Postamt 19

Seit meiner Jugend träumte ich davon, Briefträger zu werden? Na ja, fast … Möglicherweise ergab sich hier eine günstige Gelegenheit, dem sexuellen Dauerfrust zu entkommen. Wie es z. B. das Plakat des Films Im Tal der Grünen Witwen (oder so ähnlich …) nahe legte: Darauf sah man eine barbusige Frau im offenen Kittel, die vom Postboten eine Sendung entgegennahm! Das war ja noch eindeutiger als Wenn der Postmann zweimal klingelt. Bei Aufnahme der Tätigkeit beim Postamt hegte ich dementsprechend hohe Erwartungen. Zumal viele Kollegen von den geilen Kundinnen schwärmten, die sich selbst als Beilage zum Tee darboten. Und was war? Mal wieder nix! … Am 22. September 1970 um 7 Uhr morgens trat ich meinen Dienst an. ‚Arbeiter im Postfachdienst’ bei der Bundespost. Auf Postamt 19, Charlottenburg.

Komm rein, mein kleiner Postbote!

Ich sollte den Bezirk eines kranken Kollegen übernehmen, der sich demnächst einer schweren Operation unterziehen musste. Niere oder was Ähnliches. Werner Eichhorn war seit Langem marode. Daher hatte man ihm einen Behindertenbezirk zugewiesen, in den er mich einarbeitete. Er zeigte mir, wie man die Post ‚stellt’ (nämlich nach Briefkästen oder Etagen sortiert). Sagte mir, dass man stets das Treppenbuch auf dem Laufenden halten müsse. Und klärte mich über die feinen Unterschiede zwischen ‚Unzustellbar’,‚Verzogen nach …’ und ‚Unbekannt verzogen’ sowie ‚Verstorben’ auf! … Später setzte man mich als Dauerspringer ein:

heute Oldenburgallee, morgen Pommernallee, danach Heerstraße (jede Menge Post bei TOTAL Feuerlöscher …). Wusste bald nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Und von den grünen Witwen weiterhin keine Spur! Als sie selbst keine Springer mehr benötigten, steckten sie mich in die Verteilung: Da musste man morgens um halb fünf antreten! Für mich gar nicht möglich, da die erste U-Bahn um zwanzig nach vier fuhr. Mit etwas Glück war man um kurz vor fünf im Amt. Und dann meckerte Westphal einen auch noch an: „Sie kommen jeden Tag zu spät! Warum nehmen Sie nicht den Nachtbus?“. Den Nachtbus! „Gern, wenn Sie mir 50 % Nachtarbeiterzuschlag geben!“ pöbelte ich zurück. …