In der Waschküche
Meist im Keller eines Wohnhauses gelegener Raum, in dem der sog. Waschtag (auch ‚große Wäsche‘ genannt) zelebriert wurde. In Mietshäusern hatten die Familien ihre festen Termine, an denen sie W. und Trockenboden benutzen durften. Noch heute sehe ich meine Mutter in der dampfgeschwängerten W. vor mir. Mit schweißüberströmtem Gesicht, die wirren Haare mit einem schmucken Tuch hochgebunden und in ihren ältesten Kittel gewandet. Eine graue Gummischürze und riesige Holzpantinen vervollständigten das ungewöhnliche Outfit. In einem riesigen verzinkten Kessel, unter dem ein Feuer bollerte, schwammen in einer milchig-trüben, dampfenden Brühe große Wäschestücke. Mit einem überdimensionierten Löffel wurde das Ganze von Zeit zu Zeit umgerührt, wohl damit es nicht anbrannte. Gelegentlich hob sie mit Hilfe einer Greifzange ein Wäschestück aus der Brühe heraus, begutachtete es fachmännisch, legte es wieder hinein und rührte noch einmal um. Aber irgendwann war die Wäsche gar und wurde in einer Zinkbadewanne gewässert. Dann dauerte es auch nicht mehr lange, bis die Mutter rief: „Kannst du mir ’mal beim Auswringen helfen?“. Und während sie am einen und ich am anderen Ende in die entgegengesetzte Richtung drehte, floss das Wasser in Strömen hinaus – irgendwie machte das sogar Spaß! Die ausgewrungenen Wäschestücke wurden sodann entweder auf dem Trockenboden oder bei schönem Wetter – was in W’haven relativ selten vorkam – auf dem Hof aufgehängt. Die frühen Wäscheleinen aus Hanf (?) wurden später durch solche aus Plastik verdrängt, ebenso die Wäschekörbe aus Weide, die ihren bunten Plastiknachfolgern weichen mussten. Ein Schicksal, das sie mit den Wäscheklammern teilten. Da die Wäsche nicht unerhebliches Gewicht hatte, musste die Leine in regelmäßigen Abständen durch Wäschestangen abgestützt werden – sonst hätte sie ja den Boden berührt und alle Mühe wäre umsonst gewesen!
Manche Wäschestücke wurden, wenn ich mich recht entsinne, nach dem Waschen durch eine primitive Mangel gedreht. Der Zweck dieser Prozedur blieb mir bis heute unklar, aber er muss wohl über das Zerstören von Knöpfen hinausgegangen sein. Besonders stark verschmutzte Wäsche wie Vaters Arbeitsanzug oder die Nietenhosen der Söhne mussten von Hand gewaschen werden, wobei ein Waschbrett gute Dienste leistete. Mit Hilfe einer Bürste und mit Schmierseife wurden die Wäschestücke kräftig gerubbelt, bis sie vor den kritischen Augen der Wäscherin bestehen konnten. Das Waschbrett leistete mir selbst gute Dienste, wenn ich die neugekaufte Jeans mit Ata schrubbte, um ihr die Patina des Getragenen zu verleihen. Wenn man sich die große Wäsche bildhaft vor Augen führt, kann man verstehen, warum alle Zeitgenossen ihre Kleidung erheblich länger trugen, als es heute – im Zeitalter der Waschmaschine – üblich ist. Manchmal vermochte selbst eine Bremsspur (Land mitgekommen …) in der weißen Feinrippunterhose die Mutter nicht zur Herausgabe einer frischen Unterhose zu bewegen.
Als sich Waschmaschinen flächendeckend in der Republik durchsetzten, ging die ganze, über Jahrhunderte gewachsene W.kultur elend zugrunde und keiner weinte ihr eine Träne nach. Das Feuer in der W. verlosch für immer, der früher allwöchentlich von prallem Leben erfüllte Platz verkam zu einer Abstellkammer für Fahrräder und die W. geriet in Vergessenheit. Die nützlichen Geräte wurden nach und nach zweckentfremdet, der verzinkte Waschkessel wanderte zum Schrotthändler und letztlich blieben nur noch ein paar alte Persil-Tonnen und das Waschbrett übrig, die still von ihrer großen Zeit träumten.
Und dann geschah es – neues Leben zog in die verlassene Stätte ein: Die Beatwelle hatte Wilhelmshaven erreicht! Also, sagten sich der Chronist und H. Brusing, was die German Spotnicks können, können wir schon lange – und viel besser! Wir gründen eine Band! Brusing wurde zum Drummer bestimmt, da er ein paar Trommelstöcke und Besen besaß. Aus Persil-Tonnen wurde ein Drumset, der edle Messingfuß einer ausrangierten Stehlampe wurde mit unendlicher Mühe plattgehämmert und verwandelte sich in ein Becken, sogar ein primitives Hi-Hat wurde konstruiert, und das Waschbrett leistete erneut gute Dienste. Ich besorgte mir ein Tamburin, bastelte mir aus einer Teekiste einen Bass (im Fachjargon ‚Hundehütte‘ genannt) und wurde zum Sänger der Gruppe ernannt, weil ich in Englisch eine Drei geschafft und mal im Schulchor gesungen hatte. Mein Tonbandgerät und das Mikrofon wurden zum 4-Spur-Tonstudio. Nun fehlte nur noch ein Gitarrist, und der war nicht weit: Der in unserem Haus logierende Edmund Pfannenschmidt hatte sich gerade aus der BRAVO auf Abzahlung für 79 DM eine E-Gitarre bestellt, und damit waren die ‚Teigers‘ komplett. Nach vielversprechendem Start scheiterten die Musiker am mangelnden Kunstverständnis der Hausbewohner: „Den Krach hält ja kein Mensch aus!“ schimpfte die Mutter, zerstörte das mühsam gebastelte Drumset und verschloss die W. für immer. Die unersetzlichen Demo-Tapes von Zip-a-dee-doo-dah, Shakin’ all over, Under the Boardwalk und anderes Material gingen verloren. Und so scheiterten die vielversprechenden ‚Teigers‘ wie viele andere schon im Ansatz. Dieser frühe Misserfolg ließ mir keine Ruhe, und 30 Jahre später war der Durchbruch geschafft: In Burmas Hauptstadt sang ich bei der ‚Odyssee‘-Band meine alten Lieblingssongs. Schließlich stieg ich gar zum Karaoke-König ‚Friesische Nachtigall‘ auf: Mit Hits wie Kiss me goodbye, Stand by your man, Born to be wild‘ und vielen anderen war ich ‚talk of the town‘ in meiner Wahlheimat!
Der Begriff Waschküche wurde übrigens auch in einem anderen Zusammenhang benutzt. Da Zigaretten teuer waren (anfangs sechs Stück für 50 Pfg.) , teilten sich nicht selten mehrere angehende Raucher eine Fluppe, die reihum ging. Und wehe, einer hatte in seiner Aufregung den Filter etwas befeuchtet bzw. vollgesabbert! Mit „Ooorrr, Waschküche!“ wurde er zum Gespött seiner Mitraucher.