Marktstraße - die Bewohner, Teil 1
Ein Blick in das Adressbuch der 50er-Jahre offenbart eine untergegangene Welt. Die damals noch in Ordnung schien. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, die Bewohner der ‚Prachtstraße‘ W’havens (der Marktstraße) ein bisschen unter die Lupe zu nehmen. Seinerzeit gab es ja kaum so etwas wie Datenschutz. Damals standen die Telefonnummern noch im Telefonbuch – sofern man ein Telefon hatte.
Was ja bei den wenigsten der Fall war. Und die Berufe der dort gemeldeten Leute waren säuberlich verzeichnet. Ich fange mit dem westlichen Teil an, der ist interessanter. Der ging von der ‚Banter Luftbrücke‘ (so nannten wir sie als Kinder) bis zur Werftstraße. Ab dort wird die Marktstraße eine Geschäftsstraße, der westlichste Teil ist eine reine Wohngegend mit wenigen Geschäften.
Da haben wir auf der Nordseite in der Nr. 217 das ‚Ledigenheim‘ der Bundesbahndirektion Münster, Eigentümer war der niedersächsische Minister des Inneren. Darin lebten – wie zu erwarten – etliche Bundesbahnangestellte. Kann mich an das Haus gar nicht mehr erinnern. Es muss an der Stelle gestanden haben, wo später das CVJM-Heim gebaut wurde (auch schon wieder Vergangenheit!). Oder? Dort wohnten u. a. Bahnunterhaltungsarbeiter, Bahnhelfer, Rangierarbeiter, Lokführer und sogar ein Bundesbahnsekretär. Was immer der auch getan hat. Daneben Serviererinnen, Polizisten diverser Ränge, Arbeiter, Lagerarbeiter und Schiffbauer. Aber auch ein Fleischer und ein ‚selbst. Wandergewerbebetreiber‘.
In der Nr. 211 ein Oberzollsekretär, gegenüber in der Nr. 210/212 ein Kellner, ein Hilfsschlosser, ein Elektroinstallateur, ein Arbeiter, ein Unfallrentner namens Glunz, nicht zu verwechseln mit dem Invaliden Heiken. Zwei Hausfrauen, ein Autoschlosser und ein Bäcker runden das Bild ab. Erstaunlich, wie viele Personen damals in einem Werfthaus wohnten. Aber man darf nicht vergessen, dass es eine Zeit großer Wohnungsnot war, in der Leute einfach einquartiert wurden.
In der Nr. 209 mein Namensvetter, der Vorarbeiter Anton Bruns (kein Verwandter), ein Heizer und ein Kraftfahrer. In der Nr. 207 die Familien Hayen (Tischler) und Neumann, darunter eine Witwe, eine Kanzleigehilfin, eine landw. Gehilfin (Magd?) und ein Arbeiter. Weiter geht’s mit der 206/208, wo ein Silberschmied, ein Schlosser, ein Invalide, eine Arbeiterin, eine Wwe. und ein Elektroinstallateur wohnten. In der Nr. 205 ein Maschinenbauer, ein Schiffbauer, ein landw. Gehilfe und ein Elektromechaniker. In der Nr. 204 wohnte Fam. Wiechmann, zu der ein Transportarbeiter, ein Artist (!) und eine Reinemachfrau gehörten, daneben noch ein Schiffbauer namens Müller. Weiter geht’s mit der Nr. 203, wo Fam. Eilerts (Vorarbeiter, Arbeiter und Rangierer) lebte, daneben Gerken (Hilfsarbeiter und Lagerarbeiter). In der Nr. 202 finden wir eine Witwe, eine Hausfrau und einen Schlosser. Dann kommt die 201, wo August Weiss wohnte, der später den Fuhrbetrieb an der Genossenschafts-/Ecke Lindenstraße hatte. Sein Sohn Hermann hat dort noch lange gewohnt. Alter Bekannter meines Vaters. Daneben noch eine Witwe und wieder ein Artist(!). Eine Hausfrau, ein Elektriker und ein Schuhmacher vervollständigen die Liste.
