Dschungelboy

‚Jungle life, I’m far away from nowhere. On my own like Tarzan boy. Hide and seek

… war ein ganz spezieller Dauergast an meinem neuen Wohnort – ein junger Schwabe, der ‚beim Daimler schaffte’. Er hatte seinen Jahresurlaub mittlerweile um drei Monate überzogen und hegte offenbar nicht die Absicht, je wieder zum Daimler zurückzukehren. Der braun gebrannte, langhaarige Bursche lief in einer Leopardenbadehose ’rum und wurde nicht zuletzt deshalb von den Einheimischen ‚Jungle Boy’ genannt; er vertraute mir an, er fände den Namen so passend, dass er sich jetzt selbst so nannte. Na, ein bisschen sah er wirklich aus wie Tarzan. Irgendwie war er ein komischer Typ, mit dem man nur schwer warm wurde. 1985, beim für Jahrzehnte letzten Besuch in Nilaveli, kam bei einem Gespräch mit meinem alten Freund Reggie Samson vom Trail’s End Inn (mit Rinderschädel draußen am Tor) die Rede auf ihn. „How’s that German guy, Jungle Boy, by the way?”. „The case is still pending!“ sagte er mir. „What case?“ fragte ich, und Reggie war ganz erstaunt, dass ich nicht wusste, dass der unter Mordverdacht im Gefängnis saß. „Wie bitte? Was ist da passiert?“.

Er erzählte mir, dass in Jungle Boys Bungalow ein deutsches Mädchen gewohnt hätte, das eines Tages mit zahlreichen Stichverletzungen tot im Garten lag. Der Tatverdächtige hätte versucht zu fliehen und sei nachts von der Polizei festgenommen worden, als er versuchte, sich neben der Straße Richtung Trincomalee durchzu-schlagen. Und nun saß er im Gefängnis, obwohl nach Reggies Ansicht dessen Gärtner (!) der Mörder sei. Keine Ahnung, was später aus ihm geworden ist …

Reggie Samson verdanke ich im Übrigen eine wichtige Lektion fürs Leben. Die Art und Weise, wie die Großfamilie in ihrem Haus lebte, in dem sie Zimmer an Backpacker vermieteten, begeisterte mich. Abends saßen sie beim Schein der Petromax-Lampe, einer der Söhne spielte Gitarre, man trank Bier und Rum, sang und lachte viel – kurz, sie

genossen das Leben. Ich sagte Reggie, dass ich sie um dieses – vermeintlich – unverfälschte, natürliche Dasein fast beneidete. Und dass ich ihnen wünschen würde, es noch möglichst lange fortsetzen zu können. Da wurde er fast böse: „Hey!“, pflaumte er mich an, „Wir sind nicht eure Affen und das hier ist kein Zoo! Wir wollen auch an den Segnungen der Zivilisation teilhaben! Wir haben keine Lust mehr, im Lampenschein zu sitzen! Wir wollen elektrisches Licht! Wir wollen einen Kühlschrank, statt uns jeden zweiten Tag Eisblöcke aus der Fabrik zu holen, die wir im Garten verbuddeln müssen!“. Ich musste erst mal schlucken, aber der Mann hatte recht! Es mag ja als Backpacker ganz schön sein, mal ein paar Tage dort zu verbringen; dort tagaus, tagein um seine Existenz kämpfen zu müssen, das ist ‘ne andere Nummer! So weit zum unverfälschten Leben …