Es geschah vor der Freiherr-vom Stein ...

Es war im Spätsommer 1963. Ich entsinne mich deswegen so gut daran, weil nämlich genau zu dem Zeitpunkt die Bundesliga den Spielbetrieb aufnahm. Ich war damals Schüler der Klasse 8 a in der Freiherr-vom Stein-Schule und wir hatten – zusammen mit einer verfeindeten Parallelklasse – eine Klassenfahrt ins Weserbergland gemacht. Wir wohnten in der Jugendherberge in Holzminden und unser Klassenlehrer war Tammo. Die Parallelklasse wurde von unserem Turnlehrer, Herrn R.,  begleitet. Von Holzminden aus unternahmen wir Ausflüge in den Ith, nach Lügde und weiß der Himmel wohin noch.  

Lehrerkollegium der FvS, 60er-Jahre: Wer war's?

Vor der Jugendherberge traf sich abends die lokale Jugend. Besonders auffallend ein Mädchen namens Marga K., das mit 17 bereits Mutter eines Kindes und – wie sich später herausstellte, – zu dem Zeitpunkt schon wieder schwanger war. Sie flippte völlig aus, als sie unseren (leider verstorbenen) Klassenkameraden Botho aus der Mellumstraße sah und verliebte sich unsterblich in den schönen Botho. Der fühlte sich anfangs noch geschmeichelt. Als sie aber nachts wie eine rollige Katze vor der Jugendherberge herumlungerte und nach ihm rief, wurde es ihm langsam unheimlich. Unser Turnlehrer war stinksauer und motzte Marga massivst an. Die ließ sich jedoch – anders als wir – nicht einschüchtern und keifte in ordinärster Weise zurück. Wir hatten natürlich einen Heidenspaß und im Gegensatz zu dem Pädagogen und Botho fanden wir es ziemlich schade, als es wieder nach Hause ging. Jeder dachte, dass die Sache damit erledigt sei, aber wir hatten die Rechnung ohne den Wirt (oder besser gesagt die Wirtin) gemacht.

Freiherr-vom-Stein-Schule, Mittelschule für Jungen
So habe ich sie am liebsten gesehen: As weiter Ferne!
Der Big Ben Club, 60er-Jahre
40 Jahre später - alles vergessen und vergeben!

Kaum waren wir wieder daheim, als Marga im superknappen Minirock und Stöckelschuhen und geschminkt wie ein Tuschkasten vor unserer Schule auftauchte und nach Botho rief! Unser Klassenkamerad fing fast an zu weinen und jammerte: „Schafft mir diese Irre vom Hals!“. Sehr bald hatte Margas alter Widersacher von der Sache Wind bekommen und flippte fast aus. Er rannte auf die Straße und beschimpfte Marga auf das Gröbste: „Hauen Sie endlich ab, sie verblödete Schlampe, sonst vergesse ich mich!“. Aber die war wie schon zuvor um keine Antwort verlegen: „Reg dich ab, Opa, sonst trete ich dir so in die Eier, dass du die Engel im Himmel singen hörst!“. Unser Turnlehrer rief puterrot an und schnappte hörbar nach Luft, aber er traute sich nicht, Marga eine runterzuhauen. Die ganze Schule (mit Ausnahme der Lehrer, versteht sich) glotzte aus den Fenstern und freute sich: Endlich zeigte es mal jemand diesem Typen! Kurz vor dem Herzinfarkt stehend, zog er sich schimpfend in die Schule zurück und rief die Polizei an.

Die teilte ihm jedoch mit, dass es kein Gesetz gegen das Herumlungern vor Lehranstalten gebe und ‚Störung des Unterrichts‘ nun mal keine Straftat sei. Als Botho trotz guten Zuredens nicht rauskommen wollte, entsann sich Marga unseres Klassenkameraden Rainer, der schon in Holzminden als Postillon d‘Amour zwischen den beiden fungiert hatte. Der beruhigte den liebeshungrigen Teenager und versprach ihm für den Nachmittag ein Treffen mit dem Mann seiner Träume. Jener aber weigerte sich standhaft, und so verbrachte Rainer einen aufregenden Abend mit ihr, an dem er nicht nur zum ersten Mal in seinem Leben ein Bier trank und eine Zigarette rauchte, sondern auch noch diverse Musikclubs – darunter den legendären Big Ben – betrat. Da er sie nicht mit nach Hause nehmen konnte, mussten sie sich schweren Herzens trennen. Marga verschwand auf Nimmerwiedersehen Richtung Hamburg, und Rainer war – ebenso wie seine Mutter – nicht wenig erstaunt, als ein paar Tage später die Polizei bei ihm auftauchte und nach dem als vermisst gemeldeten Mädel fragte.