Aus meinem Reiseleiterleben
‚Welcome my friend, welcome to the machine.
Where have you been?’ (Welcome to the machine, Pink Floyd)
Ja, wo war ich eigentlich gewesen? Draußen, in der Travellerszene! Doch irgendwann kam mir der Gedanke, dass ich doch mein Hobby eigentlich zum Beruf machen könnte. Gesagt, getan, ein paar Reiseveranstalter angeschrieben – und – ZACK! – war ich drin. Kein Wunder angesichts meiner Qualifikationen! Und jetzt habe ich endlich mal die Gelegenheit, ein bisschen aus dem Nähkästchen bzw. der Maschinerie zu plaudern …
Ich möchte vorab eines klarstellen: Ich LIEBE meinen Beruf! Sonst wäre ich vermutlich nicht seit dreißig Jahren in dieser Branche tätig. Davon zwanzig Jahre als selbstständiger Reiseunternehmer in Burma/Myanmar. ich habe mit vielen große Reiseunternehmen zusammengearbeitet. Da gab es so ’ne und solche. Nachstehender Bericht bezieht sich auf Letztere. Ich hatte viele zufriedene, ja, manchmal sogar begeisterte Kunden. Zu manchen habe ich heute noch Kontakt – und zwar nicht nur geschäftlich. Es sei hier jedoch nicht verschwiegen, dass manche Kunden oder Veranstalter mit meiner Art nicht klar kamen. Doch so ist es nun einmal, wenn Menschen miteinander kommunizieren …
Der moderne Studienreiseveranstalter sieht sich nicht als reiner Unternehmer mit dem Ziel der Profitmaximierung. Obwohl die natürlich im Vordergrund steht. Auch wenn man so tut, als ob das nur eine Nebenrolle spielt. Nein, mindestens genauso wichtig ist – zumindest für einige unter ihnen – die Funktion als Pädagoge. Im wahrsten Sinne des Wortes: Kinderführer! Selbstverständlich ist der Kunde König. Aber das hindert jene nicht daran, ihn bei jeder Gelegenheit wie ein Kind zu behandeln. Ein Blick in das – geheime? – Reiseleiter-Handbuch einer namhaften (hier nicht genannten) deutschen Firma zeigt, wo es lang geht. Ach, was sag ich denn da? Alle paar Monate kam ein neues Handbuch raus, das Alte war zu vernichten! Tat ich aber nicht, so was darf man nicht wegwerfen! Die moderne Studienreise ist das Unternehmensziel! Wer versteht es besser, liebe Omis humorvoll in Comicform zu geißeln? Wenn die z. B. Kugelschreiber oder gar Süßigkeiten an indische Dorfkinder verteilen. Wer ist der Erfinder des awareness break (‚d. h. eine bewusst inszenierte Pause der Ruhe und Stille zwischen den Führungen’, Handbuch)? Wer hat das idiotische Rotationssystem propagiert, das Kunden behandelt wie unmündige Kleinkinder? Zitat zum Thema Sitzplätze im Bus: ‚Reihenweise von hinten nach vorn: Wer am ersten Tag in der 2. Reihe sitzt, wechselt also am zweiten Tag in die erste Reihe, die erste Reihe des ersten Tages rückt am zweiten Tag in die letzte Reihe der gleichen Busseite zurück’. Immerhin, bei Reisen, die kürzer als fünf Tage sind, kann jeder den Platz einnehmen, den er möchte. Was auch für den ersten Tag einer längeren Reise gilt. Doch auch die persönliche Freiheit kommt nicht zu kurz: ‚Diejenigen Gäste, die an ihrem Platz bleiben möchten, können sich im hinteren Teil des Busses einrichten’. Bemerkenswerterweise gelang es mir auf Hunderten von Reisen, die sich aus der Sitzplatzverteilung ergebenden Probleme ohne das famose Rotationssystem zu lösen. Am Anfang versuchte ich es. Nachdem die Kunden mich auslachten, ließ ich es. Und es gab keine körperlichen Auseinandersetzungen zwischen ihnen. Bei der Zimmerverteilung muss der geplagte Reiseleiter die Zimmer auf seiner Kundenliste einmal von oben nach unten und beim nächsten Mal von unten nach oben verteilen – alles gar nicht so einfach. In letzter Konsequenz wäre es doch sinnvoll, die Kunden wie Vorkindergartengruppen Hand in Hand über die Akropolis oder sonst wo latschen zu lassen! Da ist es nur konsequent, sie durch alberne Spiele auf Kindergartenniveau (Zusatzblatt Nr. soundso, wichtig, unbedingt in RL-Mappe abzuheften!) zu unterhalten. Zum Beispiel indem man verschiedene, möglichst landestypische, Gegenstände in einem Sack steckt. Und die Kunden durch Betasten erraten lässt, um was es sich handelt. Was könnte das sein – eine Sitar oder ein Betelpriem? Ein Cowboyhut oder ein Revolver? Gar nicht so einfach …
