Von der ESPRITA zum MOULIN ROUGE!

Fred Jahreiß bei der Arbeit: Schenk er ein, doch mess er christlich!

Die* Esprita war eine Kneipe in der Ebertstraße (heute Aphrodite?), die in den 60er-Jahren zur Heimat aller Intellektuellen, sonstiger unangepasster junger W’havener und natürlich der Exis wurde. Wegen Letzterer wurde der Laden von den Rockern in ihrer Unwissenheit auch Exsprita genannt – dabei hätten sie nur Helmut Brüning fragen müssen. Der fragte jeden, ob er es nun wissen wollte oder nicht: „Weißt du eigentlich, was Esprita heißt? Na? Es bedeutet ‚kleiner Esprit’ – du Kleingeist!“. Schauspieler aus dem Stadttheater waren dort auch gelegentlich zu sehen und wenn es besonders hoch her ging, setzte sich einer an das Klavier in der Ecke, das ansonsten als Behältnis für schal gewordenes Bier benutzt wurde, und klimperte populäre Melodien.  Der frankophile Fred Jahreiss und seine Frau Thea, die einen Citroën DS fuhren, hatten für alle jene, die am Leben in der Jadestadt verzweifelten, stets ein offenes Ohr. Fred hatte eigenhändig eine Wand seines Lokals mit Gips beworfen und die Tropfkerzen auf die richtige Dicke gebracht. Nachdem noch ein paar Aznavour-, Bécaud- und Piaf-Platten gekauft und in die Musicbox einsortiert hatte, konnte es losgehen. ‚Natalie von Gilbert Becaud immer gern aufgelegt. Der absolute Knaller war jedoch eine LP von Klaus Kinski, der nicht nur irre gucken, sondern auch sehr gut Gedichte aufsagen konnte, so z. B. von François Villon: Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund! „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund! Ich schrie mir schon die Lungen wund nach deinem weißen Leib – du Weib! Im Klee, da hat der Mai ein Bett gemacht, da blüht ein schöner Zeitvertreib mit deinem Leib, die lange Nacht. Aaaaahaaaaahahhhh, ooorrhhhhhhhhhh – ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!“. Fred musste die Platte immer wieder auflegen, und als sie abgeleiert war, schaffte er schnell eine Neue an.

*Nur Ignoranten sagten ‚das Esprita‘ …

Zur Eröffnung des Ladens erschien die gesamte intellektuelle Elite unserer Vaterstadt, darunter Kasimir, das Szeneplaygirl Schrubber, Krümel, Isolde, Joschi u. v. a. m.! Neben den ‚Intellektuellen’ verkehrten auch gewöhnliche Kunden wie Harry aus Dortmund in der E., der in Wirklichkeit kein Geringerer war als der Vater von Rosi. Der berühmteste Gast war zweifellos der Dichter Arthur Raake alias Märchen aus Berlin, der sich dort monatelang durchschnorrte. Als ihm keiner mehr einen ausgeben wollte, zischte er verächtlich „Scheiß Provinz-Spießer!“ und ging in die Frontstadt zurück. Bei Fred hat er heute noch 200 DM auf dem Deckel … Meinen Schulkameraden Conring, der ihm in der E. zig Biere ausgegeben hatte, lud er großzügig nach Kreuzberg ein: Wie groß war dessen Überraschung, als Märchen ihm sein Gästezimmer im Keller zeigte! Aber so war er, der Arthur Raake: Von der Großzügigkeit anderer hat er stets gern profitiert, aber selbst war er ein Geizhals … Fred Jahreiß war jedoch nicht nur Kneipier: Er betätigte sich auch als Künstler! So fertigte er gern auf Bierdeckeln kleine Porträts seiner Gäste an. Einmal schaffte er es sogar in die WZ, wo seine Ausstellung von Aquarellen aus Neustadtgödens gebührend gewürdigt wurde. 

Damals im Moulin Rouge

Neben der Esprita war das Moulin Rouge eine weitere In-Destination! Die von dem begnadeten Autolackierer Horst Lehmann und seiner Frau ‚Anita mit den abben Fingern‘ betriebene Kneipe an der Schulstraße mit dem Guernica-Bild von Picasso war sozusagen die zweite Heimat der Exis. Wenn es ganz hoch her ging, stieg Anita auf den Tresen und legte einen Table-Dance hin. Unter den Stammgästen waren Bulle, Peter Saake, Latte, Demski, die Gebrüder Borreck, Jürgen Otto, von Hin und Zurück u.v.a.m. Der glatzköpfige Wirt des von den Rockern ‚Mollinruusch’ genannten Lokals war dafür bekannt, dass er drei Toupets verschiedener Länge besaß, die er der Reihe nach aufsetzte. Wenn er das längste Toupet ein paar Tage getragen hatte, sagte er, dass er mal wieder zum Friseur müsse, und setzte sich das Kürzeste auf. Dem bald darauf das Mittlere folgte. Und so weiter! Lehmann konnte es gar nicht gut leiden, wenn in seinem Laden gekifft wurde, da er Probleme mit der Polizei befürchtete. Ansonsten war Horst ein cooler Typ und dem weiblichen Geschlecht sehr zugetan, wie zahlreiche Besucherinnen seines Etablissements bezeugen können. Schließlich begann er ein Verhältnis mit seiner Schwiegertochter – die Affäre endete ausgesprochen tragisch … Horst forderte seine Gäste auch gern zu einer Schachpartie heraus. Da die Kneipe recht klein war, wurde es vor allem im Sommer dort schnell ungemütlich, so dass viele Gäste sich auf der Straße aufhielten. Sehr zum Ärger der Nachbarn. Aber irgendwann war auch im ‚Mul‘ mal Schluss  und Horst begann, die Stühle auf die Tische zu stellen. Wenn die Gäste dann partout nicht gehen wollten, holte Horst seinen unter der Theke verwahrten Gummiknüppel raus – spätestens dann ergriffen alle die Flucht!