Gefährliche Spiele auf den Spülfeldern

Es war im Frühjahr 1962 und ich war zwölf Jahre alt. Ein paar Schüler meiner Klasse in der Freiherr-vom-Stein-Schule zündelten in der Pause auf dem Schulhof mit unbekannten Materialien. Näheres Befragen ergab, dass sie diese auf den Spülfeldern auf dem Heppenser Groden gefunden hatten. Irgendwann schloss ich mich ihnen an und wir fuhren zusammen mit dem Fahrrad dorthin. Einer hatte einen Klappspaten dabei. Die Spülfelder waren von grauem Sand bedeckt, der durch gigantische Stahlrohre dorthin gespült wurde. Ich vermute, dass der Sand aus der Baustelle der 4. Einfahrt kam. Die Gegend war in keinerlei Art gesichert und niemand störte uns bei unserem Treiben. Wir setzten den Spaten an und bereits nach kurzer Zeit wurden wir fündig: Munitionsreste, ja manchmal ganze Granaten, kamen ans Tageslicht. Wir machten ein Feuerchen, warfen das Zeug da rein und rannten davon. Brannte gut!

Komplett erhaltene Granaten öffneten wir ‚fachgerecht‘ auf der Spülleitung, d. h. wir hauten sie so lange darauf, bis sie endlich aufgingen und wir den Inhalt herausnehmen konnte. Der bestand meist aus sehr viele langen dünne Stäbchen. Wir nahmen an, dass es Schwarzpulver sei. Erstaunlicherweise ist nie was passiert. Bald begann ein schwunghafter Handel mit dem  gefährlichen Gut. Am Anfang war die Geschichte auf ein paar ‚Eingeweihte‘ beschränkt, aber irgendwann hatte sich die Sache herumgesprochen und selbst Kinder fingen an zu graben. Die Sache fand ein jähes Ende, als ein Zehnjähriger aus der Lindenstraße mit einer Granate auf dem Gepäckträger an der Feuerwache Oldeoogestraße vorbeifuhr, wo ein entsetzter Feuerwehrmann ihn und die Granate der Polizei übergab. Danach waren die Spülfelder wieder die Domäne von Ornithologen, die sich in unförmigen, aus Pappkartons gebastelten Kästen der Beobachtung von Vögeln widmeten.

Ich hatte im Kohlenkeller unseres Hauses eine große Kiste mit meinen ‚wertvollsten‘ Funden aufbewahrt. Mein Bruder verbrannte sich beim ‚Experimentieren‘mit Phosphor einmal ganz furchtbar. Drei Finger seiner Hand fingen Feuer und was auch immer wir versuchten, das Zeug war nicht zu

löschen. Am Ende kratzte ich die brennende Haut mit einem Messer herunter. Das konnte natürlich meiner Mutter nicht verborgen bleiben und es gab einen Riesenaufstand. Meine Eltern waren völlig entsetzt, sie hatten keine Ahnung von unserem gefährlichen ‚Hobby‘. Es dauerte eine geraume Zeit, bis die Verbrennungen verheilt waren, denn sie erwiesen sich als ausgesprochen hartnäckig. Weiß gar nicht mehr, was meine Eltern dem Arzt damals erzählt haben, aber die Behörden wurden nicht eingeschaltet. Das hätte dann wohl richtig Ärger gegeben. Ein Freund meines Vaters hatte in der Nachkriegszeit beim Munitionsräumdienst gearbeitet und schlug die Hände überm Kopf zusammen, als er meine ‚Schätze‘ sah. Sie wurden stillschweigend entsorgt und man verlor kein Wort mehr darüber.  

Genau in jenem Sommer reisten wir in die ‚Ostzone‘, um Verwandte meiner Mutter in Halle an der Saale zu besuchen. Das war ein Abenteuer für sich! Die Verbrennungen meines Bruders musste auch während des Aufenthaltes dort noch behandelt werden. Meine Mutter machte sich damals große Sorgen darum, dass der Arzt in Halle näher nachfragen könnte und das Ganze noch von der Zonenpropaganda ausgeschlachtet werden könnte. Was aber zum Glück nicht passierte.