Oder das beliebte Nationalhymnenraten bzw. Flaggenraten auf langweiligen Busfahrten. Manch einer mag sich dabei an das Quiz Zwei aus einer Klasse in der 60er-Jahre-Fernsehsendung Sport, Spiel Spannung erinnert fühlen! Wie mir ein Reiseteilnehmer berichtete, wurden er und die Mitreisenden während einer USA-Reise permanent vom Reiseleiter mit solchen Spielchen gefoltert. In den Pausen dazwischen wurden sie gnadenlos zugetextet. Als man den Reiseleiter bat, bitte mal für eine Zeit den Mund zu halten, lehnte der das mit den Worten: „Das ist Vorschrift in unserer Firma!“ ab. Wo bleibt denn da der awareness break? In dieser Hinsicht ist das Reiseleiter-Handbuch durchaus ausbaufähig; wie wäre es z. B. mit Sackhüpfen? Oder Kissenschlacht auf einem rutschigen Baumstamm zum Amüsement des Hotelpersonals? Die Möglichkeiten sind praktisch unbegrenzt. Auf Bootsfahrten könnte man ‚Schiffe versenken’ spielen. Da gibt es schon ganz moderne, virtuelle Formen – so macht das Reisen Spaß: „C 8!“– „Volltreffer, ein Zerstörer versenkt!“. Merkwürdigerweise wird gleichzeitig (jedenfalls steht es so im Handbuch … ) das Ziel verfolgt, ‚ … unsere Reiseleiter zu größerer Eigenverantwortung zu motivieren. Bei vielen Ereignissen und Vorkommnissen gibt es keine allgemein verbindliche Regelung*. Dort ist der common sense, der gesunde Menschenverstand, im Sinne eines eigenverantwortlichen Denkens und Handelns, ein wichtiges Kriterium für ihre Entscheidungen und Handlungen.’ Gut gebrüllt, Löwe, aber wehe, diese von common sense geprägten Entscheidungen haben für Veranstalter negative Konsequenzen. Dann heißt es natürlich: „Im Reiseleiter-Handbuch steht doch … !“. Wie auch immer, es gilt das Motto: „Wir stehen hinter Ihnen!“ – und zwar mit dem Messer in der Hand!
*es umfasst nur etwas mehr als hundert Seiten, Anmerkung des Verfassers)
Nun ist besagtes Werk nicht etwa das einzige Arbeitsmittel des modernen Reiseleiters: Nein, zusätzlich wird er noch vollgemüllt mit Änderungen! Zusatzblätter, Ungültigkeitserklärungen, Hinzufügungen, irgendwelche Handzettel – nach jeder Reise quoll der Briefkasten über von dem Zeug. Und alles schön abheften, damit es nicht später heißt „Lieber Herr XY, wir haben doch am 32. Oktober unsere Broschüre Nr. Soundso verschickt, haben Sie die etwa nicht gelesen?“. Nee, habe ich nicht, muss ja zwischendurch auch ein bisschen was arbeiten!!! Das Prinzip ist aus autoritären Systemen bekannt: Keiner kann völlig gesetzeskonform leben, jeder ist irgendwie, irgendwo schuldig! Zeit meiner Beschäftigung bei einer dieser Firmen hatte ich das Gefühl, dass ein Damoklesschwert über mir schwebte. Einer der schönsten Tage meiner Reiseleiterkarriere war jener, an dem die Zusammenarbeit mit diesem Laden für immer beendet war. Nur als ich mal in in den 70ern bei der Brauerei Schultheiss in Berlin Sixpacks abfüllen musste, war ich mehr gestresst – aber das war ein Tagesjob vom Schnelldienst des Arbeitsamtes! Wie habe ich diese Umschläge gehasst! Ja, gehasst! Und wie groß war die Freude, als ich den – selbstredend nie gelesenen – Inhalt endlich verbrennen konnte. Eigenhändig habe ich diese Hassobjekte durch den Papiershredder geschickt und nochmals zerrissen, zerfetzt, zu kaum noch erkennbaren Schnipseln dezimiert und verbrannt – das machte richtig Spaß! Mit ihren revolutionären Marketingmethoden machten diese Penner den Reiseleitern das Leben zur Hölle: Manchmal mussten die armen Kollegen in irgendwelchen Provinzreisebüros den neuen Katalog vorstellen. Was mir zum Glück erspart blieb.
