Freddy wird 90!

Brennendheißer Würstchenstand, fern so fern mein Heimatland ...
Keine Freunde, keine Liebe, keiner denkt an mich das ganze Jahr ...
Ich schlich mich heimlich fort als Mutter schlief ...
Einmal in Tampico, einmal in Tampico, einmal nur möcht ich dort sein!

Freddy (früher Freddy Quinn, eigtl. Manfred Petz), ist ein österreichischer Schlagersänger, der in den 50er und 60er-Jahren einer der Erfolgreichsten seiner Zunft in Deutschland war. Der angebliche ‚Junge aus St. Pauli‘ begann seine Karriere in der ‚Washington Bar‘ in Hamburg nahe der legendären Reeperbahn. Nachdem er sich vergeblich im Rock ‘n’ Roll-Metier versucht hatte (‚So geht das jede Nacht‘, 1956), wo er jedoch in Ted Herold, Paul Würges und anderen seine Meister fand, beutete er mit Erfolg das Fernweh der Deutschen aus. Mit Liedern wie dem ‚Brennend heißen Würstchenstand‘ (‚Heimweh‘, eine Verunglimpfung von Dean Martins ‚Memories are made of this‘), ‚Heimatlos‘ , ‚Junge komm bald wieder‘ und ‚Tampico‘ erfreute er mehr als ein Jahrzehnt lang ein treues Publikum und wurde erfolgreichster deutscher Schlagerinterpret.

 

Damit die Leute ihm, dem in Niederfladnitz geborenen Ösi, wenigstens halbwegs den ehrlichen Seebären abnahmen, schaffte er sich ein Schiff an, dem er den Namen ‚Libertad‘ gab. Damit fuhr er (angeblich) allein auf die Nordsee hinaus, um die an Land so sehr vermisste ‚Freiheit der Meere‘ zu genießen. Ich stellte mir F. dann ungefähr so vor: Der Blanke Hans tobt, alle anderen sind schon seekrank und füttern die Fische, doch F. beißt die Zähne zusammen und hält Kurs – unser Held! Wie groß war meine Enttäuschung, als mir Jahrzehnte später in Yangon (Myanmar) Käpt’n Holger berichtete, dass er sich als Junge mal die Freiheit genommen hatte, mit seiner kleinen Jolle im Hamburger Hafen versehentlich die ‚Libertad‘ anzukratzen. Und was tat der freiheitsliebende, weltoffene F.? Er meckerte Holger an und der bekam deswegen von seinem Vadder noch ’ne Kopfnuss!

Es kommt der Tag, da will man in die Fremde. Dort wo man lebt, scheint alles viel zu klein ...
Weine nicht beim Auseinandergehn, denn ein Seemann will Tränen nicht seh'n
So ist nun einmal das Leben, dem einen, dem geht es zu gut. Dem anderen geht alles daneben ...
Weit ist der Weg, der Weg ist so weit!

Auch als Filmstar trat F. hervor: Filme wie ‚Unter fremden Sternen‘ oder ‚Freddy und das Lied der Südsee‘ zeigten ihn als freiheitsliebenden Romantiker, der mit seiner Gitarre in die weite Welt hinauszog. Vor allem in letzterem Streifen ist eine Ähnlichkeit mit Bollywood-Produktionen nicht zu verkennen: Am Strand von Tahiti und dessen Nachbarinseln sind die Eingeborenen hauptsächlich damit beschäftigt, in grenzdebiler Art und Weise herumzuhüpfen: Hula Hula, Tamoure, Wini Wini und was es sonst noch so gibt. Wie man sich die Wilden halt vorstellte, damals … F. lässt natürlich keine Gelegenheit aus, die Klampfe rauszuholen und seine neuesten Hits anzustimmen. Wenn man diese Filme mit jahrzehntelangem Abstand sieht, wird einem schlagartig klar, dass in den 50/60er-Jahren, in denen alle am schuften waren, eigentlich schon alle davon träumten, auszusteigen. Dies in die Tat umzusetzen blieb später uns, den Kindern jener Aufbaugeneration, vorbehalten. Aber F. war natürlich bei aller Aussteigermentalität auch ein echter Deutscher, soweit man das als Österreicher sein kann. Und Freddy hatte das Herz auf dem richtigen Fleck! In ‚Freddy und der Millionär‘ schafft er Ordnung im Leben eines von Heinz Erhard dargestellten millionenschweren amerikanischen Unternehmers, der von einer Bande von Nichtnutzen, darunter Grete Weiser ausgenutzt wird. Dessen Tochter Silvia versucht sich an Freddy ranzuschmeißen, aber der bleibt seiner Freundin Edith treu. In ‚Weit ist der Weg‘ wohnt er irgendwo in Brasilien im sogenannten Lagunenquartier. Er lebt auf seinen Sandalen in den Tag hinein, alle Fischer im Ort kennen ihn und

