Karneval in Wilhelmshaven

Anton Günther (1583-1667) - der Mann hatte Recht!

Karneval: (wörtl.: Fleisch, lebe wohl!) äußerst eigenartiges Vergnügen der Bewohner des Rheinlandes, mit dem, wenn ich es recht verstanden habe, vor Beginn der Fastenzeit (was immer das ist) noch einmal kräftig einer draufgemacht wurde. Der K. wurde im Februar oder März begangen und erfreute sich auch außerhalb seines Ursprungsgebietes großer Beliebtheit. Selbst unter den nüchternen Friesen gab es in grauer Vorzeit nicht wenige, die Vergnügen daran fanden. In Friesland hatte Graf Anton Günther das närrische Treiben (‚Fastnachtlaufen, Vermummen und Verkappen, überflüssiges Fressen und Saufen wie auch alles leichtfertige Fastnachtspiel‘) kurzerhand verboten!

Es sei hier nicht verschwiegen, dass auch ich – aber bitte: als Kind! – früher das Fastnachtlaufen betrieb. Wir zogen von Haus zu Haus und sangen: ‚Fassnacht, Fassnacht angefang‘, Moder hei’ Ji’n Mettwurst hang‘? Harr Ji Höhner, swart or witt? Eier nehmt wi gerne mit! Een is nix, twee is watt, geef mi dree, so gah’k mien’n Pad. Laat me nicht to lange stahn I mutt noch’n bäten weitergahn!‘. Die Amerikaner haben uns das nachgemacht, nur nannten sie es Halloween und die Mettwurst ‚trick or treat‘. Im Kindergarten mussten wir an diesem Tag verkleidet erscheinen: Meine Mutter rieb mir Ruß ins Gesicht und staffierte mich als Schornsteinfeger aus. Ich durfte den ganzen Tag eine Leiter rumschleppen … Mein armer Bruder wurde zum Rotkäppchen (als Junge!) degradiert. Ich glaube, ich bekam sogar den ersten Preis für das beste Kostüm. Aber das war’s dann schon mit der K.-Karriere.

Zu den friesischen K.sfreunden zählte auch mein Vater: Am Rosenmontag nahm er sich regelmäßig frei, setzte sich ein Papphütchen auf, schmückte die Wohnung mit Luftschlangen, öffnete eine Flasche Deinhard-Sekt und hockte sich vor den Fernseher. Und dann ging es los: Rosenmontagszug in Köln, danach in Düsseldorf und schließlich in Mainz – Direktschaltung! Für diesen Mist wurde das ganze Fernsehprogramm umgestellt, obwohl wenig glaubhaft ist, dass eine Fernsehsprecherin einst die Programmänderung mit den Worten „Die Sendung ‚Das schwarze Loch‘ muss leider ausfallen, dafür sehen Sie Mainz – wie es singt und lacht!“ bekannt gab.

Und ab ging die Post: Man glaubte nicht richtig zu sehen! Massen von Betrunkenen standen am Straßenrand und jubelten ihren Gesinnungsgenossen zu, die in irgendwelche pseudo-mittelalterlichen Kostüme gekleidet waren. Die Männer (!) trugen rot-gold gemusterte Pumphosen und weiße Strumpfhosen (!), dazu bunte