‚People on the street need a place to go,
walking with the beat if it’s not too slow
When the night’s dark shadow falls,
on the sidewalk scenes and the concrete canyon walls’
(People on the street, Neil Young)
Durch das vorzeitige Ausscheiden bei jener Firma kam ich leider gar nicht mehr dazu, mein eigenes revolutionäres Reisekonzept vorzustellen: ‚Clochard-Touren‘! Die Idee dazu kam mir, als ich einmal in München weilte, um eine Sammlung im Münchner Stadtmuseum zu bearbeiten. Mittags lud mich Dr. Till, seines Zeichens Leiter des Museums, auf dem nahe gelegenen Viktualienmarkt (oder Ficktualienmarkt, wie die Einheimischen sagen) zu einer Weißwurst ein.
Da stand mitten zwischen den einheimischen Dirndlträgerinnen im Bogenhausener Blond und den Touristen ein abgezehrter Mann mit Rucksack in einer Ecke und verzehrte eine Weißwurst. Ich wollte soziale Kompetenz beweisen und sagte zu meinem Begleiter: „Ist ja ein Skandal, dass es in so einer reichen Stadt Penner gibt!“ – „Nein, das ist kein Penner!“, wurde mir erklärt: „Viele Münchner machen so Urlaub: Schnallen sich den Rucksack auf den Rücken und ziehen wochenlang ziellos durch die Stadt, waschen sich nur sehr selten, wechseln ihre Kleidung nicht, schlafen unter Brücken, sitzen an der Isar herum, trinken billigen Fusel und wärmen sich in Kaufhäusern auf! Und anschließend kehren sie wieder an den Schreibtisch zurück“. Ich war baff – was es nicht alles gab!
Und da setzte meine Idee an: Hier waren ganz neue Kundenschichten zu gewinnen! Die ‚Clochard-Tour’-Teilnehmer von heute als die Studienreise-Teilnehmer von morgen! Das Reiseunternehmen besorgt sich bei ALDI ein paar Einkaufswagen, an die das Firmenlogo gepappt wird. Diese werden mit Fusel, Baguettes, Gauloises, Konservendosen und ähnlichen Leckereien beladen. Die könnte man im Einkaufsverbund mit ROTEL-Tours besorgen, die ihre Kundschaft grundsätzlich mit Konserven, bevorzugt Königsberger Klops, abfüttern. Jeden Tag wird der Essensvorrat an dafür vorgesehenen Plätzen (vielleicht in Zusammenarbeit mit Partner-Reisebüros?) aufgestockt. Dazu gibt es einen Schlafsack und Klopapier und ein Kulturbeutel-Set mit Zahnbürste, Läusekamm usw.
Zusammen mit Gleichgesinnten würde man gemeinsame Wanderungen zu den schönsten Isarbrücken oder in Parkanlagen organisieren. Musik ‚ … ist ein Aspekt der Modernen Studienreise, ein Teil der Kultur des Reiselandes’ wie wir aus dem Handbuch wissen, denn ‚Auf Beispielen landestypischer Musik lassen sich interessante Vorträge aufbauen: Rossini und Verdi, aber auch Eros Ramazzotti oder Gianna Nannini passen natürlich besser zu Italien’. In München würde man möglicherweise eher auf Skandal im Sperrbezirk oder das Hofbräuhauslied zurückgreifen. In Berlin wohl eher auf Kreuzberger Nächte von den Gebrüdern Kopfschuss. Wir von Freddy (‚Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden – Wir!’) passt überall. Der moderne Reiseleiter wird auch nicht davor zurückscheuen, in behutsamer Weise kontroverse Themen aufzugreifen. So könnte man bspw. vor das Haus ziehen, in welchem Rex Gildo Selbstmord verübte. Er sprang aus dem Klofenster in den Tod! Und des Toten mit dem kollektiven Absingen seines Hits Vom Stadtpark die Laternen gedenken. Gefolgt von einem awareness break und einem herzhaften ‚Hussa!’. Besonderen Wert wird er bei dieser Kundengruppe auf das gemeinsame Essen legen: ‚In vielen Fällen ist es nötig, die Speisen und insbesondere spezifische Spezialitäten zu erläutern‘: „Diese Ölsardinen sind Mitglieder der Familie Sardina pilchardus aus Portugal! Sie zeichnen sich durch einen fein-nussigen Geschmack aus und passen sehr gut zu Liebfrauenmilch-Wein!“.
