Cartoons
Dieses Medium im modernen Sinn ist auch nicht viel älter als der Film. Natürlich gab es schon immer bebilderte Geschichten. Siehe Ägyptens Grabkammern. Aber Cartoons/Comics im heutigen Sinn kamen erst im ausgehenden 19. Jahrhundert auf. The Katzenjammer Kids wird von vielen als der erste Comicstrip überhaupt angesehen. Nachfolgender Artikel beschäftigt sich mit den Cartoons der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Comics der 50er und 60er-Jahre waren die üblichen Verdächtigen: Tarzan, Akim und Tibor, die Dschungelhelden, Sigurd, der edle Ritter, Nick der Weltraumfahrer und etliche ander, die teilweise recht kurzlebig waren – manchmal verschwanden sie (wie z. B. Silberpfeil, der junge Indianer) ebenso schnell aus dem Schaufenster des Zeitungshändlers Rothenau an der Ecke, wie sie hineingekommen waren. Ich konnte mir nur Piccolo-Hefte für 20 Pfennig leisten, die Großbände waren einfach zu teuer – 80 Pfennig! Micky-Maus-Heftchen hatte meine Mutter abonniert, sodass ich eine ganz stolze Sammlung besaß. Bis sie als erzieherische Maßnahme verbrannt wurde! Wenn man sich vor Augen hält, was die heute wert sind, kann man sich der Tränen nicht erwehren …
Rasselbande (dieser Name!) waren so Hefte für Strebertypen, unser Nachbarjunge Volker gab mir manchmal ausgelesene Exemplare – mit denen ich wenig anfangen konnte. Neben diesen Heftchen gab es noch die Illustrierten Klassiker, die Weltliteratur (wie z. B. Goethes Faust) kurz und prägnant zusammenfassten. Im Falle Faust auf 45 Seiten – überwiegend Bilder. Ganz praktisch, wenn man in der Schule mal ’ne Inhaltsangabe schreiben musste … Irgendwann war ich diesen Kinderkram leid und beschäftigte mich nicht mehr damit – bis ich nach Berlin kam! Dort wurden mir die Augen geöffnet über die Comics, die ich dahin kannte. Wer hätte denn damals als kindlicher bzw. jugendlicher Leser gedacht, dass das mehr als lustige Geschichten seien? Die umfassendste Analyse lieferte Dr. Grobian Gans, (ein Sammelsynonym für drei deutsche Soziologen) in dem Standardwerk Die Ducks, Psychogramm einer Sippe, das gleichzeitig noch eine gelungene Satire auf die ‚Kritische Theorie’ der Frankfurter Schule (s. u.)
war. Hier wird das ganze Ausmaß der Verklemmung manifest: Donald, die arme Sau, legte auch als Erwachsener nie den Matrosenanzug ab. Vermutlich hat er niemals im Leben mit Daisy gevögelt. Die lässt ihn erst ran, wenn er ihren Erwartungen hinsichtlich beruflichem Erfolg gerecht wird – und das schafft der nie! Gans (Zitat) fasst zusammen: ‚Die Unfähigkeit Donalds zur Erkennung seiner Klassenlage und zu ihrer Änderung liegt in seiner verkrüppelten Sexualität begründet. Um mit Walter Benjamin zu sprechen: ‚Männliche Impotenz – Schlüsselfigur der Einsamkeit, in ihrem Zeichen vollzieht sich der Stillstand der Produktivkräfte – ein Abgrund trennt den Menschen von seinesgleichen.’ Und sind Enten etwa keine Menschen?‘. Onkel Dagobert hingegen nimmt im Gegensatz zu Donald in der Entenhausener Rangordung eine dominierende Stellung ein – aber seine sexuelle Verkrüppelung entspricht der des armen Verwandten: Befriedigung kann er nur durch ein Geldbad erlangen. …
Eine bemerkenswerte Randgruppe stellte die Panzerknacker AG dar. Es gibt einige Gelehrte, die ihre Tätigkeit als Klassenkampf interpretierten. Völlig falsch, wie Gans (Zitat) zu Recht bemerkt: „In den Reden des Verbandsideologen begegnet uns nichts als die inhaltslose Adaption eines vulgärmarxistischen Jargons, so etwa, wenn er die Mitglieder zur Aneignung der Produktionsmittel auffordert. Nein, die Panzerknacker sind bestenfalls ‚Operettenrevolutionäre’ bzw. ‚kleinbürgerliche Kriminelle mit faschistoiden Zügen, depravierte Handwerker vermutlich, die ihrer Tätigkeit einen Anstrich von subversiver Aktion geben wollen’“. Verglichen mit denen war selbst Andreas Baader noch ein politischer Kopf, obwohl gewisse Parallelen zu seiner Bande nicht zu übersehen sind. Frage: Wo bleibt die Arbeiterklasse in Entenhausen? Die Antwort: Ihren Angehörigen am nächsten kommt Onkel Dagobert! Damals beim Goldrausch in Klondike – ausgerechnet! Die Botschaft war klar und systemerhaltend: Wer immer fleißig arbeitet, kann es bis zum Millionär bringen! Die Rettung aus diesem Schlamassel in Disneyland konnte nur durch die Jugend kommen. Selbst der Opa Mao sagte: „Die Jugend ist die aktivste und lebendigste Kraft der Gesellschaft. Sie ist am meisten begierig zu lernen, am wenigsten konservativ im Denken … “* Und somit waren Tick, Trick & Track die einzige Hoffnung Entenhausens. Ebenso wie wir glaubten, die einzige Hoffnung Deutschlands sein. * ‚Worte des Vorsitzenden Mao Tse Tung’, Peking, 1968, S. 344, (Vorbemerkung zum Artikel ‚Eine jugendliche Stoßbrigade der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft Nr. 9 in der Gemeinde Hsin Ping, Kreis Dschungdschau’ in: ‚Der sozialistische Aufschwung im chinesischen Dorf’