Interessant fand ich immer die vier Werfthäuser ganz im Westen auf der Südseite (Nr. 212 bis 198). Hier sind jeweils zwei Einheiten miteinander verbunden. In einem von ihnen wohnte m. W. meine Grundschul-Klassenkameradin Margaret Heimburg, die stärkste Frau der ganzen Klasse, vor der sogar die Jungen Respekt hatten.
Kommen wir zur Nr. 199, die sich eine Verw.-Angestellte, eine Wwe., ein Schmied, ein Heizer und ein Maschinist teilten. Gegenüber in der Nr. 198/200 finden sich ein Kupferschmied, ein Kutscher, ein Erdarbeiter, ein Kraftfahrer und ein Schlosser. Bunte Mischung! Nicht ganz so bunt ging’s in der Nr. 196 zu, die sich ein techn. Angestellter und ein Rentner teilten. In der 194 wird’s wieder interessant: Dort taucht ein Kraftwerk-Kontrolleur auf, daneben ein Schmied und ein Feinmechaniker. Ein ‚Helfer‘ (wobei auch immer er geholfen hat) komplettiert die Liste. Weiter geht’s mit Nr. 192. Dort lebten ein Rentner, ein Zahntechniker, ein Klempner und Installateur, ein Hilfselektriker und ein Maschinenschlosser unter einem Dach. In der Nr. 190 waren es ein Färber, ein Schmied und ein weiterer Maschinenschlosser. Und das war auch das letzte Haus im Teil 1, das an der Ecke Eisenbahnstraße lag. Wenn man die Richtung Süden hinabging, kam man zur Fußgängerbrücke über die Bahnlinie, die neulich für viel Geld erneuert wurde.
Aber in der 186 geht die Post ab! Da war der Laden von Schlachter Otto Dams und daneben Heinrich Folkmann, Lebensmittel (später Böhnert). Oben lebte die Witwe Mariechen Munsch, das Haus gehörte Dams. Wir ihr wisst, gibt es ja auf der Nordseite zwischen Eisenbahnstraße und Werftstraße keine Häuser bzw. gehören die zu den Seitenstraßen (Eisenbahnstraße, Lindenstraße, Akazienstraße, Pappelstraße und zur Werftstraße. Aber auf der Südseite ist schwer was los! Neben Dams‘ Fleischerei die Nr. 184, ein dreistöckiges Haus (ungewöhnlich in dieser Lage!), das dem Lebensmittelhändler Heinrich Isermann gehörte. Dort lebten jede Menge Leute. Im Erdgeschoss die Fahrradhandlung Diedrich Janssen, im Hause selbst wohnten noch drei Witwen, eine Köchin, eine Näherin, ein Tischler, ein Bauarbeiter, ein Schlosser, ein ‚Bürodiener‘, eine Stundenhilfe, zwei Rentner, eine Hausgehilfin, ein Arbeiter, ein Zollassistent, ein Polizeibeamter, ein Maschinenbauer und interessanterweise eine Verkäuferin namens Jähde. Der Fahrradladen von Janssen wurde später von einem Herrn Jähde übernommen. Den kennt wohl jeder aus der Gegend.
Dann die 182: Das Haus gehörte dem Fahrradhändler Janssen, der auch den Laden im EG betrieb. Daneben gab es dort noch einen Fleischermeister namens Eisenhauer, einen Wachtmann, eine Hausfrau, einen Tischler, einen Dreher, eine Wwe., einen Klempner, ‘nen Zimmermann und ‘ne Hausgehilfin. Und – nicht zu vergessen – den Friseur Winter, der mir so manches Mal einen total geilen Pottschnitt verpasst hat! Der Laden war an der Ecke zu dem Verbindungsweg zwischen Kindergang und Marktstraße. Erinnere mich daran, dass draußen so ein silberfarbener Teller hing, wie ihn Friseure damals hatten. An der Ecke hätte beinahe mein noch junges Leben sein Ende gefunden: Ich brauste mit meinem Fahrrad aus dem Gang raus und knallte voll in einen VW, der von links kam. Wahrscheinlich hatte ich sogar Vorfahrt! Wie auch immer, ich fuhr ihm in die Tür und flog im hohen Bogen über das Auto in Jagers Hecke! Mir ist nichts passiert. Eine Sekunde vorher hätte es anders ausgehen können … Und keiner hätte diesen Report geschrieben!