Auf die Durchsetzung des Rauchverbotes bei Tisch und während der Wanderung wird der erfahrene Tourleader aus gesundheitlichen Gründen besser verzichten. Auch das letzte Mittel, die Kündigung des Reisevertrages ‚bei massiven und extremen Störungen der Reisegruppe durch einen Gast, der sein Verhalten auch nach Abmahnung nicht anpasst’ sollte der Reiseleiter nur sparsam anwenden, es sei denn, er ist Karate-Schwarzgurtträger. Vielleicht wäre bei dieser Kundengruppe zusätzlich zur obligatorischen Ausbildung in Erster Hilfe eine Einführung in ostasiatische Kampfsportarten für den Reiseleiter zu erwägen. Die Teilnehmer verpflichten sich, während des Urlaubs nicht warm zu duschen. Dafür kann ein anderer Kunde klimaneutral nach Amerika fliegen. Doch das sind nur Denkansätze, die im RL-Handbuch in bewährter Weise in Wort, Bild und Schrift umgesetzt werden müssten. Und wer weiß, vielleicht wäre der eine oder andere Teilnehmer zu Höherem berufen. Ein paar Reiseleiter-Seminare, gelegentlich Schmökern im Handbuch und als Krönung des Ganzen die ISO-Zertifizierung.
Und fertig ist der Penner als Reiseleiter, als welcher ich einmal von einer Kundin diffamiert wurde. Apropos Lehrgänge bzw. Seminare, davon habe ich noch gar nicht erzählt. Eines Tages konnte man sich beim besten Willen nicht mehr drücken vor der Teilnahme an den gefürchteten Seminaren und Lehrgängen der Firma. Keine Ausrede half mehr, denn das gehörte zur ISO-Zertifizierung! Der Erste-Hilfe-Kurs war vergleichsweise harmlos, ein Tag und das war’s. Seminare dauerten jedoch mehrere Tage! Zusammengepfercht mit irgendwelchen lernbegierigen Reiseleitern, die ihre freie Zeit nutzten, um ins Museum des Ortes zu gehen und zu demonstrieren, was für tolle Culture Vultures sie doch waren. Unvergesslich der Auftritt einer ägyptischen Kollegin. Die referierte allen Ernstes darüber, wie stolz sie darauf sei, für die Firma zu arbeiten. Stolz! Wenn sie auf irgendwelchen Nildampfern ankam, stand die ganze Besatzung stramm: „Das ist die Reiseleiterin von ABC!“ murmelten sie ehrfürchtig. Na, das geht doch runter wie Öl!
Bei einem Lehrgang unter Leitung einer firmeneigenen Psychotante mussten wir Gruppen bilden, die nach Augenfarbe sortiert wurden. Kein Quatsch! Und dann im Kreis aufstellen und dem Vordermann den Rücken massieren – ungelogen! Und unvergesslich! Ich, der Junge aus einfachem Hause, mitten in dieser Psychokacke: Wie habe ich mich geschämt! Wir bekamen einen Bogen DIN A4 Papier und eine Schere in die Hand gedrückt. Damit sollten wir ausdrücken, was uns die Zusammenarbeit mit der Firma bedeutete. Und auch noch unser Kunstwerk erläutern! Ich zerknüllte das Papier zu einem Ball. Den schwer beeindruckten Teilnehmern sagte ich, dass dieses Knäuel einen Kokon symbolisiere. Der mir Geborgenheit vermittle – so wie die Firma! Tiefpunkt der Erniedrigung war ein Auslandsseminar mit den Bigshots der Firma. Glücklicherweise kam kurz danach die Zusammenarbeit mit ihr zum Erliegen. Doch die seelischen Narben bleiben!
