Fernfahrer - die Helden meiner Jugend

Mein Vater & sein Kollege Gustav vor d. 'Zug' d. Firma Stubben

Sie waren die Helden meiner Jugend, Namen wie Georg Gossel, ‚Millionen-Conny‘ Cornelssen, August Rackebrandt, Willi Sackewitz, GSV Carl Graetz, Fritzen Kraftverkehr und andere hatten bei mir einen Klang wie Donnerhall. Erstaunlich war, wie viele Fuhrunternehmen es im relativ kleinen W’haven gab. Vermutlich deshalb, weil die Eisenbahnanbindung so schlecht war, denn ein Stück der Gleisverbindung nach Oldenburg war eingleisig – die Engländer hatten die Schienen nach dem Krieg geklaut! Geweckt wurde die Bewunderung einerseits durch die in der Nähe der elterlichen Wohnung beheimatete Firma August Weiss: Der Unternehmer besaß ein paar Kipper und war eigentlich eher ein Kieskutscher. Aber ich konnte mich nicht satt sehen, wenn die schweren Lkws von Herrn Weiss’ Söhnen Adolf und Hermann gekonnt durch die enge Einfahrt bugsiert wurden. Der Unternehmer hatte noch einen dritten Sohn, Peter, der aber etwas aus der Art geschlagen war: Er fuhr einen Kastenwagen, mit dem er Kekse und Backwaren der Marke XOX (was immer das bedeutete) herumkutschierte. Dabei genierte er sich nicht, einen Kittel zu tragen. Er hatte zwei Töchter, eine von ihnen brachte es in der Stadt zu einiger Prominenz.

Der entscheidende Anstoß für diese Bewunderung hingegen kam sicher von meinem Vater, der lange Jahre als F. unterwegs war. Die längste Zeit davon für die Firma Fritz Stubben, deren Basis sich in der Kanalstraße 1 befand. Das Herz dieses Unternehmens schlug jedoch in der Küche der elterlichen Wohnung. Dort saß Herr Stubben (der einmal sogar eine ganze Flasche Rotbäckchen für den Sohn seines herausragenden Mannes mitbrachte!) oft zusammen mit seinen Fahrern (darunter so illustre Gestalten wie Onkel Bello, Horst Tschörner, Onkel Hans und Onkel Gustav, aber auch Hein Mull und Max Heilig) auf der Eckbank und arbeitete Einsatzpläne aus. Damals stand für mich fest, dass ich auch einmal F. würde. Leider gelang es mir bis ins hohe Alter nicht einmal, den Führerschein Klasse 5 zu erwerben, und so blieb mir mein Traumberuf verwehrt. Um aber diesem Metier wenigstens verbunden zu sein, begann ich eine Lehre als Speditionskaufmann bei Fritzen Kraftverkehr und konnte so meinen Helden ganz nah sein – obwohl sich aus der Nähe betrachtet manches relativierte. Nach Ablauf der Lehrzeit in Berlin wurde ich der Spedition gänzlich untreu: War die Arbeit als Aushilfspostbote beim Postamt 19 wohlwollend betrachtet noch eine verwandte Tätigkeit, verkam ich später gar zum Akademiker: Schade!! Stubbens schwere Lkws vom Typ Büssing, Henschel, MAN oder gar Faun fuhren kreuz und quer durch die Bundesrepublik. Ob Vegesack, Kaltenkirchen oder Marburg:

