Buddhismus stuft die Sexualität (hier als ‚Berührung‘ bzw. sparsa/Sanskrit oder phassa/Pali bezeichnet) als eine der verhängnisvollsten Kräfte ein, die den Gläubigen auf dem Weg zur Erlösung im Wege stehen. Sie ist das sechste Glied des Konditionalkette (pratityasamutpada), welche die Wiedergeburt ohne überwandernde Seele erklärt. Im tibetischen Bhavachakra wird sparsa durch ein kopulierendes Paar symbolisiert. Alles, was mit den weiblichen Geschlechtsorganen zusammenhängt, wird als schmutzig wenn nicht sogar verunreinigend betrachtet.
Dem hpoun: gilt die Ehrerbietung der Frauen und die willige Unterordnung unter ihren Mann. Es ist jedoch ständig gefährdet: So kann der Mann es u. a. verlieren, wenn er mit Frauenkleidung in Berührung kommt. Kein burmesischer Mann würde freiwillig unter einer Wäscheleine hindurchgehen, auf der diese aufgehängt ist. Am gefährlichsten ist übrigens Unterwäsche! Ein Frauen-Longyi (Wickelrock) darf sich niemals über dem Kopf eines Mannes befinden. Auch darf die Frau nicht höher sitzen oder stehen als ihr Mann. Außerdem soll sie nicht an seiner rechten Seite ruhen, da dort das hpoun: residiert.
Wie gehen nun die Frauen mit dieser scheinbaren Diskriminierung um? Offenbar sehr gelassen. Lassen wir einige Autoren zu Worte kommen: HUGH TINKER (The Union of Burma) bemerkt, dass
‚die burmesischen Männer die machtvolle Stellung ihrer Frau akzeptieren, weil diese ihnen zugleich das Gefühl geben, groß und wichtig zu sein, während sie still alles auf ihre Weise tun.‘ Dr. MAUNG MAUNG sieht es ähnlich: ‚Die Dhammathat, geschrieben von Mönchen und Männern, beschreiben zuweilen den Ehemann als Herrn und Meister des Hauses, und die burmesische Ehefrau lässt ihn in diesem Glauben, da es ihn glücklich macht und ihr erleichtert, den Haushalt zu führen.‘
Sehr oft wird (besonders gern von weiblichen Ausländern!) die Frage diskutiert, ob Frauen erlösungsfähig sind, d. h. aus dem Kreislauf der Wiedergeburten ausscheiden können. Oder ob sie erst einmal als Männer wiedergeboren werden müssen… Dazu gibt es verschiedene Meinungen: So weit ich das beurteilen kann, bestreiten orthodoxe Buddhisten die Erlösungsfähigkeit der Frau. Einigkeit besteht jedoch darin, dass Frauen weder Buddha noch Bodhisatta (Erleuchtungswesen, die auf die Buddhaschaft verzichtet haben, um anderen zur Erlösung zu verhelfen) werden können. Bodhisattas sind im Mahayana-Buddhismus (Lehre vom Großen Fahrzeug) eminent wichtig, im Theravada-Buddhismus (Lehre der Älteren, auch Kleines Fahrzeug genannt), der in Myanmar und Südasien dominiert, spielen sie kaum eine Rolle. Ihnen am nächsten kommt noch Lokanath, was man mit ‚Weltenwächter‘ übersetzen könnte. Sein Abbild ist in Myanmar allerorten zu finden. Einige Bodhisattas haben als Nothelfer ihren Weg in den theravada-buddhistischen Volksglauben gefunden. Der wichtigste unter ihnen ist zweifellos Avalokiteshvara, der ‚Herr, der gütig auf die Welt herabschaut‘ – und das ausgerechnet in seiner aus China stammenden weiblichen Form als Kuanyin (in Japan als Kannon bekannt). Der Kult (burm.: Guanyin Maedaw) kam vermutlich durch chinesische Einwanderer ins Land.
https://www.theguardian.com/global-development/2015/nov/02/myanmar-womens-fight-against-verbal-taboo-symbolises-wider-rights-battle