Eine ganz besondere Leistung ist die ISO-Zertifizierung eines – hier ungenannt bleibenden – Unternehmens einschließlich seiner Reiseleiter. Wie stolz war ich, als ich das Zertifikat endlich in Händen hielt: ISO-zertifiziert, wie die Toilette am Flughafen in Bangkok oder die Ramschprodukte chinesischer Spielwarenhersteller, die Kleinkinder weltweit mit hochgiftigen Barbiepuppen traktieren!!!
Da nimmt man gern die Mühe auf sich, eine halbe Stunde von der betriebseigenen Zertifiziererin zugequatscht zu werden, bis man sie – die ISO-Zertifizierung natürlich! – in den Händen halten kann … Nun war ich endlich XY-Reiseleiter: ‚ … Eine stabile, starke, führende, aber nicht zu dominante Persönlichkeit.’ Ich war endlich ‚ … sozial kompetent, tolerant und zuverlässig und arbeite loyal mit der Firma zusammen. Selbstbeherrschung, um sich Langeweile, Müdigkeit, physische Belastung, Stress, Nervosität usw. nicht anmerken zu lassen’, gehörten nun zu meinem professionellen Auftreten als Reiseleiter, der die ‚ … eigenen Wünsche und Bedürfnisse während seiner Tätigkeit zurückstellt und voll für den Reisegast da zu sein hat.’ Ich besaß auf einmal das ‚ … Gespür für die psychische und emotionale Verfassung sowie für die aktuelle Stimmung der Teilnehmer’. Nie im Leben habe ich in so kurzer Zeit so viele Fähigkeiten erworben! Wie z. B. aus einem reichen Fundus ‚gestalterischer und dramaturgischer Möglichkeiten’ zu schöpfen. Die ‚ … Berücksichtigung körpersprachlicher, gruppendynamischer und didaktischer Elemente’ würden schließlich zu einem ‚gelungenen Gesamtkunstwerk’ beitragen – na, dann Prost Mahlzeit! Meine Einstellung dazu ist so simpel wie mein Gemüt: Entweder man kann es, oder man kann es nicht! Das lässt sich nicht erlernen. Einen Hansel – und hat er auch noch so viele Lehrgänge durchlaufen – werden die Kunden nie respektieren.
Doch die Bevormundung der Kunden und der Reiseleiter (bei allem Common Sense!) ist nur eine der selbst gestellten Aufgaben vieler Studienreiseunternehmen. Sehr wichtig ist auch der Kampf gegen den Kolonialismus im Allgemeinen und die Kolonialherrenattitüde im Besonderen. Diese Relikte einer – zu Recht! – untergegangen Welt werden definiert durch eine überaus wichtige Zielgruppe: Allein erziehende Lehrerinnen mit Doppelnamen! Ein Blick in das Wörterbuch des Gutmenschen – Zur Kritik der moralisch korrekten Schaumsprache reicht aus, um zu wissen, wovon ich spreche: ‚Mein Freund ist Ausländer’, ‚Wut und Trauer’, ‚Ein Stück Versöhnung’ – solche Begriffe sind es, die das Denken jenes Kundenkreises prägen. Wie formuliert es Michael Rutschky unter dem Stichwort ‚Trauerarbeit’ so treffend? „Die Karriere, die das Gutmenschentum der Idee der ‚Trauerarbeit’ verschafft hat, führt zwingend zum Staatstragenden. Sie macht Herzenskälte zur moralischen, ästhetischen und politischen Pflicht.“ Ich erinnere mich an eine Kundin. Der kamen beim Abendessen fast die Tränen, als sie den verblüfften Mitreisenden erläuterte, dass unsere Gattung in 5 Millionen (!) Jahren am Ende sei. ‚Wenn wir jetzt nicht gegensteuern!’.
Weiß leider nicht mehr, wogegen wir ansteuern mussten. Dürfen es vielleicht auch ein paar Millionen Jährchen mehr oder weniger sein? Angesicht der Tatsache, dass die Menschheit nicht einmal eine Million Jahre alt ist, mag mancher denken, dass solche Bedenken etwas weit hergeholt seien. Nur dürfen wir eines nie vergessen: Wehret den Anfängen!