Kein Ziel war zu weit – natürlich brauchte man für letztere Stadt (und ähnlich weit entfernte) die Fernverkehrskonzession mit dem roten Balken. Wehe, die erwischten einen da mit dem Blauen (Nahverkehr bis 50 km) – dann gab’s richtig Ärger! Und was für tolle Sachen der Vater immer mitbrachte: Indianer aus Plastik, einen Drachen undundund. Der absolute Clou allerdings war ein Originalautogramm von Bernie Klodt, dem Ersatzlinksaußen der Weltmeisterelf von 1954, in dessen Kneipe auf Schalke er ein Bier getrunken hatte. Eines Tages machte unsere Volksschulklasse einen Schulausflug zum Handelshafen an der Luisenstraße. Alle Kinder waren ganz aufgeregt: Die Kräne, die schweren Lkws, die Gabelstapler! Und dann stieg aus einem der Laster mein Vater aus und kam zu mir. Ich war so stolz auf ihn und bildete mir ein, dass mich alle Klassenkameraden damals beneidet haben! Die Zahl der erlaubten Anhänger hinter der Zugmaschine war für uns Söhne Gegenstand wilder Spekulationen: Jahrzehntelang waren wir davon überzeugt, dass der Rekord bei fünf (!) Hängern steht. Das mehr als 30 Jahre später zwecks Beweisführung herangezogene Foto aus dem Familienalbum zeigt jedoch nur einen! Was für eine Enttäuschung! Aber dafür sah wenigstens der Vater ziemlich cool aus für die Zeit! Besonders beliebt bei seinen Jungen war das von ihm nach einwöchiger Tour mitgebrachte ‚Hasenbrot‘ – dass es eigentlich nur hartes altes Brot war, blieb ihnen in ihrer Begeisterung ganz verborgen.

Absolute Höhepunkte meiner Kindheit waren die paar Male, wenn er mich mit auf Tour nahm. Schlafen in der Kabine, die so schön nach Diesel, Hasenbrot und Leder roch. Und wir fuhren durch die ganze Republik: Marburg, Düsseldorf, Köln – was gerade so anfiel. Auf einer dieser Fahrten im Jahre 1960 warteten wir vor einer Fabrik darauf, dass wir mit dem Abladen an die Reihe kamen. Am Vortag war Hans Albers gestorben. Mein Vater ging Brötchen und die BILD-Zeitung holen und kam mit traurigem Gesicht zurück. „Was ist los, Hugo?“ fragte sein Kollege Onkel Bello. „Der blonde Hans ist tot“, sagte er … Auf diesen Fahrten sah ich auch zum ersten Mal Berge – für mich eine aufregende Sache. Wenn wir bei Regen fuhren, schaute ich immer ganz fasziniert zu, wie die Regentropfen die Windschutzscheibe hinunter liefen, und es war sehr spannend zu sehen, ob sie es nach unten schafften, bevor der Scheibenwischer sie erwischte. Die Fernfahrerei war finanziell recht ergiebig (Vater verdiente schon Anfang der 60er-Jahre 1000 DM monatlich, damals ein Haufen Geld), aber auch extrem anstrengend. Sonntagnacht ging es raus, und meist kam er erst am Freitagabend wieder. Für unser Familienleben war das nicht sehr förderlich, aber man konnte es sich damals auch nicht aussuchen, wie man sein Geld verdiente. Wir sahen seiner allwöchentlichen Rückkehr oft mit einem weinenden und einem lachenden Auge entgegen. Unsere Mutter schlug uns fast nie, aber sie schrieb unsere Untaten akribisch auf und übergab ihm die Liste bei seiner Ankunft. Er verabreichte uns dann in ihrem Auftrag eine Tracht Prügel … Als er schließlich eine Stelle als Pächter der neu eröffneten Fina-Tankstelle am Banter Markt angeboten bekam, griff er zu. Für die späteren F. hatte er nur noch Verachtung übrig: Plastikplanen? Hau mir doch ab! „Weißt du, wie das ist, wenn man eine nasse gefrorene Leinwandplane abziehen muss? Das ist Schwerstarbeit!“ sagte er, und ich glaubte es ihm aufs Wort. Recaro-Sitze? Da lachen ja die Hühner! Holzbank mit Stuhlkissen drauf – so fahren echte Kerle. Servolenkung für Lkws fand er nun völlig lächerlich – dann könnten ja sogar Frauen Lkws lenken!

Mein Vater (re.) mit seinem Kollegen Walter und dem seinerzeit allgegenwärtigen Eisbären. Sah doch echt cool aus, mein Alter in seiner Lederkluft! Oder?