Berlin NO 65 - Das Strafbataillon der Berliner Post

Hier unterm Reichsadler herrscht noch Ordnung!

‚Mein‘ Postamt NO 65 an der Weddinger Gerichtstraße war das Schlimmste von ganz Berlin – vermutlich so eine Art Strafbataillon der Westberliner Post. Wahrscheinlich wurden dorthin alle Mitarbeiter versetzt, die in anderen Ämtern als nicht mehr tragbar aussortiert wurden. Es gab acht Schalter. Es konnte so voll sein, wie es wollte: Die öffneten selbst bei starkem Andrang prinzipiell nur zwei davon! Die Leute warteten geduldig in langen, sich durch die ganze Halle windenden Schlangen. Währenddessen sah man die Postheinis in der Ecke Schnaps saufen und sich über die blöden Kunden bepfeifen. Da kriegte man echt einen Hals! Einmal wurde ich Zeuge einer Szene, die mich sehr belustigte. Obwohl sie eigentlich traurig war.

Ein älterer hagerer, in einen altmodischen Kleppermantel gekleideter Mann stand geduldig in der Warteschlange vor mir. Sein schütteres Haar war straff zurückgekämmt und seine Nase rot. Die Hosenbeine waren unten mit Hosenklammern fixiert –Fahrradfahrer! Er trug sein Anliegen am Schalter vor. Nun war er fertig und verließ das Postamt. Draußen fiel ihm wohl ein, dass er etwas vergessen hatte. Er ging zurück zum Schalter, wo inzwischen eine Frau bedient (besser: abgefertigt) wurde. Er schob sie beiseite und sprach den Schalterbeamten an. Die Kundin protestierte lauthals und der Beamte verwies den Störenfried ans Ende der Schlange. „Aber ich war doch gerade hier, gerade noch war ich dran! Es ist nur eine Kleinigkeit und ich habe wenig Zeit!” sagte er. „Tut mir leid, jetzt ist die Dame dran, bitte stellen Sie sich hinten an!°.

„Ich protestiere!”, sagte der renitente Kunde. „Das können Sie mit mir nicht machen!”. „Seien Sie endlich ruhig!” war die Antwort, „Merken Sie nicht, dass Sie hier den ganzen Betrieb aufhalten?”. „Ich wollte doch nur…” erwiderte der Mann. Doch der Postler schnauzte ihn jetzt richtig an: „Stellen Sie sich hinten an oder hauen Sie ab!”. Der Kunde rang sichtlich nach Luft und rief schließlich mit überschnappender Stimme: „Ich akzeptiere Sie nicht mehr als Mitmensch!”. Der Postbeamte lachte laut los: „Iss ma wurscht, ob Sie mich als Mitmensch akzeptieren, verlassen Sie das Postamt!”. Laut schimpfend ging der Mann zum Ausgang und rief: „Ich habe Verbindungen in höchste Kreise! Sie werden noch von mir hören, Sie unverschämter Patron!”. „Det machen Se ’mal!” rief der Beamte ihm unter dem Gelächter aller Wartenden hinterher.