Doch zurück zum Kolonialismus: Die Studienreiseunternehmen (und ihre Kunden!) haben die Sache auf den Punkt gebracht – die Einheimischen sind die Guten, die Besucher die Bösen! Da gilt nur begrenzt, dass der Kunde (mit Einschränkungen) König ist. Wenn es um Political Correctness geht, lässt sich keiner dieser Veranstalter – die Speerspitze im Kampf gegen den Neokolonialismus – die Butter vom Brot nehmen! Nicht von den erwähnten, Kugelschreiber verteilenden Omas, und auch nicht von neokolonialistischen Reisenden. Die Kindern Schokolade geben und sie damit zu einem Leben als Bettler verdammen. Mal gut, dass ich keiner geworden bin! Habe in der Kindheit selbst Schokolade von englischen Soldaten angenommen. Oder erst mal die gesamten Westberliner im Kindesalter, die 1947/48 (Berliner Luftbrücke) an Fallschirmen herabgeworfene Süßigkeiten aßen. Etwas ganz Anderes ist es natürlich, wenn der Abteilungsleiter oder ein anderer Abgesandter der Firma auf ‚Inspektionstour’ geht. Dann wartet auf die größten Kritiker des Neokolonialismus an jedem Ort eine Art Grand Durbar unseligen Angedenkens: ReiseleiterInnen vrteilen großzügig Geschenke des
Chefs der lokalen Agentur, die huldvoll entgegengenommen werden. Das hat überhaupt nichts mit kolonialistischer Attitüde zu tun! Wie formulierte es Rudyard Kipling in seinem – zugegeben sehr kolonialistisch-anmaßenden Gedicht über die Philippinen (The White Man’s Burden)?: ‚Half devil and half child!’ Die teuflische Hälfte bleibt den Landesfremden jedoch verborgen … Auch andere Kenner ihres Faches wie George Orwell (Burmese Days) und W. Somerset Maugham (The Letter), um nur zwei zu nennen, können von manchen Intrigen zu berichten, die von den so unschuldig-lieb dreinschauenden Einheimischen ausgebrütet wurden. Aber was wissen die denn schon? Keiner kennt Asien und die Asiaten so gut wie die Bürohengste in der Heimat! Halt, vielleicht doch die eine oder andere alleinerziehende Lehrerin mit Doppelnamen. Die wissen nach einer Woche in einem beliebigen exotischen Lande besser Bescheid als einer, der seit ewigen Zeiten da lebt und die Landessprache beherrscht. Sie wissen genau, wie man die Leute behandelt, und zeigen einem gnadenlos die Fehler auf, die man im Umgang mit den Einheimischen macht. Frage mich, was diese Damen sagen würden, wenn ich drei Tage an deren Unterricht teilnähme und alles kritisierte und an allem herummäkelte. Ganz besonders strikten Vorschriften unterworfen sind in dieser Hinsicht die deutschen Reiseleiter. Wehe, die alleinerziehende Lehrerin mit Doppelnamen rapportiert eine von ihrem politischen Verständnis abweichende Äußerung – der bzw. die ist reif für den Abschuss!
In einem Falle führte ein Konflikt mit einer lokalen Reisebegleiterin zu einem Eklat. Der beendete letztendlich die Zusammenarbeit zwischen dem Kollegen und der Firma. Der hatte lange Zeit mit einem weiblichen local guide erfolgreich zusammengearbeitet, was von deren Konkurrentinnen um die raren Jobs ungern gesehen wurde. So streute man gezielt das Gerücht, der deutsche Reiseleiter habe ein Verhältnis mit der verheirateten Mutter von zwei Kindern. Was bei jener zu Eheproblemen führten. Daher beendete er schweren Herzens die Zusammenarbeit. Und damit ihm so etwas nicht noch einmal passierte, wählte er als Begleiterin den hässlichsten und dümmsten weiblichen local guide aus, den er finden konnte. Und was passierte? Ein Kunde verliebte sich auf einer Reise in die von ihm geförderte und protegierte Dame. Jede nur andeutungsweise kritische Bemerkung des Reiseleiters an der inkompetenten Mitarbeiterin wurde als ausländerfeindlich und rassistisch eingestuft. Der verliebte Hansel beschwerte sich nicht nur bei der Firma über den Kollegen, sondern stiftete sein Liebchen gar an, eine Beschwerde über ihn zu schreiben – ihren Lehrer und Förderer! So etwas ist in Asien absolut verfemt. Dort gehört der Lehrer zu den angesehensten Stützen der Gesellschaft zählt. Doch das kümmerte die Firma nicht im Geringsten. Die Geschichte passte einfach zu perfekt in das Schema: Neokolonialistischer Reiseleiter diskriminiert liebe, unschuldige Einheimische!