Bd. III, 1955). In Berlin lernte ich ganz andere Comics kennen, speziell die vom Marvel-Verlag: Neben den bereits Genannten waren dies der Submariner, Galactus, der Silver Surfer, Iron Man und wie sie alle hießen. Anfang der 70er waren sie in Deutschland nur einem Kreis Eingeweihter bekannt, im 21. Jahrhundert gibt es abendfüllende Spielfilme über sie (Iron Man ist inzwischen schon bei Teil III!). Ihre Kollegen Superman und Batman waren nie ein Thema für mich – zu blöd! Wenn man allerdings die X-Men oder andere Mutanten analysierte, stellte sich schnell heraus, dass sie nicht einen Deut besser waren als die Familie Duck. Und Sex kam bei denen gar nicht vor … Micky Maus hin, Silver Surfer her – anscheinend waren Comics sogar Kunst! Und keine Schundliteratur, wie es uns unsere Lehrer weismachen wollten. Es gab riesige Gemälde des amerikanischen Pop-Art-Künstlers Roy Lichtenstein mit Comicszenen. Die wurden für Millionen von Dollars verkauft! Also, die Marvel-Comics waren schlussendlich auch nicht viel besser als die Comics der Kindheit und Jugend.
Und dann traten die Underground-Comix in mein Leben. Nicht zu verwechseln mit U-Comix, die von einem deutschen Verlag herausgegeben wurde – obwohl es viele Überschneidungen gab. Endlich gab es vernünftige Comics! An vorderster Front stand Robert Crumb, der ‚Pate’ der Underground Comix Scene! Fritz the Cat kannten damals auch viele, die nicht zur ‚Szene’ gehörten! Konsequenterweise musste sein Schöpfer ihn sterben lassen, bevor er zur Mickymaus mutierte: Steffi Strauss stach ihn mit einen Schraubenzieher nieder!
Daneben gab es zahlreiche andere Figuren von Crumb, die weniger bekannt waren. Mr. Natural, der Guru aus Afghanistan, wo er als Taxifahrer tätig gewesen war. Engelschleck Schwarz, der Vamp aus dem Dschungel. Eier-Eugen und die Dickarschweiber, Lenore Goldberg’s Girl Command, Dale Steinberger, das jüdische Cowgirl. Sowie die Rough Tough Creampuffs, die endlich mal mit dem korrupten System in Amerika aufräumten. Dazu etliche mehr, deren Aufzählung den Rahmen dieses Artikels sprengen würde. …
… Gilbert Shelton war der zweite Fixstern am Comic-Himmel: Seine Fabulous Furry Freak Brothers waren einfach spitze! Der ‚Intellektuelle’ Phineas Freak, der Herumtreiber Freewheelin’ Franklin und der Vielfraß Fat Freddie erlebten genau das, was wir damals alle selbst durchlitten: Drogenrazzien, Pöbeleien von Spießern, Verlust der Arbeitsstelle wegen langer Haare, ständiger Geldmangel – das ganze Programm. … Und dann war da noch Sheltons Wunderwarzenschwein, eine Parodie auf Superman: Der Kühne Keiler jagte in der ‚Keilerkalesche’ gnadenlos Bösewichte wie den Maskierten Miesnick (Supermans Gegenspieler Lex Luthor ließ grüßen). Im geheimen ‚Wunderkoben’ entwickelte er Superwaffen gegen die Feinde der Menschheit. Ähnlich wie Superman war WW (Wonder Warthog) unbesiegbar, aber er hatte
eine Achillesferse: Was dem Stählernen der Grüne Kryptonit war WW – Erdbeer-Rhabarbertorte! Als er mal unter einer gigantischen Torte begraben wurde, musste er sich erst in sein Alter Ego Philbert Desanex verwandeln und durch zehn Meter Torte fressen, bevor er (50 kg schwerer) wieder frei war. Philbert war Reporter bei der Zeitung Morgendlicher Miesmacher – genau wie Clark Kent und Peter Parker alias Die Spinne. …
… S. Clay Wilson (Amerikaner wie Crumb und Shelton), der ‚Ikonoklast der Comic-Szene’, beeindruckte durch detaillierte Darstellungen von Gewalt, zerstückelten nackten Körpern und Eingeweiden. Angesichts derer sich selbst ein Crumb nach eigenen Angaben fade und langweilig (‚insipid’) vorkam. Seine bekanntesten Figuren waren Captain Pissgum’s Pervert Pirates (dtsch. Käpt’n Pissgaumen und die Perversen Piraten), die ihre Opfer noch mal richtig rannahmen, bevor die über die Planke gehen mussten. Auch der perverse Schwarze Prinz mit den gepuderten, gekräuselten Lippen gehörte zu seinen Geschöpfen. Der schreckte nicht davor zurück, zur Befriedigung abartiger Gelüste ein armes Dienstmädchen umzubringen (Eine Kugel im Arschloch, eine Studie des Verfalls). Die seiner Feder entsprungenen Gestalten bedienten vornehmlich die dunklen Seiten der Leser. …