erfreuen sich an seiner Musik (‚La Guitarra Brasiliana‘). Manchmal hilft F. sogar mit, die Fischernetze reinzuziehen. Natürlich ließ ich es mir am Strand von Nilaveli (Sri Lanka) nicht nehmen, es meinem Vorbild F. gleichzutun – und so zogen wir in der Reihe der Fischer kräftig mit, um dann am Ende das stolze Ergebnis zu bewundern: Etwa zwanzig ölsardinengroße, verzweifelt nach Luft schnappende Fischlein … Dann schlägt das Schicksal zu: Er lernt ein kleines Waisenkind namens Janni kennen, das ihn als Papi betrachtet. Aber F. will sein Gammlerleben nicht aufgeben und schiebt die Kleine in ein Waisenhaus ab. Eine kühle, blonde deutsche Ärztin (Ingeborg Schöner), Leiterin eines Waisenheimes, nimmt das Kind auf. Doch F. tut die ganze Geschichte bald leid: Er bietet an, das Mädchen zu adoptieren! Er würde sogar einen Job annehmen, wenn es denn sein müsse. „Arbeiten? Sie? Sie können doch gar nicht arbeiten!“ höhnt die Blondine. „Was, ich kann nicht arbeiten?“, fragt F. empört. Er krempelt die Ärmel hoch und legt los: Erst beim Straßenbau, wobei er nebenbei halb Brasilia aufbaut, und dann als Lkw-Fahrer, wobei er noch eine Gangsterbande hochgehen lässt. Er widersteht den Reizen der Gangsterbraut (Ann Savo) und beschafft das Geld für das Kind – und ist somit halt doch wieder ein guter Deutscher. Am Ende bekommt er sogar noch die Blondine … Das Sprachgenie F. bringt in dem Film gelegentlich Spanisch und Portugiesisch durcheinander, aber hier zählt nur der gute Wille. Seinen musikalischen Abschied vom Gammlerleben nahm er mit dem Song ‚Wir‘ (siehe unten) – das allerdings erst Jahre später …

Der Autor mit Heini Afghan am Corcovado (Rio)

Na, was sind das für blöde Stories, fragt sich mancher. Das ist ja nun so weit hergeholt, das glaubt doch kein Mensch! Aber jetzt kommt die Kohle. Mein leider verstorbener Kumpel Heini Afghan aus Lünen/Westfalen konnte zwar nicht singen, aber er kam auch nach Brasilien und lebte am Strand in der Nähe von Salvador. Dort machte er sogar ein Hotel auf. Und auch er eroberte das Herz Ligias, einer Ärztin, und lebte mit ihr in Rio, wo sonst?

Doch zurück zu Freddy: Mit Zeilen wie ‚Fährt ein weißes Schiff nach Hongkong, hab’ ich Sehnsucht nach der Ferne!‘ traf er auch bei aufsässigen Jugendlichen einen Nerv. Wenn mich in meiner Heimatstadt das Fernweh packte, zündete ich manchmal eine geklaute rote Straßenbaulaterne an, hängte das Fischernetz auf, nahm mir eine Flasche Eierlikör, legte mich aufs Bett und hörte F.s Lieder … Lange schwebte mir vor es F. gleichzutun und zusammen mit meinem zeitweiligen Weggefährten Rolli Reiners zur See zu fahren. Während ich aber wenigstens noch ab und an beim Jadedienst Seeluft geschnuppert hatte, brachte es Rolli nie zum Seebären. Er ging (ebenso wie ich) nach Berlin, wo er seine finnische Freundin Titti kennenlernte. Dadurch wurden diese Pläne (für immer?) zu den Akten gelegt. Als sich F. später gesellschaftskritischen Liedern (‚100 Mann und ein Befehl‘) zuwandte, verlor er an Popularität und betätigte sich u. a. als Zirkusartist. Für uns Jugendliche war F. endgültig gestorben, als er in seinem Song ‚Wir/Ihr Gammler der Erde‘ (Textprobe: ‚Ihr lungert herum in Parks und in Gassen, wer kann Eure sinnlose Faulheit nicht fassen: WIR!‘) mit der Gammlerbewegung abrechnete.

Irgendwo im fremden Land ziehen wir duch Stein und Sand ...
Denn einer muss da sein, der nicht nur vernichtet, der uns unsren Glauben erhält!
Domenica - eine Hure mit Herz!
Das Ende - mit dem letzten ihm verbliebenen Freund auf d. Reeperbahn

Das Aufkommen von Heino und Heintje brach ihm endgültig das Genick, der ‚Junge von St. Pauli‘ kehrte an seine alte Wirkungsstätte zurück. Als Penner erbettelte er sich vor der ‚Washington Bar‘, Stätte seiner frühen Erfolge, von mitleidigen Passanten ein paar Pfennige, um billigen Fusel zu kaufen. Selbst seine alten weiblichen Fans wie Domenica auf der Herbertstraße waren nicht mehr bereit, ihm Kredit zu geben … Auch eine kurze Scheinblüte als Schwulenikone in den 90er-Jahren, als seine Filme von den Homos sozusagen gestürmt wurden, vermochte den Niedergang nicht aufzuhalten …