Die versklavten und unter ständigem Preisdruck stehenden einheimischen Agenturen vor Ort werden ‚Partnerunternehmen’ genannt. Sie werden selbstverständlich mit dem größtmöglichen Respekt behandelt. ‚Leistungspartner spielen eine entscheidende Rolle als Mitwirkende bei der Erfüllung der Kundenerwartungen. Das gilt für touristische wie auch für andere Geschäftspartner. Unser Ziel muss daher eine für alle Beteiligten nutzbringende und auf Langfristigkeit angelegte Partnerschaft sein’. So steht es jedenfalls im Handbuch. Ein Blick in die Praxis zeigt die Umsetzung. Eine Kollegin von mir betreibt in Yangon ein Reiseunternehmen: Eines Tages sagte sie zu mir: „Kannst du Dir vorstellen, dass die Firma XY, die seit ewigen Zeiten mit der Konkurrenz zusammenarbeitet, mich um ein Angebot gebeten hat? Die wollen mich wohl veräppeln?“ – „Und was hast du gemacht?“ fragte ich sie neugierig. „Nun, ich habe eines abgegeben. Das ist so niedrig, dass ich Pleite gehe, falls die das annehmen.
Doch darum sorge ich mich nicht!“ Nicht viel später traf ich den Inhaber der ‚Partneragentur’. Der mich bat, ihm zu helfen. Er zeigte mir ein Fax des deutschen Unternehmens. Darin wurde er aufgefordert, eine ‚konkurrenzfähige Offerte’ abzugeben. Unter Bezugnahme auf das meiner Bekannten … Was er denn jetzt tun solle? Ich konnte nur mit den Schultern zucken. Jene Partneragentur macht sich sogar – im vorauseilenden Gehorsam – des schlimmsten Verbrechens überhaupt schuldig: Der Kolonialherrenattitüde! Ohne Wissen (?) des deutschen Unternehmens. Die Reiseleiterinnen werden aufgefordert, alle Wünsche der Tourleader zu erfüllen! „Alle?“ fragten sie mit bangem Gesicht: „Ja, alle!“ war die Antwort. Ein weiteres Beispiel für das Einfühlungsvermögen vieler deutschen Firmen ist der Quittungszwang. Da können die natürlich gar nichts für, das böse Finanzamt verlangt das. Ihnen selbst sei es im Grunde genommen eher lästig. Aber so sei das nun mal. Alle Reiseleiter sind begeistert davon. Viele fragten sich, warum sie selbst nicht auf diese Idee gekommen waren. Für jede Kleinigkeit muss man sich von ortsansässigen Dienstleistern Quittungen geben lassen. Von Kofferträgern, Bootsführern, Rikschafahrern und ähnlichem Fußvolk. Dass der Reiseleiter dadurch in den Augen der Einheimischen als unsicherer Kantonist dasteht, dem die Firma nicht über den Weg traut, vermag doch nur Übersensible zu stören. So muss sich der angesehene deutsche Reiseleiter von einem Kofferträger eine Quittung über zehn Dollar ausstellen lassen. Großartig! Dass der dadurch das Gesicht verliert, interessiert die Firma nicht die Bohne. Mich z. B. jedoch schon. Und so musste mein gesamter im Lande ansässiger Bekanntenkreis ran und Quittungen unterschreiben: Wer weiß, ob die Firma die Unterschriften nicht von einem Grafologen prüfen lässt. Sicher ist sicher …
Die Fähigkeit, Kunden im fortgeschrittenen Alter zu Sackhüpfen und Eierlaufen veranlassen, reicht jedoch keineswegs als Qualifikation aus. Ein gehöriges Maß an Servilität und ein gut deutsches Angestelltenverhalten (‚Nach unten treten, nach oben kriechen!’) sind der Karriere ebenso förderlich wie das Anschwärzen von Kollegen. Ziel ist der weltweit universal beliebig einsetzbare Reiseleiter. Der heute in Japan dummes Zeug erzählt und morgen in Namibia Banalitäten absondert. Und nächste Woche vielleicht in Griechenland herumschwadroniert. Was soll man da mit Landeskennern anfangen? .