Es folgt die Nr. 180, der absolute Star der westlichen Marktstraße: König’s Apotheke Max Krahn, dem das Haus auch gehörte! Als Kind träumte ich immer davon, es eines Tages zu besitzen. Ist nichts draus geworden. Na ja, man kann nicht alles haben. Neben Max Krahn wohnten da noch zwei Apothekenhelfer, ein Rentner, eine Wwe. und ein Schlachter. Dann die Nr. 178, allgemein bekannt als Meidlein, die übrigens noch eine Filiale in der Rheinstraße hatten, wenn ich richtig informiert bin. Mein Kumpel Peder, der sich nebenberuflich als Croupier in der 5. Einfahrt betätigte, hatte den Laden Ende der 60er übernommen. Neben dem Gemischtwarenhändler Meidlein lebten dort noch ein Invalide, ein Maurer, eine Schneiderin und der Tischlermeister Bordiehn (im Adressbuch Bordiehm genannt), der seine Tischlerei im Kindergang beim Kindergarten hatte. Der hat uns immer seine Sägespäne geschenkt, die wir an unsere Nachbarin in der Lindenstraße verkauft haben, die eine Heizung hatte. Damals ganz was Ungewöhnliches, zumindest in dieser Gegend. Dann wieder Werfthäuser.
In der Nr. 176 der Arbeiter Heinz Bruns (wieder nicht mit mir verwandt!), ein Bürodiener, ein Rentner, eine Küchenhilfe und ein weiterer Arbeiter. Es folgt die 174, wo der Elektro-Installateur Paul Czembor und sein Namensvetter (ebenfalls Paul), der aber seines Zeichens Kesselschmied wohnten. Neben ihnen noch eine Wwe., ein Arbeiter, ein Kraftfahrer, zwei Küchenhilfen, eine Hausfrau und ein Fleischerlehrling. In der Nr. 172 zwei Invaliden (die sind immer männlichen Geschlechts, Invalidinnen gab es wohl nicht!), eine Arbeiterin und ein Elektromechaniker. Und dann noch der Arbeiter Stanislaus Kocur, auf dessen Namensschild St. Kocur stand. Als Kind bildete ich mir immer ein, dass dort ein Heiliger wohne. Das traf zwar nicht zu, aber er immerhin war er katholisch! Sein Sohn Seppi spielte bei Schwarz-Gelb, habe oft gegen ihn gespielt. War besser als ich. Was nicht schwer war … Seine hübsche blonde Schwester Hedwig war einige Zeit lang mein Schwarm. Schwamm drüber. Wie schon gesagt: Man kann nicht alles haben! In der 170 dann Fam. Bujak (ein Tischler, ein Maler) sowie eine Hausgehilfin und ein Kutscher! Muss also damals noch etliche Pferde gegeben haben, denn das ist jetzt schon der Zweite in diesem kurzen Straßenabschnitt. Zu guter Letzt die Nr. 168 dort finden sich ein Drogist, ein Schlosser, ein Kranführer und seine Frau, eine Arbeiterin. Tja, und dann kommt schon die Werftstraße.
Zwei Häuser vermisse ich: Zum einen den Milchladen im Bunker nahe der Eisenbahnstraße und dann natürlich Bude Wenke zwischen der Pappelstraße und der Werftstraße, wo ich immer die Lottoscheine für meinen Vater abgegeben habe. Einmal hatten wir 5 Richtige (das gab ca. 80.000 DM, ‘n Haufen Geld damals), und es gab fast schon Streit darum, was man mit dem vielen Geld alles anfangen wollte.
Am Montag die Enttäuschung: Es gab nur ein paar Hunnis, weil unter den Gewinnzahlen die 19 war. Und die tippte ja nun fast jeder! Dumm gelaufen … Von den beiden ‚Gemeindehäusern‘ (so nannten wir sie als Kinder) an der Ecke Eisenbahnstraße steht nur noch das auf der Nordseite (Eisenbahnstraße 11)! Das auf der Südseite (Marktstr. 188) ist schon lange verschwunden. Oder?