Narrenkappen. Die dazugehörigen Frauen hießen Funkenmariechen, hatten silberblonde Perücken auf und waren mit recht kurzen Plisseeröcken, weißen Blusen und roten Stiefeln bekleidet. Wenn sie die Beine hochwarfen, konnte man rüschenbesetzte Unterhosen sehen. Wer weiß, vielleicht war dies kein ganz unwesentlicher Grund für die Beliebtheit der Veranstaltung: Damals war man in dieser Hinsicht ja noch bescheiden. Die Anführer der närrischen Truppen hießen ‚Prinz und Prinzessin Karneval‘. Wie man hörte, gab es Leute, die viel Geld für diese vermeintliche Ehre ausgaben. Die Meute bewegte sich tanzend oder auf Wagen durch die Stadt, deren Fahrgäste die Betrunkenen am Straßenrand mit Bonbons bewarfen. Im närrischen Zug wurden riesige Figuren aus Pappmaché mitgeführt, die sich auf höchstem geistigen Niveau kritisch mit den Skandalen des letzten Jahres oder mit menschlich-allzumenschlichen Schwächen auseinandersetzten. Die Narren in den drei Städten unterschieden sich durch ihre unterschiedlichen Kampfrufe: In Köln riefen sie: ‚Kölle Alaaf!‘, in Düsseldorf hieß es ‚Helau!‘ und in Mainz sangen sie Heile, heile Gänsje.

Nachdem die Umzüge beendet waren, begannen die sog. Prunksitzungen: Dabei stellten sich etliche dieser Spaßvögel in leere Bierfässer (die sie Bütt nannten) und rissen einen Kalauer nach dem anderen – echt witzig: „Wolle mer se ’neilasse?“ – „Tätää, Tätää, Tätää!!“. Und die Besoffenen waren begeistert: „Wir singen Humba-humba-humba täterääää, täterääää, täterääää!!“. Unvergessen bleiben ein Dachdecker namens Ernst Neger, der mit Heile, heile Gänsje sogar in die BRAVO-Hitparade vorstieß, und ein blinder Spaßvogel namens Toni Hämmerle, dessen Name gar zum geflügelten Wort wurde – wenn jemand überhaupt nichts abraffte, verhöhnten wir ihn mit den Worten: ‚Blind wie Toni Hämmerle!‘. Konsequenterweise erhielt der für seine Leistungen den Hörspielpreis der Kriegsblinden!

Es dauerte nicht lange, bis der Vater anfing mitzusingen, später setzte sich auch die Mutter dazu, abends kamen dann noch Freunde! Da war Stimmung! Dem Filius war es nur peinlich. Immerhin ersparte mein alter Herr mir die letzte Blamage und war nicht Mitglied im Karnevalsverein. „Karnevalsverein? So was gibt es doch gar nicht in Wilhelmshaven!“, wird jeder denken, der auch nur halbwegs seine fünf Sinne zusammenhat. Weit gefehlt! Es gab ihn tatsächlich – ver-mutlich gibt es ihn noch immer! Ob die Narren nun auch den  Rathausschlüssel in Empfang nahmen, ist mir entfallen. Da jedoch vor dem Rathaus Funkenmariechen tanzten, liegt das eigentlich nahe. Wer aber beschreibt das Erstaunen, als ich meine alte Farmer-Bill-Bekanntschaft Günner Lindemann in einem Prinzenkostüm sah! Und die Tochter von Hein Wörmke war ein Funkenmariechen – und das waren scheinbar ganz normale Leute! Eines Abends wurde ich unfreiwilliger Zeuge eines Gesprächs, bei dem der eigene Vater in angeheitertem Zustand echte Zoten raus-haute: Mit den Worten „Lass dir ein’ wachsen, Hein! Aber aus Glas, damit du siehst, wenn’s kommt, hohoho!!!“ verabschiedete er seinen Karnevalsfreund. Sieh mal an, wer hätte das gedacht von Leuten, die einem sagten: „Scheiße nehme ich nicht mal auf die Schippe und du nimmst das in den Mund!“ …

Zeigt her eure Füßchen, zeigt her eure Schuh'!
Das Einzige, was ich an dem närrischen Treiben schätzte, war die Tatsache, dass dann meine geliebten rot-weiß geringelten Hemden zu Spottpreisen verkauft wurden. Leider war deren Haltbarkeit sehr begrenzt, sodass ich immer gleich zehn auf Vorrat kaufte. Obiges Foto zeigt mich am Ambrakischen Golf (Griechenland) auf den Spuren der Seeschlacht von Actium (31 B.C.)